zum Hauptinhalt
Beispielhaft. Das Entwicklungsgebiet Adlershof hat aus Sicht unseres Gastautors Modellcharakter für Berlin.

© Kai-Uwe Heinrich

Gastbeitrag zur Wohnungspolitik: Dem Berliner Senat fehlt der Mut

Bodenspekulation und hohe Mieten - Stadtplaner Eberhard von Einem schreibt im Tagesspiegel, wie Berlin diese Probleme stoppen könnte.

Fast ausschließlich werden in Berlin zurzeit Eigentumswohnungen oder Objekte zu Mieten weit oberhalb von zehn Euro je Quadratmeter (netto-kalt) gebaut, nicht selten für bis zu 15 Euro. Für die ärmere Hälfte aller Berliner Haushalte – und inzwischen auch sogar für mittlere Angestellte und Arbeiter mit mittleren Einkommen – im Öffentlichen Dienst, sind diese nicht bezahlbar. Was aber ist bezahlbar ?

Unterstellt man, dass die Wohnkosten maximal ein Drittel des Netto-Haushaltseinkommens nicht übersteigen sollten, dann bedeutet bezahlbar für Haushalte mit einem verfügbaren Einkommen von 2250 Euro pro Monat – statistisch gilt dies als Armutsgrenze bei vier Personen – eine Mietobergrenze von 750 Euro warm. Nach Abzug der Betriebs- und Nebenkosten verbleiben 500 Euro (netto-kalt).

Benötigt werden also Sozialbauwohnungen mit Mieten von fünf bis sechs Euro pro Quadratmeter. Und für die ebenfalls von Wohnungsnot betroffene Mittelschicht mit entsprechend höherem Einkommen mögen Mietpreise bis unter zehn Euro noch angemessen sein.

Könnte Berlin mehr für die Wohnungspolitik tun?

Das ist die Messlatte jeder Wohnungspolitik, die für sich das Prädikat „sozial“ beansprucht. Die Lücke, die sich im unteren Segment des Wohnungsmarktes zwischen wachsender Nachfrage und schrumpfendem Angebot weit geöffnet hat, ist die eigentliche Ursache steigender Mieten.

Sie wird schmerzlich erfahren von alleinerziehenden Frauen, Arbeitslosen, Rentnern mit niedrigen Renten, Hartz-IV-Empfängern, Flüchtlingen, aber inzwischen eben auch von Minijobbern, Krankenschwestern und Polizisten. Genügen die im Januar in Kraft getretenen Beschlüsse der Bundesregierung, um die Probleme zahlungsschwacher Haushalte zu lindern?

Seit den Neunziger Jahren herrschte weitgehender Konsens quer über alle Parteien, dass die Förderung der gemeinnützigen sozialen Wohnungswirtschaft Anstrengungen aller Bürger wert ist. Heute herrscht – quer über alle Parteien – Ratlosigkeit, was getan werden müsste, um den Bedürftigsten wirklich zu helfen.

Seit der Verfassungsreform 2006 fällt die Wohnungspolitik in die Verantwortung der Länder. Könnte Berlin mehr tun? Ja, die Stadt könnte nachverdichten sowie am Stadtrand Neubaugebiete planen. Sie könnte sich dabei auf das Baugesetzbuch (BauGB) stützen. Das enthält Rechtsvorschriften, die 1971 als Städtebauförderungsgesetz (StBauFG) vom Bundestag verabschiedet wurden und 1986 ins BauGB übernommen wurden.

Wie in Artikel 14 Grundgesetz vorgesehen, begrenzen diese die verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie privater Eigentümer. Sofern es im öffentlichen Interesse liegt. Damit wollte der Gesetzgeber zu Beginn der 1970er Jahre die Kommunen stärken, die ähnlich wie heute auch damals den rapide steigenden Miet- und Bodenpreisen weitgehend hilflos ausgeliefert waren.

Der Senat hat Mut und Gedächtnis verloren

Der Gesetzgeber hat Berlin damit städtebauliche Sonderrechte an die Hand gegeben, mit denen es seine Ziele des sozialen Mietwohnungsbaus realisieren kann. Dadurch kann der Senat städtebauliche Zielgebiete als Satzung „förmlich“ festlegen und die dortigen Bodenpreise unter Kontrolle bringen.

