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Der Pfarrer der evangelischen Kaiser-Wilhelm-Gedaechtniskirche in Berlin, Martin Germer.

© epd

Gemeinde der Gedächtniskirche: Schöne Weihnachten in Zeiten des Terrors - geht das?

Martin Germer ist Pfarrer der Gedächtniskirche und empfand den Gedenkgottesdienst zum Breitscheidplatz-Anschlag als "schön". Aber darf man das so sagen? Ein paar persönliche Worte.

Irgendwie war das sogar schön.“ Etliche Male habe ich das gehört nach den Gottesdiensten am Jahrestag des Anschlags, der Zeremonie am „goldenen Riss“ und der abendlichen Lichterkette zum Gedenkläuten auf dem Breitscheidplatz. Auch aus dem Kreis der Betroffenen heraus konnte es so gesagt werden. Fast immer folgte darauf die erschrockene Frage: Darf ich das denn sagen – bei diesem schrecklichen Anlass? Wie könnte da auch nur irgendetwas schön sein? Würdig vielleicht. Berührend. Tröstlich. Aber schön?

In der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche hängt ein mit Kohle gezeichnetes Bild. Eine Mutter umfängt mit liebevoller Geste ein Neugeborenes. Ein Bild von zärtlicher Schönheit. Entstanden ist diese Kohlezeichnung vor 75 Jahren. „Weihnachten 1942 im Kessel – Festung Stalingrad“, steht am linken Bildrand. Am rechten Rand: „Licht – Leben – Liebe“. Und genau dazwischen die Mutter mit ihrem Kind – der man später den Namen „Stalingrad-Madonna“ gab.

Die letzten schönen Momente im Leben

Gezeichnet hat sie der Pfarrer Kurt Reuber. Im Krieg als Militärarzt im Einsatz zeichnete er Porträtskizzen, in denen seine tiefe Menschenliebe spürbar wird. Wenige Wochen vor dem Ende der Schlacht wollte er für seine Kameraden eine Weihnachtsfeier gestalten. Und dafür entstand das Bild dieser Madonna, auf der Rückseite einer Landkarte.

In einem Brief schilderte Reuber die Wirkung: „wie gebannt, andächtig und ergriffen schweigend“ hätten die anderen vor dem Bild gestanden und „gedankenvoll“ die Worte aus dem Johannes-Evangelium gelesen. „Licht, Leben, Liebe“. Wahrscheinlich waren dies die letzten Momente von Schönheit in ihrem Leben.

Weihnachten 42. Ein Pfarrer fertigte die Kohlezeichnung im Krieg an.
Weihnachten 42. Ein Pfarrer fertigte die Kohlezeichnung im Krieg an.

© privat

"Fürchtet euch nicht!"

Aber darf man hier von Schönheit überhaupt sprechen? Als in der Weihnachtsgeschichte der Engel in das Nachtdunkel der Hirten tritt, umleuchtet ihn der Lichtglanz Gottes. Die Hirten erschrecken vor so viel überwältigender Schönheit. Der Engel ruft ihnen zu: „Fürchtet euch nicht!“ Da ist ein Kind geboren, bei euch da draußen, in einer Futterkrippe. Doch in diesem Kind kommt Gott mitten hinein in eure Menschenwelt, als „große Freude, die allem Volke widerfahren“ soll. Keine Not, kein Schmerz, keine Traurigkeit soll so undurchdringlich sein, dass nicht doch dies „Licht“ hineinleuchten und etwas von „Leben“ und „Liebe“ hineintragen könnte. So schön!

Weihnachten ist immer ein Fest der Schönheit. Genauer: allem Schrecklichen zum Trotz. Zu Recht haben Maler ihren Krippendarstellungen oft einen ganz eigenen Liebreiz zu geben gesucht. Weil es hier darum geht, dass Leben neu beginnen kann. Dass Gottes Licht unser Menschendunkel von innen heraus hell machen will – und schön.

Wenn also am vorigen Dienstag bisweilen ein „wie schön!“ sich auf die Lippen drängen konnte, dann war das womöglich schon ein Vorgeschmack solcher Weihnacht. In diesem Sinne wünsche ich zuallererst allen Trauernden, Erschrockenen und Verzagten, mit ihnen dann aber auch allen anderen gesegnete und frohe Weihnachten.

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