zum Hauptinhalt

Berlin: Geheimsache Flitzerblitzer

Seit Donnerstag gibt die Polizei nicht mehr bekannt, wo sie Raser blitzt. Sie appelliert auch an die Radios, Warnungen zu unterlassen. Doch viele Sender informieren mit Hörermeldungen weiter über Tempomessstellen – „um Raser zu bremsen“. Ein Pro&Contra

Keine Blitzermeldungen mehr von der Polizei: Seit vergangenen Donnerstag ist der kurze Draht zwischen dem Polizeipräsidium und Berlins Rundfunkstationen gekappt. Künftig gibt die Polizei weder im Internet noch den Radiosendern bekannt, wo ihre täglich rund 40 Tempomessstellen auf Berlins Straßen stationiert sind. Polizeipräsident Dieter Glietsch glaubt nicht mehr daran, dass sich Raser durch die Warnungen im Radio nachhaltig bremsen lassen. Und er verweist auf die Unfallbilanz. 2006 wurden rund 6000 Unglücke durch Raserei verursacht – ein Anstieg von sechs Prozent gegenüber dem Vorjahr. Außerdem ärgert sich Glietsch über den Wettlauf der Sender um den „besten Blitzerservice“ mit Hilfe von Hörermeldungen.

Hunderte Autofahrer rufen täglich von unterwegs aus in den Radiostationen an und warnen punktgenau vor Messgeräten an Straßenecken ode r vor bestimmten Gebäuden, also wesentlich exakter als die Polizei: Vom Präsidium wurden dagegen bisher höchstens Straßenzüge als Ort des Blitzens angegeben, um Raser auf einer längeren Strecke zu bremsen. Die Sender gingen die Sache hingegen regelrecht sportlich an, heißt es bei der Polizei. Das lebensgefährliche Rasen werde bagatellisiert.

Letztlich geht es um die Streitfrage, ob Blitzerwarnungen zu schnelle Fahrer tatsächlich bremsen oder eher das Gegenteil bewirken, weil außerhalb der bekannten Messzonen wieder aufs Gas gedrückt wird. Polizeiexperten sind inzwischen überzeugt, dass vorgewarnte Schnellfahrer nur kurz das Tempo drosseln, wenn sie eine bereits bekannte Radarfalle passieren. Ursprünglich hatte sich die Polizei von den Warnungen einen pädagogischen Effekt versprochen. Durch die mediale Dauerpräsenz sollten die Fahrer jederzeit auf Kontrollen gefasst sein. Laut Unfallbilanz wurden jedoch 2006 mehr als 1500 Menschen durch Raserei verletzt. 20 von 74 Verkehrstoten starben durch überhöhtes Tempo. Deshalb will die Polizei die Fahrer jetzt nicht mehr warnen und hat die Sender gebeten, freiwillig auf Warnmeldungen zu verzichten.

Doch die Radioleute machen ihr einen Strich durch die Rechnung. Auf die Polizeimeldungen sind sie längst nicht mehr angewiesen. Ihre Hörer sind auf den Straßen als „Flitzerblitzer“ oder „Blitzerpetzen“ unterwegs und melden Radarfallen. Beispielsweise bei den Sendern RS2, Berliner Rundfunk oder Kiss FM. 500 bis 1000 Hörer rufen hier täglich an. Meist machen sie ortsgenaue Angaben. Das hat die Polizei schon vorher verärgert. Denn der Vertrag zwischen den Sendern und der Behörde sah vor, dass keine weiteren Informationen als die der Polizei verbreitet werden. „Aber wenn die Hörer live auf Sendung sind, können wir so etwas nicht verhindern“, sagt Michael Weiland, Sprecher der drei Sender. Auch Marc Haberland, Chefredakteur des Senders 104.6 RTL, ist sich keiner Schuld bewusst: „Es ist doch besser, wenn die Fahrer zumindest kurz abbremsen“, findet er. Die Schlussfolgerung der Polizei ist ihm zu einfach. „Nur, weil wir vor Blitzern warnen, steigt doch nicht die Zahl der Unfälle.“ Sein Sender gibt Radarfallen vor Schulen und Kitas ebenso bekannt wie die gebührenfinanzierten Stationen Radio Eins und Antenne Brandenburg. „Es wäre doch paradox, wenn wir hier keine Blitzer nennen. Denn genau an solchen Stellen sollen die Leute ihren Fuß vom Gas nehmen“, sagt Volker Schreck, Sprecher des Rundfunk Berlin Brandenburg (RBB). Zwei Sender kommen dem Wunsch der Polizei allerdings seit Donnerstag nach: Inforadio und Radio Berlin 88,8. Hier laufen jetzt nur noch Staumeldungen über den Äther.

Am liebsten würde die Polizei auch den anderen Sendern den Blitzer-Service untersagen. Sie verweist auf ihre hoheitlichen Aufgaben „zur Förderung der Verkehrssicherheit“. Dem gegenüber steht die grundgesetzlich gesicherte Rundfunkfreiheit. „Zu argumentieren, dass die Sender mit ihren Blitzerwarnungen die Raserei und damit Verkehrsunfälle provozieren, wäre zu weit hergeholt“, sagt Christoph Degenhart, Direktor des Instituts für Rundfunkrecht in Leipzig.

Die Berliner Verkehrspolitiker sind geteilter Meinung. So hofft Jutta Matuschek von der PDS, dass die Sender ihre Warnungen reduzieren. Auch Christian Gaebler, SPD-Verkehrsexperte, appelliert an die Verantwortung der Sender: „Die Blitzermeldungen sind eine merkwürdige Marketingstrategie, die zu Lasten der Verkehrsopfer geht.“ Rainer Ueckert (CDU) spricht sich dagegen für die Sender aus. „Es ist nicht gut, alles zu regulieren.“ Und Claudia Hämmerling von den Grünen plädiert für eine Zwischenlösung: „Ein Blitzer pro Tag sollte weiterhin gemeldet werden.“

Zur Startseite