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Kathrin Oxen ist seit dem 1.12.2018 neue Pfarrerin der evangelischen Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche auf dem Breitscheidplatz.

© Thilo Rückeis

Gedächtniskirche in Berlin: Neue Pfarrerin hält erste Predigt

Kathrin Oxen lebt politisch und will versuchen, die Menschenfeindlichkeit im Land zu verstehen. Auch die Kirche müsse sich damit beschäftigen.

Die Stille im Innenraum der Kirche ist fast noch eindrucksvoller als das blaue Leuchten der Wände. Kein Autolärm, kein Busmotorengebrumm, kein „Heitschi-bumm-beitschi-bumm-bumm“-Gedudel vom Weihnachtsmarkt – eine Stille, die einen mit Dankbarkeit erfüllt. „Erhebend“ wirke dieser Raum auf sie, sagt Kathrin Oxen, neue Pfarrerin in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche auf dem Charlottenburger Breitscheidplatz. Das richtige Wort für diesen Raum.

Auf die Frage, was sie am liebsten an der Kirche möge, sagt sie spontan: „das Blau“. Und lacht: „Das sagen wahrscheinlich alle.“ Und ergänzt: Der Kirchenraum wirke spirituell – auch durch den Christus mit den ausgebreiteten Armen gegenüber dem Eingang –, aber nicht so heilig, dass man nicht hineingehen wolle.

Kathrin Oxen hat es nicht so mit dem Pathos. Das leichte Rumpeln, das hier zwischen den blauen Glas-Wänden der Gedächtniskirche gelegentlich leise zu hören ist, das komme von der U-Bahn, sagt sie. Sie habe es am vergangenen Sonntag, bei ihrer ersten Predigt vor der Kirchengemeinde, sogar auf der Kanzel gespürt. Vermutlich sei die Gedächtniskirche die einzige mit einer Kanzel, unter der eine U-Bahn langfährt, sagt sie und lacht. Die Frau mit den kurzen blonden Haaren lacht gern, das merkt man gleich, sie ist froh darüber, jetzt hier zu sein in der grauen Stadt mit der wunderbaren Kirche mittendrin. Ein „ganz neuer Lebensabschnitt“ beginne für sie, ihren Mann und zwei von vier Kindern. Das jüngste, eine sieben Jahre alte Tochter, freue sich, in der Stadt zu sein. Und sie selbst habe sich am Sonntagabend „sehr willkommen gefühlt“.

Die neue Pfarrerin fühlt sich offenbar kein bisschen fremd. Wer liest oder hört, woher Kathrin Oxen kommt, der mag sich darüber wundern, dass sie sich in der City West fast wieder zuhause fühlt: geboren 1972, aufgewachsen an der Ostsee, eine Pfarrerinnenstelle in Mecklenburg-Vorpommern, Jahre als Leiterin einer kirchlichen Fortbildungseinrichtung in Wittenberg – und jetzt Charlottenburg. Ja, sagt sie, sie fühle sich an ihre Studentinnenzeit erinnert. Sie habe an der Humboldt-Universität Theologie studiert und in der Carmerstraße am Savignyplatz gewohnt. Jahrelang habe sie am Waldrand gelebt. Jetzt könne sie von ihrer Dienstwohnung an der Lietzenburger Straße den Stern auf dem Europa-Center sehen.

3000 Menschen gehören zur Gemeinde der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche. Um diese Kirche herum ist Berlin voller Gegensätze. Hotels der Oberklasse, Shopping-Tempel einerseits, die Stadtmission hinter dem Bahnhof Zoo in der Jebensstraße andererseits; und sobald man in die Seitenstraßen des Ku’damms gehe, komme man in normale Wohnviertel, „wo auch noch Menschen wohnen“, sagt Kathrin Oxen. „Große Gegensätze“ prägten die Gegend, sagt sie, „Glitzer-Glitzer“ hier – und da die Obdachlosen und die Armen. Dann sagt sie wieder so ein Wort, das ganz genau passt: Berlin sei so „unbeeindruckbar“.

