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Abschiebung. Bei Kriminellen fehlt den Behörden oft die Handhabe.

© P. Seeger/dpa

Gefährder oder nicht?: Im Fall Fathi Ben M. fühlt sich keiner verantwortlich

Was beim Umgang mit einem ausreisepflichtigen und kriminellen Tunesier schiefgelaufen ist.

Der Fall des abgelehnten Asylbewerbers Fathi Ben M. wirft weiter Fragen auf. Zum Vorgehen der Behörden, warum ein Gericht ihn als islamistischen Gefährder eingestuft hatte. Und warum ein gefasster Tunesier, der ausreisepflichtig ist, wieder auf freien Fuß gelassen wird.

Was bislang zu Fathi Ben M. bekannt ist, geht aus einem am 26. Januar ergangenen Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten hervor. Die Behörden des Freistaates Sachsen gingen davon aus, dass sich der Mann in Berlin aufhält und beantragten, ihn in Sicherungshaft zu stecken und für einen endgültigen Abschiebebeschluss vor Gericht zu stellen. M. war im Juni 2014 unter dem Namen Kamal Mustafa ohne Ausweispapiere in die Bundesrepublik eingereist.

Untergetaucht - drei Abschiebungen scheiterten

Zuvor war er bereits in Italien mit 14 Tarnidentitäten aufgefallen, in Deutschland und der Schweiz mit weiteren. Anfang Juli 2014 wiesen ihn die Behörden dem Landkreis Bautzen zu.

Im Oktober 2014 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) seinen Asylantrag ab und ordnete die Abschiebung an. Doch für die Behörden war er nicht erreichbar, er tauchte unter. Im Januar 2016 meldete der Landkreis Bautzen ihn als auffindbar.

Tunesien bestätigte aber seine Identität und stellte Anfang November 2017 einen Ersatzpass aus. Mehrere Abschiebungen – im September, November und Dezember 2017 – scheiterten. Er war „nicht greifbar“. Mehrere Staatsanwaltschaften, die gegen ihn in elf Verfahren ermitteln, stimmten der Abschiebung zu.

Zivilfahnder schnappten ihn beim Drogenverkauf

Für das Amtsgericht Tiergarten war die Sache klar: Wer sich 18 Tarnidentitäten zulegt, bewusst die Behörden täuscht, untertaucht und sich drei Abschiebungen entzieht, der kann vorläufig in Haft genommen werden, um die Ausreise durchzusetzen.

Zudem hielt das Gericht auf Grundlage des Antrags aus Sachsen fest, „dass der Betroffene nach den Ermittlungen der Sicherheitsbehörden als (islamistischer) Gefährder einzustufen ist“. Zugleich forderte die Richterin vom Freistaat für das Hauptverfahren „weitere lnformationen hinsichtlich der Gefährdereigenschaft“, da der Haftantrag „dazu nicht ausreichend“ sei.

Doch Fathi Ben M. hätte längst abgeschoben werden können. Berliner Zivilfahnder hatten ihn am 3. Dezember 2017 an der Warschauer Brücke gefasst. Dort hatte er Drogen verkauft. Durch Fingerabdrücke konnte er identifiziert werden. Er wurde wieder freigelassen – obwohl er abgeschoben werden sollte.

Warum stufte ihn das Gericht als Gefährder ein?

Dass er tatsächlich ein islamistischer Gefährder ist, wie Sachsen später bei dem Gericht vorgetragen haben soll, hat sich indes als falsch herausgestellt. Jedenfalls erklärte die Berliner Polizei, nachdem ihr in einem rbb-Bericht Versagen vorgeworfen worden war, der Mann sei „weder in Berlin noch in einem anderen Bundesland als Gefährder eingestuft“.

Obendrein erklärte Sachsens Innenministerium auf Anfrage, dem Gericht sei in dem Haftantrag gar nicht mitgeteilt worden, dass Fathi Ben M. Gefährder sei. Das Gericht selbst lehnte eine Stellungnahme ab.

Der ganze Vorgang ist bemerkenswert: Denn in Berlin heißt es intern, die sächsischen Behörden hätten den Gefährderverdacht und Kontakte zum Berliner Attentäter Anis Amri pro forma genannt, um die Chancen für einen Haftbeschluss zu erhöhen. Der Vorwurf sei aber nicht zu halten gewesen.

Wer sich der Abschiebung entzogen hat, darf nicht gleich festgenommen werden

Eine gesetzliche Definition, wer als Gefährder zu gelten hat, gibt es nicht. Den Status legt der Staatsschutz in den Polizeibehörden der Länder in Absprache mit den Verfassungsschutzämtern fest. Laut Berlins Innenverwaltung werden bundeseinheitlich Personen als Gefährder eingestuft, wenn die Annahme gerechtfertigt ist, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen werden.

Selbst wenn M. kein Gefährder war: Warum ließ ihn die Polizei laufen? Weil kein Haftbeschluss vorlag, der Mann nicht zur Fahndung ausgeschrieben war, hieß es. Und für die Abschiebehaft – die in Berlin dicht gemacht wurde – müsste ein Gerichtsbeschluss her, dafür ein Pass vorliegen, die Abschiebung organisiert sein.

Die Opposition fordert: Der Innensenator muss eingreifen

„Selbst wenn sich jemand mehrfach einer Abschiebung entzogen hat, heißt das nicht, dass er deswegen festgenommen werden kann“, erklärte die Polizei. Hätte es eine Fahndung oder einen Hinweis auf eine geplante Abschiebung gegeben, dann hätte sich die Polizei auch mit den zuständigen Behörden in Verbindung gesetzt.

CDU-Innenexperte Burkard Dregger dagegen meint, erst 2016 sei im Bund eine gemeinsame Kerndatendatei geschaffen worden, auf die Ausländerbehörden und Polizei Zugriff haben. Die Polizei hätte M. in Gewahrsam behalten und eilig Sachsens Behörden informieren können, damit die einen Gerichtsbeschluss erwirken.

Erinnerung an den Tiergartenmord

Innensenator Andreas Geisel (SPD) müsse diesen Automatismus einführen, findet Dregger. Dazu sei der Senat wohl nicht bereit, zumal Rot-Rot-Grün sich gegen Abschiebehaft ausspricht.

Dregger erinnerte an den Tiergartenmord vom 5. September 2017. Ein volljähriger Tschetschene, ein Gewaltstraftäter, hatte die Berlinerin Susanne F. ermordet. Im Dezember 2016 – noch unter 18 Jahren – war er nach einer Haftstrafe entlassen worden. Um die angeordnete Abschiebung kümmerte sich niemand.

Und Fathi Ben M.? Der ist weiter auf freiem Fuß, unbehelligt von den Behörden.

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