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Farben und Lichteffekte geben Skulpturen eine neue Ebene – und die erweitere Realität der begleitenden App taucht ihnen Leben ein.

© Dixons/Promo

„Game Over“ am Nollendorfplatz in Berlin: Alte Spielothek wird zum Experimentierfeld urbaner und virtueller Kunst

Mit „The Haus“ landete die Künstlergruppe Dixons einen Riesenerfolg. Die neue Ausstellung in einem Abrissgebäude zeigt völlig neue Welten virtueller Kunst auf.

An einigen Stellen sieht man ihn noch, den schwarz-goldenen Teppichboden. Er ist die letzte Erinnerung daran, dass sich in dem zweistöckigen Gebäude am Nollendorfplatz bis vor kurzem eine Spielothek befand. Wo bislang Spielautomaten und Kasinotische standen, läuft man nun durch ein Labyrinth aus Farben und Lichteffekten. Ein Jahr lang will die Künstlergruppe „Dixons“ den alten Räumen neues Leben einhauchen, dann soll das Gebäude abgerissen werden.

Das Konzept erinnert an „The Haus“, das erste große Kunstprojekt der Dixons. Damals, 2017, verwandelten die drei mit 165 weiteren Künstler:innen eine ehemalige Bank in der Nürnberger Straße in die größte temporäre Streetart-Ausstellung Berlins. In zwei Monaten besuchten mehr als 80.000 Menschen das Kunstprojekt, dann wurde die Bank abgerissen.

Mit ihrem neuen Projekt wollen die Dixons noch einen drauf setzen: Mit mehr Farben, mehr Interdisziplinarität und einem Fokus auf digitale Elemente. Auch der Name, „Game Over“, ist sowohl eine Anspielung auf die Vergangenheit des 2000 Quadratmeter großen Gebäudes als auch auf die virtuelle Realität, in die sich die Besucher:innen bewegen.

Denn die Ausstellung soll mehr sein als eine Schau urbaner Kunst: Mit einer eigens entwickelten App entdeckt man die analogen Kunstwerke völlig neu. Wer die Kamera seines Handys etwa auf die schwarz-weißen Comicfiguren richtet, die den ersten Raums der Ausstellung zieren, sieht diese plötzlich in 3D. Man läuft vorbei an einem Hologramm, das Breakdance tanzt und betritt zunächst eine Spiegelwelt. 

Durch die App bekommt das großflächige Bild einer jungen Frau plötzlich ein anderes Gesicht. Bei anderen Bildern kann der oder die Betrachterin selbst entscheiden, welche Farbe sie bekommen – oder Effekte starten, bei denen plötzlich Fledermäuse durch den Raum fliegen.

Die Zeiten der alten Spielothek am Nollendorfplatz sind vorbei – und eine Art neues Spiel mit virtueller Kunst hat begonnen.
Die Zeiten der alten Spielothek am Nollendorfplatz sind vorbei – und eine Art neues Spiel mit virtueller Kunst hat begonnen.

© Dixons/Promo

Der Innenhof, in dem verschiedene Installationen stehen, erhält in der erweiterten Realität der App, je nach Standort, einen virtuellen Streichelzoo – oder eine riesige Transmitter Station.

„Wir wollen Kunst eine neue Ebene geben“, sagt Kimo von Rekowski von den Dixons. Das Team will mit digitalen Möglichkeiten experimentieren und auch mit völlig neuen Kunstformen, etwa Kunst, die ähnlich wie Kryptowährungen auf sogenannten Blockchains basiert: NFT-Kunst. Diese Kryptokunst können die Besucher:innen nicht nur betrachten, sondern über ein Guthaben auf der Eintrittskarte auch gleich erwerben. 

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„Wir wollen einmal testen, wie diese neue Kunstform überhaupt ankommt – und auch den Künstlern neue Wege öffnen, ihre Kunst zu verkaufen“, sagt Kimo von Rekowski. So wird die Ausstellung zum Experimentierfeld und auch zur Frage: Was ist eigentlich Kunst – und wie weit kann sie gehen?

Im oberen Stockwerk ist ein Labyrinth aus Neofarben und Linien entstanden. 
Im oberen Stockwerk ist ein Labyrinth aus Neofarben und Linien entstanden. 