Diese Sonderrechte haben eine ähnliche Tragweite wie in Stadterneuerungsgebiete: Dazu zählen Auskunftsrechte, Veränderungssperren, Vorkaufsrechte, Umlegungs- und Enteignungsrechte, Abriss- und Baugebote (Paragraf 169 BauGB). Sie helfen dabei, städtebauliche Entwicklungen umfänglich zu planen, die Bodenspekulation einzudämmen und städtebauliche Vorhaben zu steuern.

Trotz der Klagen über die Machtlosigkeit der öffentlichen Hand gegenüber den Kräften des Marktes nutzt Berlin die bestehenden Rechte nicht. Zwar hatte die Stadt in den 1990er Jahren mehrere Entwicklungsgebiete: Spandauer Wasserstadt, Eldenaer Straße, Rummelsburger Bucht. Diese wurden jedoch nach 1996 vorzeitig unvollendet abgebrochen (Ausnahme Adlershof), ohne die Erfahrungen und Fehler hinreichend auszuwerten.

Seitdem hat der Senat den Mut (und sein Gedächtnis) verloren. Heute sind diese Sonderrechte weitgehend in Vergessenheit geraten, obwohl sie immer noch anwendbar sind.

Was leisten aber diese Sonderrechte? Sie verhindern, dass private Grundstückseigentümer auf Kosten der öffentlichen Hand Wertsteigerungen für sich verbuchen, die nur die Folge kommunaler Planungen, Erschließungen und Infrastruktur-Ausbauten sind. Entscheidend ist, dass hinsichtlich der Ziele frühzeitig Konsens herrscht und die Grundstückspreise bereits zu Beginn der Planung eingefroren werden – also bevor sie steigen.

Senat und Bezirke sind in einer ungleich stärkeren Position gegenüber privaten Bauherren

Zum einen hat der Senat das Recht, Ausgleichbeträge zu erheben, zum anderen kann Berlin Grundstücke im Wege des Zwischenerwerbs zu Preisen vor Planungsbeginn preisreduziert ankaufen (zu Anfangswerten). Später kann das Land die bebaubaren Flächen veräußern oder in Erbpacht vergeben (Privatisierung zu Endwerten).

Es kann potenzielle Bauherren, Genossenschaften, kommunale Wohnungsunternehmen oder Private über Konzeptvergabeverfahren auswählen. Und möglich werden Preisnachlässe für den Bau von Wohnungen, die mit sozialen Mieten vergeben werden. Das alles kann in privatrechtlichen Verträgen verbindlich festgeschrieben werden – einschließlich Wohnungsschlüssel, Architektur und Gestaltung, Mieten und Bindungsfristen. Vor allem kann das detailgenauer und rechtssicherer geschehen, als es über Auflagen in Bebauungsplänen oder in Baugenehmigungen möglich ist.

Kurzum, in förmlich festgelegten Stadtentwicklungsgebieten sind Senat und Bezirke in einer ungleich stärkeren Position gegenüber privaten Bauherren. Sie müssen ihre Rechte nur nutzen.

Überfordern sich Politik und Verwaltung nicht mit dem Einsatz dieses Werkzeugs, weil damit viele schwierige Steuerungsaufgaben? Nein, zur Entlastung des Landes kann es einen privaten Entwicklungsträger bestellen, um diesen treuhänderisch mit der Durchführung der Entwicklungsgebiete beauftragen.

Die bereits realisierten Entwicklungsgebiete von Spandau bis Adlershof zeigen, was möglich ist. Statt aber dort anzuknüpfen, herrscht zurzeit ein eklatantes Umsetzungsdefizit. Der Ruf nach neuen Gesetzen lenkt ab, da es ja schon auf Basis geltenden Rechts möglich ist, den Bodenmarkt zu bändigen und kleine oder große städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen durchzuführen und mit ihnen zigtausende bezahlbare Wohnungen zu bauen.

Eberhard von Einem ist emeritierter Professor für Stadt- und Regionalökonomie (Hochschule für Technik und Wirtschaft sowie zuletzt Center for Metropolitan Studies, TU Berlin).

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false