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Gemeinnützigkeit unter Druck: Reform ist da, Angstfaktor bleibt

Politik reformiert das Gemeinnützigkeitsrecht - doch die meisten Hoffnungen wurden nicht erfüllt.

Die Reform des Gemeinnützigkeitsrechts ist unter Dach und Fach. Bundestag und Bundesrat haben kurz vor Weihnachten dem Jahressteuergesetz 2020 zugestimmt. Es ist leider so gekommen, wie hier in der „Ehrensache“ auch schon befürchtet: Trotz zahlreicher öffentlicher Proteste und Forderungen von Verbänden wurde keine Neuregelung zu den Möglichkeiten und Grenzen politischer Betätigung gemeinnütziger Organisationen aufgenommen. Damit bleibt es bei der Verunsicherung, die das Attac-Urteil des Bundesfinanzhofs vom 10. Januar 2019 ausgelöst hat. Der globalisierungskritischen Organisation Attac und später der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN-BdA) wurde von Finanzämtern die Gemeinnützigkeit entzogen, weil diese sich unerlaubterweise politisch betätigten.

Viele Vereine und Stiftungen fragen sich seitdem, ob ihre Beteiligung an gesellschaftlichen Debatten oder das Werben für ihren Vereinsziele nun künftig von den Finanzämtern sanktioniert werden kann. Das Berliner Finanzamt hat auch der Bürgerplattform Campact die Gemeinnützigkeit entzogen. Auch der Petitionsplattform Change.org wurde von der Berliner Finanzbehörde der Entzug der Gemeinnützigkeit mit dem Hinweis angedroht, es handele sich bei deren Aktivitäten nur um die „Verfolgung von Einzelinteressen“. Das „ist ein fatales Signal in Richtung zivilgesellschaftliches Engagement“, schreibt Ehrensache-Leserin Birgit Heller: Dabei sei das, „was mit der Unterstützung der Zivilgesellschaft alles geschehen kann, unersetzlich“.

Auch Ehrensache-Leser Ulrich Rosenbaum ärgert sich. „Als Bürgerinitiative mit Vereinshintergrund gelten wir nicht als gemeinnützig, weil wir uns nicht darauf beschränken, auf dem Breitenbachplatz Blümchen zu pflanzen oder Müll einzusammeln, sondern uns Gedanken über die Verkehrs- und Stadtplanung machen, was von der Finanzbehörde als politische Interessenvertretung eingestuft wird“, schreibt der Sprecher der Bürgerinitiative Breitenbachplatz und Vorsitzender des Fördervereins. „So dürfen wir bei den Workshops für die vom Senat beauftragte Machbarkeitsstudie die Anliegen der Bürger vertreten, aber wenn wir zur Finanzierung der dabei entstehenden Kosten um Spenden bitten, müssen wir darauf hinweisen, dass wir keine Spendenbescheinigungen ausstellen dürfen. Die Pointe: Der für uns zuständige Beamte beim Finanzamt für Körperschaften fragte uns vor wenigen Tagen, warum wir denn keine Gemeinnützigkeit beantragt hätten.“

Ein Happy End zum Jahreswechsel kommt von der ebenfalls bedrohten Digital-Plattform OpenPetition, die sich seit zehn Jahren für eine widerstandsfähige Demokratie und politische Teilhabe einsetzt. Das Team schrieb: „Nicht alle sind davon begeistert, dass wir eine digitale Plattform bieten, mit der sich Menschen millionenfach in die Politik einmischen. Seit Anfang des Jahres war unsere Gemeinnützigkeit bedroht - und damit unsere Existenz. Die zuständige Finanzverwaltung stellte die Frage: „Können digitale Plattformen für Bürgerbeteiligung überhaupt gemeinnützig sein?“ Die Antwort kam erst nach langem Hin und Her am 7. Dezember 2020: ‚Wenn OpenPetition Menschen dabei hilft, sich mit Petitionen direkt an die Politik zu wenden, dann ist das gemeinnützig.‘ Dieses Urteil sichert unsere Mission und kommt auch anderen Beteiligungsplattformen zugute.“ Deutet sich da etwa ein Sinneswandel in der SPD-geführten Berliner Finanzverwaltung an?

Was enthält das geänderte Gesetz ansonsten? Die Bundesländer und die Bundesregierung haben im Gesetz unter anderem den Katalog der gemeinnützigen Aktivitäten erweitert. Explizit genannt ist Klimaschutz und die Förderung der „Ortsverschönerung“. Hinzugekommen ist auch der Unterhalt und die Pflege von Friedhöfen und die Förderung des Unterhalts von Gedenkstätten für nichtbestattungspflichtige Kinder und Föten, die Förderung der Hilfe für Menschen, die aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität oder ihrer geschlechtlichen Orientierung diskriminiert werden oder die Förderung von Initiativen, die Freifunk-Netzwerke aufbauen und betreiben.

Bundesregierung und Bundesländer haben auch die Ehrenamts- und Übungsleiter-Pauschalen angehoben. Statt bislang 720 Euro können Ehrenamtliche in der nächsten Steuererklärung 840 Euro steuerfrei absetzen; für Übungsleiter steigt die steuerfreie Pauschale von 2400 auf 3000 Euro. Jan Holze,Vorstand der Bundesstiftung für Engagement und Ehrenamt, weist allerdings auf einen Lapsus des Gesetzgebers hin: Die erhöhte Ehrenamts-Pauschale steht im Gegensatz zum Artikel 31a des BGB, in dem noch der Bezug der geringeren Pauschale als Haftungsgrenze festgeschrieben ist. Wer nun die höhere Ehrenamtspauschale bezieht, haftet etwa als Vereinsvorstand im vollem Umfang für mögliche Folgeschäden durch seine Entscheidungen.

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