© Dixons/promo

Im zweiten Stock wird es dann psychedelisch: Man betritt ein Labyrinth aus Neonfarben, bunten Pilzen und Streifen, die über Lichteffekte die Kontraste ändern. Andere Kunstwerke, etwa jenes der Künstler Rooshi und Dinopium, verbinden Tapekunst mit Videoinstallationen. Ihr Raum mit dem Titel „The Last Goodbye“ konfrontiert die Betrachtenden mit der ökologischen Krise: Er thematisiert Tier- und Pflanzenarten, „die sich ein letztes Mal von dir verabschieden möchten“, sagen die beiden Künstler.

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„Vor dir siehst du sinnbildlich unsere Welt, die aber zweigeteilt ist: Einmal die strukturierte, gedachte, organisierte Welt, in der wir uns bewegen – und im Gegensatz dazu die Natur, die immer im Fluss, immer in Bewegung ist“, beschreibt Dino Richter alias Dinopium das Werk. Erstere Welt wird von schachbrettartigen Kästchen an den Wänden des Raumes symbolisiert, die Natur hingegen wird durch eine Schildkröte und anderen Motiven auf dem Boden symbolisiert. All jene Tiere und Pflanzenarten seien bereits ausgestorben, sagt Dinopium.

Die Videoinstallation verwischt die Grenzen zwischen beiden Ebenen. In einer Ecke steht man dann vor dem, was in dieser Welt übrig bleibt: Einem Spiegel mit einem Fragezeichen, also sich selbst. „Wir wollen den Menschen einen kleinen Piekser geben, ihre Aktionen zu überdenken“, sagt er.

Künstlerin Rooshi zeichnet die Figuren ausgestorbener Tier- und Pflanzenarten auf den Boden des Raumes mit dem Titel „The Last Goodbye“.
Künstlerin Rooshi zeichnet die Figuren ausgestorbener Tier- und Pflanzenarten auf den Boden des Raumes mit dem Titel „The Last Goodbye“.

© Dixons/promo

Weiter geht es durch einen Raum voller Pflanzen mit einem gigantischen Hirsch in der Mitte. An den Wänden hängen Bildschirme, die digitale Kunst zeigen. Im nächsten Raum verwischen die Kunstformen dann völlig: An den samtroten Wänden hängen Duplikate klassischer Kunst in traditioneller Petersburger Hängung, die Bilder verschiedener Größe eng anordnet. Da hängen etwa die „Mona Lisa“ und „Salvator Mundi“ von Leonardo da Vinci, aber auch Werke von Gustav Klimt. 

„Alles ist Kunst“

„Aber die Optik täuscht“, sagt Kimo von Rekowski. Dazwischen finden sich Leinwände mit modernen Interpretationen von urbanen Künstler:innen wie Anne Bengard, aber auch Streetart-Installationen wie eine Art Zuggleis, das direkt an die Wand gesprayt ist. Die App ergänzt alle Werke um eine weitere virtuelle Realität, die die Bilder und ihre Inhalte im wörtlichen Sinne „einmal auf den Kopf dreht“, wie von Rekowski sagt. 

Auch einige Elemente aus „The Haus“ erinnern an die bisherige Geschichte der Dixons. „Wir haben hier einfach unsere Keller leer geräumt und alles wild durcheinander gehängt, die ganze Vielfalt“, sagt Kimo von Rekowski und lacht. „Alles ist Kunst“.

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Durch die Ausstellung leiten sollen nicht einzelne Führer:innen, sondern die Künstler:innen selbst. „Wir schleusen die Gruppen von Künstler zu Künstler“, beschreibt Kimo von Rekowski das Konzept. Dadurch soll auch ein Austausch entstehen: Nicht nur zwischen Betrachtendem und Kunstwerk, sondern auch mit dem Menschen, der dieses Werk erst erschaffen hat.

Insgesamt rund 80 Künstler:innen sind an dem Projekt bislang beteiligt, für einige von ihnen ist es die erste Ausstellung überhaupt: „Für 3D-Kunst und Virtual Reality gibt es sonst kaum Ausstellungen“, sagt von Rekowski.  

Geöffnet ist Game Over bis Ende des Jahres. Wie es danach weitergeht, ist ungewiss: „Vielleicht gestalten wir im Februar alle Räume noch einmal und öffnen dann wieder neu“, sagt Kimo von Rekowski. An Kunst und Ideen fehlt es auf jeden Fall nicht. 

„Game Over“ öffnet am 5. Oktober, Nollendorfplatz 6. Zeitslots und Tickets für zehn, ermäßigt fünf Euro sowie mehr Infos gibt es unter gameover.berlin.

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