Auch die Bibel ist politisch

In ihrer ersten Predigt hat Kathrin Oxen ihre Zuhörer auf den „Knick“ aufmerksam gemacht, den der Ku’damm an der Kirche beim Übergang in die Tauentzienstraße macht und gesagt: „Gott macht einen Knick in die Wege der Welt. Wie es ist, so bleibt es nicht.“ Das kann man auch politisch verstehen – Kathrin Oxen ist eine entschieden politisch denkende und redende Pfarrerin. Kirche müsse politisch sein, sagt sie, „damit sie nicht weltfremd ist“. Die Bibel sei politisch, „was Jesus gesagt hat, ist reine Politik“. Weil es Forderungen an das Zusammenleben der Menschen seien. Erfreulicherweise klingen solche Sätze, wenn Kathrin Oxen sie ausspricht, nicht wie moralistische Ansagen an den geschützten Kirchenraum. Oxens Sätze hören sich an wie die Überzeugungen eines gläubigen Menschen, der die Diskussion sucht und die Auseinandersetzung. In dem, was sie sagt, ist keine Strenge, sondern Freundlichkeit. So wirkt sie auch: offen und zugewandt. „Ich bin ganz gern draußen in der Welt“, sagt sie.

Bis zu einer gewissen Grenze. Kathrin Oxen überlegt nicht lange an der Frage herum, wie sie das politische Klima im Land mit einem einzigen Wort beschreiben würde. „Hysterisch“, sagt sie ohne jedes Zögern. In einem Text zu „Chemnitz“ schrieb sie, sie wolle – wenn auch widerwillig – ergründen, was die wütenden Menschen dort angetrieben habe. Ob ihr das gelungen ist, darüber ist sich Kathrin Oxen offenbar selbst nicht ganz sicher, auch als politisch streitbarer Mensch nicht. Warum Menschen so wütend würden, die nicht mal auf Hartz IV angewiesen oder „abgehängt“ seien, das ist für sie „nicht nachvollziehbar“. Mit dem Text hat sie sich, das zeigen einige Kommentare, nicht nur Freunde gemacht – wen wundert’s. Sie habe, sagt sie, im Zusammenhang mit den Protesten in Chemnitz und anderswo den Wort „Verbitterungssyndrom“ gelesen. „Das ist nicht rational“, sagt sie. Durch die Flüchtlingskrise gehe es niemanden objektiv schlechter, „außer den wirklich Armen“.

"Die Kirche ist eine Haltestelle der Hoffnung"

Es gebe da offenbar ein psychologisches Problem. Wenn „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ die Leute antreibe, sei für sie „eine Linie überschritten. Verständnis habe ich dafür nicht.“ Ein klarer, wenn man so will, kämpferischer Satz an einem Ort, an dem das Wort Menschenfeindlichkeit noch eine andere Bedeutung bekommen hat, vor zwei Jahren. Weihnachtsmärkte sind nicht mehr bloß Weihnachtsmärkte wie dieser hier, mehr als dicht an die Kirche heran gepackte Buden, wo man T-Shirts und Räucherstäbchen kaufen kann, gesichert durch schwere Poller vor Menschen, die mit Lastwagen andere töten.

In Straßburg hat einer, den offenbar ebenfalls Menschenfeindlichkeit getrieben hat, um sich geschossen und Menschen getötet. In Berlin, an der Gedächtniskirche, wird in dieser Woche der Toten vom 19. Dezember 2016 gedacht. Die Kirche, sagte Kathrin Oxen zur Begrüßung ihrer Gemeinde, stehe an einem Knick in der Straße, sie sehe geknickt aus mit dem abgebrochenen Turm. Und sie habe „einen Riss zu ihren Füßen, in Erinnerung an das Attentat auf dem Breitscheidplatz“. Sie verfolge durchaus, was zum Beispiel die Untersuchungsausschüsse zum Attentat an Erkenntnissen bringen. Doch „was bleibt, ist dieser Rest, dass man das alles nicht fassen kann“, sagt Kathrin Oxen. „Diese Sinn-Dimension kann kein Ausschuss klären.“ Da sei diese Kirche für sie „eine Haltestelle der Hoffnung“.

Die Gedenkandacht findet am Mittwoch, den 19.12. um 18 Uhr, in der Gedächtniskirche statt, mit Pfarrerin Dorothea Strauß und Pfarrer Martin Germer.

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