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Immer wieder kommt es zu Sammelabschiebungen per Flugzeug (Archivbild).

© Daniel Maurer/dpa

Flughafen Berlin-Schönefeld: Flüchtlingshelfer beklagen „Horror-Sammelabschiebung“

Polizisten haben eine Abschiebung von Berlin nach Madrid mit viel Härte durchgesetzt. Die Behörden sehen kein Fehlverhalten. Doch die Koalition ist alarmiert.

Der Berliner Flüchtlingsrat spricht von einer „Horror-Sammelabschiebung“. Es gebe „schockierende Berichte von Betroffenen“. Ein geistig behinderter Flüchtling sei zwangsweise sediert, ein anderer gefesselt worden, eine ältere Frau habe sich entkleiden müssen, Familien seien getrennt und Asylsuchende von Polizisten geschlagen worden. Unter den Abgeschobenen soll auch eine Frau gewesen sein, deren Handgelenke nach einem Suizidversuch nur notdürftig verbunden waren.

Der Vorfall datiert vom 6. Juni, wurde aber erst jetzt öffentlich gemacht. Das „Forum Abschiebungsbeobachtung“ sieht allerdings kein Fehlverhalten der Beamten.

90 Flüchtlinge, vorwiegend aus Syrien und afrikanischen Ländern, wurden in einer Chartermaschine von Schönefeld nach Madrid geflogen, eine Abschiebung im Rahmen des Dublin-Abkommens, weil die Flüchtlinge in Spanien zuerst registriert worden waren. 83 Bundespolizisten sowie vier von der Berliner Ausländerbehörde beauftragte Ärzte und Sanitäter begleiteten die Flüchtlinge. Federführend für die Abschiebung waren die Berliner Behörden, „in Amtshilfe für das BAMF“ (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge), wie der Senat betont. Andere Bundesländer hatten insgesamt 64 Flüchtlinge nach Berlin überstellt. Solche Sammelabschiebungen in andere EU-Länder haben zuletzt erheblich zugenommen.

Jede Abschiebung wird einer unabhängigen Beobachterin begleitet

Die Senatsinnenverwaltung weist die Vorwürfe „physischer Gewaltanwendungen durch Polizeibeamte“ in einer Antwort auf eine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Bettina Jarasch pauschal zurück. „Aufgrund von Widerstandshandlungen“ sei allerdings in Einzelfällen „die Ausübung unmittelbaren Zwangs“ erforderlich gewesen. Auch das Bundesinnenministerium hat auf Anfrage der Linken-Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke Stellung genommen. Demnach „musste die Bundespolizei fünf Personen mit einem Festhaltegurt (Body-Cuff) fesseln.“ Es sei auch zur Trennung von Familien gekommen, allerdings schon im Vorfeld der Abschiebung, dafür seien das Regierungspräsidium Gießen, die Stadt Braunschweig und das Land Schleswig-Holstein verantwortlich.

Die Senatsverwaltung beruft sich auf die „unabhängige Abschiebungsbeobachtung“ an den Flughäfen Tegel und Schönefeld. Jede Abschiebung wird von einer Beobachterin begleitet, die zur Verschwiegenheit verpflichtet ist. Sie berichtet allein dem „Forum Abschiebungsbeobachtung“, in dem neben der Bundespolizei, den beteiligten Behörden von Berlin und Brandenburg auch Kirchen, Wohlfahrtsverbände, der UNHCR sowie Amnesty International und Pro Asyl vertreten sind. Vorsitzende ist die ehemalige Ausländerbeauftragte Berlins, Barbara John.

Linke: "Die Abschiebungspolitik verroht zunehmend"

Dieser Fall sei im Forum ausführlich besprochen worden, weil es keine reibungslose Abschiebung gewesen sei, sagte John dem Tagesspiegel. Es habe „starke Abwehrreaktionen der Flüchtlinge“ gegeben. Eine Frau habe sich entkleiden müssen, weil es Hinweise gab, dass Waffen mitgeführt würden. Die Einnahme eines Sedativums sei laut Polizei freiwillig erfolgt. Was später im Flugzeug passierte, sei nicht besprochen worden, dort ist die Beobachterin nicht mehr dabei.

John sieht kein Fehlverhalten der Beamten. Der Fall zeige, wie rabiat es besonders bei Abschiebungen nach dem Dublin-Abkommen zugehe. Die Flüchtlinge hätten Angst, dass sie von Madrid aus sofort in ihre Heimatländer abgeschoben würden. In vielen Ländern gebe es geringere Hürden für Abschiebungen als in Deutschland.

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„Die Abschiebungspolitik verroht zunehmend. Familien werden getrennt, Betroffene werden mit Festhaltegurten gefesselt, es kommt zu Demütigungen und Schlägen – das ist einfach erschreckend“, erklärte Ulla Jelpke. Die Vorwürfe müssten unbedingt aufgeklärt werden. Das findet auch Bettina Jarasch. „Rot-Rot-Grün hat sich auf einen humanitären Paradigmenwechsel in der Abschiebepolitik verpflichtet. Deshalb gehört die Abschiebepraxis insgesamt auf den Prüfstand.“ Jarasch schlägt vor, die unabhängige Abschiebungsbeobachterin in den Innenausschuss einzuladen, bisher habe sich das Parlament mit der Abschiebepraxis noch gar nicht beschäftigt.

Abschiebung durch freiwillige Rückkehr ersetzen

Martina Mauer vom Flüchtlingsrat fordert, die unabhängige Beobachtung der Abschiebungen auszuweiten und transparenter zu machen. Die Beobachterin sollte die Befugnis haben, Abschiebungen abzubrechen. Das Entkleiden von Flüchtlingen sei unverhältnismäßig, ebenso wie das Einsammeln der Mobiltelefone, was auch beklagt worden sei.

Rot-Rot-Grün will Abschiebungen möglichst durch freiwillige Rückkehr ersetzen, aber es fehle noch ein eigenes Landesprogramm für mehr Anreize, sagte Jarasch. Berlin hat im vergangenen Jahr 1638 Menschen abgeschoben, die meisten stammten aus Moldau. 2018 waren es bis Oktober 801 Menschen.

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