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Vor einem Jahr starb Johanna Hahn, als ein Auto mit fliehenden Dieben sie erfasste

© privat

Gedenken an ein Raser-Opfer: „Wie viele gute Menschen es doch gibt“

Vor einem Jahr fuhr eine flüchtende Diebesbande die 22-jährige Johanna Hahn tot. Wie ihre Familie es schafft, weiterzuleben.

Wenn ein Mensch, der einem nahe ist, plötzlich stirbt, dann ist das, als ob man tief unter Wasser taucht und keine Sauerstoffflasche hat. Hat man Glück, reicht der Atem und man gleitet langsam an die Oberfläche.

Alexander Hahn versucht das gerade. Auftauchen. Am Donnerstag ist es genau ein Jahr her, dass seine Schwester getötet wurde. Johanna war damals 22. Auf der Flucht vor der Polizei raste eine Diebesbande am Abend des 6. Juni 2018 auf die Kreuzung Kantstraße, Ecke Windscheidstraße in Charlottenburg und fuhr Johanna Hahn tot.

„Das Leben davor existiert nicht mehr. Wir waren einmal eine fünfköpfige Familie, jetzt sind wir vier“, sagt Alexander Hahn am Mittag vor dem Jahrestag auf dem Balkon seiner Wohnung in Reinickendorf.

Es ist ein Jahr, in dem die Familie Freunde und Bekannte über die Todesnachricht in Kenntnis setzen muss, in dem sie am Grab ihrer Tochter und Schwester stehen, ein Jahr, in dem sie im Gerichtssaal dem Mann gegenübersitzen, der den Fluchtwagen damals steuerte, die Anklage: Mord. „Natürlich könnten wir in der Unfassbarkeit versinken, aber damit ist niemandem geholfen – und das hätte Johanna auch nicht gewollt“, sagt Hahn und lächelt. „Wenn es einen von uns getroffen hätte, wäre sie, glaube ich, die Erste gewesen, die dafür gesorgt hätte, dass alle den Kopf hochkriegen.“

Eine breite Anteilnahme für die Familie

Ganz entscheidend dabei hilft Alexander Hahn und seiner Familie die breite Anteilnahme, die von Anfang an da war und die bis heute anhält. Als die Familie zwei Tage nach dem Tod die Unfallstelle besuchte, warteten dort viele Blumen, Kerzen und Botschaften auf sie. „Wie viele gute Menschen es doch gibt“, sagt Hahn.

Zu oft fokussiere man sich auf das Negative, doch zu erfahren, wie wildfremde Menschen aufeinander zugehen und Hilfe anbieten, gibt seiner Familie bis heute Kraft.

In Erinnerung. Zum Jahrestag von Johanna Hahns Unfalltod wurde die Unglücksstelle wieder zum Gedenkort.
In Erinnerung. Zum Jahrestag von Johanna Hahns Unfalltod wurde die Unglücksstelle wieder zum Gedenkort.

© Doris Spiekermann-Klaas

Es ist eine Erfahrung, die Alexander Hahn an die Gesellschaft zurückgeben möchte. Gemeinsam mit seiner Schwester, die wie er noch im Master studiert, gründete er die Firma Lichterschatten, die trauernde Menschen ganzheitlich auf ihrem Weg begleiten soll.

Denn Hahn und seine Familie erfuhren hautnah, wie Menschen, die einen Angehörigen verlieren, oft alleine gelassen werden, egal ob in organisatorischen oder persönlichen Belangen. „Hinweg kommt man über so etwas nie, aber man lernt, damit umzugehen. Anderen zu helfen, hilft mir am besten dabei.“

"Sie war die Lebensfreude in Person"

Johannas Einstellung zum Leben ist dabei eine große Motivation für ihn. „Sie war die Lebensfreude in Person“, sagt Hahn über seine Schwester. Sie engagierte sich für Amnesty International, für Geflüchtete und Behinderte, sie wollte Musiktherapie studieren. Lichterschatten war so ein bisschen der gemeinsame Plan der Geschwister. Nur später und zu dritt.

Dass Johanna so stark durch das Leben ging, hilft Hahn auch bei seinen schwierigen Gängen, denen zum Gericht zu Beispiel. Anfangs ging er gar nicht hin, es ging ja schließlich nie um die Frage, wer der Täter war oder ob er schuldig sei. Nur die Schwere wird verhandelt.

„Lange hatte er für uns nur einen Namen und ein Alter, er war eine Akte“, sagt Hahn über den Täter, „und dann sieht man da so einen Bubi sitzen und fragt sich, wie das zusammengehen kann, dass dieser Typ zwei Menschen umgebracht haben soll.“

Für den Seelenfrieden seien die Beweggründe entscheidend

Entscheidend ist für Hahn bei dem Prozess auch, aus welchen Gründen passiert ist, was geschah: Handelte der Fahrer bewusst oder gedankenlos und fahrlässig? Denn die Schuld ist unbestritten, doch für den eigenen Frieden seien diese Beweggründe entscheidend.

Es geht um nichts Geringeres, als dem Mann, der seine Schwester getötet hat, zu vergeben – oder nicht. So ganz traut sich Hahn noch nicht an diese Lebensfrage, eben auch wegen seiner Schwester Johanna: „Es steht nicht in unserer Verantwortung, ihm zu vergeben. Die Einzige, die das könnte, wäre meine Schwester.“

Er spürt: „Irgendwann geht es darum, die Kette zu durchbrechen. Hass mit Hass und Aggression zu beantworten, hat noch nie gut funktioniert. Für den eigenen Frieden ist essenziell, dass man irgendwann sagt: ,Es ist passiert, was passiert ist.‘ “

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