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Nicola Hermann (l.) und Naomi Roesick vom Berliner Filmkollektiv.

© Sven Darmer

Gegen Sexismus und Benachteiligung: Berliner Kollektiv will Frauen im Film fördern – per Crowdfunding

Frauen sind in der Filmbranche noch immer unterrepräsentiert und oft mit Sexismus konfrontiert. Eine Initiative will das ändern. Vor und hinter der Kamera.

Die Räume der ehemaligen Feuerwache in der Chausseestraße in Wannsee sind verlassen und kalt. Das zweistöckige Gebäude steht schon seit Jahren leer. Die Jugendfreizeiteinrichtung Wannsee, der das Gebäude eigentlich gehört, braucht den Platz nicht. In den beiden Etagen steht kein einziges Möbelstück. Dennoch ist es nicht unbenutzt. Das lassen seine bunten Wände erahnen. 

Sie sind ein Überbleibsel der Dreharbeiten zu dem Film „Generation Tochter“, die hier im November stattgefunden haben. Die ehemalige Feuerwache ist der erste und zentralste von den insgesamt drei Drehorten des Films. Hier wohnen die drei Hauptpersonen, die alle weiblich sind. Das war dem Berliner Filmkollektiv „Generation Tochter“ wichtig. Sie wollen mit ihrem gleichnamigen Film Frauen vor und hinter der Kamera fördern.

„Wir wollen, dass Frauen auch einmal die Hauptrollen in Actionfilmen spielen“, sagt Naomi Rösick, die gemeinsam mit Nicola Herrmann und Dareios Haji-Hashemi ausführende Produzentin des Films ist. „Außerdem ist es uns wichtig, komplexe weibliche Charaktere und die weibliche Perspektive von Gewalt zu zeigen“, sagt Nicola Herrmann. Der Film erzählt die Geschichte der 17-jährigen Clara, die zusammen mit ihrer Mutter Dagmar, einer ehemaligen RAF-Terroristin, im Untergrund lebt. 

Dagmar finanziert das Leben der beiden durch Überfälle. Als ein Raub schiefgeht, fliehen die beiden zu Claras Ziehmutter Samira. Doch sie werden von einem korrupten BKA-Beamten erpresst und sollen Überfälle auf migrantisch geführte Geschäfte begehen. Dagmar ist körperlich geschwächt, deshalb übernimmt Clara das Kommando. Bis sie in einem Club Aleyna trifft, sich in sie verliebt und beginnt, ihre Lebensweise infrage zu stellen.

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,,Es ist eine Geschichte mit starken Frauen in den Hauptrollen, einem queeren Liebespaar und zwei Müttern, die zwar keine Liebesbeziehung führen, aber gemeinsam ein Kind aufziehen“, erzählt Naomi Rösick. Die Idee für den Film ist in einer kleinen Runde entstanden. „Wir saßen zu fünft zusammen und haben überlegt, dass wir ein neues Projekt wagen wollen“, erzählt Nicola Herrmann. Als Anstoß für einen feministischen Film hat vor allem die eigene Erfahrung mit Sexismus in der Filmbranche gedient.

"Ich wurde permanent als Mäuschen bezeichnet"

Herrmann sagt, dass herablassende Erklärungen von Männern gängig seien. „Mir wurde auch nach langer Erfahrung am Set noch gezeigt, wie ich einen Spanngurt benutzen soll. Zudem wurde ich oft nicht ernst genommen, permanent als Mäuschen bezeichnet.“ Die Schauspielstudentin Alida Stricker, die die Hauptfigur Clara spielt, erzählt in einem Interview, dass es bei ihr mehr um Äußerlichkeiten ginge als bei ihren männlichen Kollegen. Ihre Schauspielkunst sei nur zweitrangig. Diese Probleme kennt auch die Stuntfrau des Films, Tanja de Wendt, die schon zusammen mit Hollywood-Legende Quentin Tarantino gedreht hat.

,,Generation Tochter“ besteht zwar mehrheitlich aus Frauen, aber auch Männer sind Teil des Projekts. „Es ist uns wichtig divers zu sein“, erklärt Rösick. Dennoch wird darauf geachtet, dass die leitenden Positionen wie Regisseurin, Kamerafrau und Artdirektorin mit Frauen besetzt sind. Denn gerade in diesen Jobs sind Frauen noch unterrepräsentiert.

Der gemeinnützige Verein „Pro Quote Film“ setzt sich aktiv für die Erhöhung des Frauenanteils in der Filmproduktion ein. Auf seiner Homepage fasst er verschiedene Studien dazu zusammen. Laut diesen sind nur knapp ein Viertel der Regieführenden weiblich. Auch in den Bereichen Kamera (zehn Prozent), Drehbuch (23 Prozent), Ton (vier Prozent) und Produktion (14 Prozent) sind weitaus weniger Frauen beschäftigt. Zudem werden Förderungen, beispielsweise von der Deutschen Filmförderung, häufiger an männliche Filmemacher vergeben. 

Nur ein Drittel der Gezeigten sind weiblich

Grund dafür sind laut Pro Quote Film oft veraltete Stereotype. „Frauen werden als weniger leistungsfähig stigmatisiert, dadurch gelten sie als Risiko. Sie werden bereits im Entwicklungsprozess und bei der Suche nach Produktionsfirmen aussortiert“, erklärt Pary El-Qalqili von Pro Quote Film. Auch im deutschen Fernsehen sind nur rund ein Drittel der Gezeigten weiblich. Das reproduziere laut Pro Quote Film Rollenklischees, Perspektiven von Frauen fehlten.

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Das will ,,Generation Tochter“ ändern. 80 Mitglieder konnten sich für diese Idee begeistern. Alle arbeiten unbezahlt und freiwillig. Einige von ihnen sind schon länger in der Filmbranche tätig oder studieren Filmwissenschaften, andere haben noch keine Erfahrungen gesammelt. Alle Entscheidungen werden gemeinsam getroffen, es gibt keine Hierarchien.

Der erste Dreh fand unter strengen Hygieneauflagen statt. Alles wurde regelmäßig desinfiziert, es gab eine getaktete Mittagspause. Die Schauspielerinnen durften ihre Masken nur bei Proben und Dreh absetzen. „Dadurch mussten wir einige Szenen umstellen“, sagt Nicola Herrmann. Wenn sich zwei Schauspielerinnen sehr nah gekommen sind, durfte man beispielsweise nur eine Person sehen, damit die andere eine Maske tragen konnte.

Auch die Finanzierung des Projekts war anders geplant. Ursprünglich sollten Spendenpartys stattfinden. Stattdessen setzte das Kollektiv nun auf Crowdfunding. Über die Plattform „Startnext” konnten im Juli vergangenen Jahres 11.392 Euro gesammelt werden. Eine weitere Kampagne bis Anfang Februar brachte rund 22.000 Euro für den zweiten Dreh. Im Sommer soll es einen dritten Drehblock geben, so dass der Film im Oktober fertig ist. Denn Nicola Herrmann und Naomi Rösick wollen den Film unbedingt bei der Berlinale 2022 einreichen. Um Ruhm geht es ihnen dabei nicht – sondern um mehr Frauen im Film.

Marie Steffens

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