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Tatort Admiralbrücke. Schwarzwald-Tatort-Kommissar Hans-Jochen Wagner, 50, wohnt im Graefekiez.

© Mike Wolff

Gallig im Graefekiez: Mit einem Fernseh-Fiesling durch Kreuzberg

Am Mittwochabend ist Schauspieler Hans-Jochen Wagner als Widerling in der ARD zu sehen. Aus diesem Anlass: ein Spaziergang durch den Graefe-Kiez.

Noch ist der nette Herr Wagner sehr guter Dinge. Das heißt, das wird er auch im gesamten Verlauf des Spaziergangs bleiben, aber gelegentlich kommt ihm dann doch auch die Galle hoch. Aber jetzt erst mal nicht, als ihn gleich gegenüber der Admiralbrücke auf der Grimmstraße von einem Spielplatz aus ein kleiner Junge anspricht, warum er, Hans-Jochen Wagner, denn fotografiert werde. „Das sind Männer von der Zeitung“, antwortet Wagner freundlich. „Ui“, sagt der Junge, „sind Sie denn berühmt?“ Wagner lächelt den Jungen an, „nein, nein“, sagt er, „ich bin nur Schauspieler.“

Das mit der Berühmtheit und dem Auf-der-Straße-erkannt-werden könnte sich bald ändern, wenn Wagner, der erst kürzlich an der Schaubühne in „Die Rückkehr nach Reims“ und in „Italienische Nacht“ brillierte, im Tatort den Kommissar Friedemann Berg mimt und am 1. Mai in der ARD als Manfred Brenner den Widerling und Unternehmer Manfred Schmider mit sichtlichem Vergnügen parodiert, den Wirtschaftskriminellen, der im Jahr 2000 die zentrale Figur des gewaltigen Flowtex-Skandals war. „Ach, mit der Popularität ist das in Berlin nicht so anstrengend, wenn ich hier in meinem Kiez auf der Straße gegrüßt werde, dann von langjährigen Freunden.“

Wagners Kiez ist der Graefe-Kiez, jene schöne Gegend ums Urban-Krankenhaus herum zwischen den U-Bahnstationen Südstern, Schönleinstraße und Kottbusser Tor, am Landwehrkanal, der Hasenheide. „Ja, schön ist es hier“, sagt Wagner, „aber wir gehen jetzt mal die Dieffenbachstraße runter, da sieht man, wie sehr sich der Kiez verändert hat. Nicht zum Besten.“

Das ist nun bekannt, der Graefe-Kiez steht wie kein anderer für die Gentrifizierung der Stadtteile, und dass Wagner genau das umtreibt, wird schon gleich am Spielplatz klar: „Achten Sie mal auf die vielen Kitas und schauen Sie mal, wie viele Kinder mit Migrationshintergrund Sie da entdecken. Nicht mehr viele, deren Eltern können sich diesen Kiez nicht mehr leisten.“ Oder wurden entmietet zugunsten sündhaft teurer Eigentumswohnungen.

Die Gentrifizierung findet hier nicht mehr statt, sie ist längst vollzogen. Die Demonstrationen, auf deren Anschläge Wagner immer wieder hinweist, haben nichts verhindert oder starten noch heute vergeblich.

„Für eine Eigentumswohnung müsste ich arbeiten, bis ich 85 bin“

Seit 1993 lebt der gebürtige Tübinger in Berlin, erst in Prenzlauer Berg, „aber da wurde es mir dann zu wuselig“, mehr durch Zufall als durch gezielte Wahl, weil die Wohnung einer Freundin frei wurde, kam er dann ins Viertel. „Gerne habe ich hier gelebt, lebe auch noch gerne hier, aber es ist alles so homogen geworden.“ Und so teuer. „Ich bin ja Besserverdiener, bin jetzt 50 Jahre alt, aber wenn ich mir eines dieser Spekulationsobjekte kaufen würde, müsste ich arbeiten, bis ich 85 bin, um den Kredit abzuzahlen.“

Alte Kneipen haben dichtmachen müssen, die neuen im Kiez heißen jetzt zum Beispiel „Le Bon“ oder „tulus lotrek“, und „ohne dass ich ein Qualitätsurteil fällen möchte, aber das klingt doch im Namen schon teuer.“ Die alten Kneipen, so sagt Wagner, wurden nahezu systematisch vertrieben, „es ist ja ein Leichtes mit unterdrückter Nummer auch von Hamburg aus die Polizei wegen Lärm auf den Plan zu schicken. Und irgendwann haben die Wirte aufgegeben.

Geld oder Drogen am Kotti? Für Wagner keine Alternativen

Der „Würgeengel“ noch nicht, die „Mini Bar“ auch nicht, „da bin ich früher abgestürzt, aber jetzt als Vater gehe ich kaum noch in Kneipen. Insofern könnte es mir egal sein.“ Nur die Gesamtstimmung, die ist ihm nicht egal, die sei geldiger geworden und sei eben nicht mehr kiezig. Und ja, die Problembahnhöfe Kottbusser Tor und Schönleinstraße mit dem überbordenden Drogenhandel, wo es eben nicht geldig zugeht, sind natürlich nicht die Alternative, „die regen mich auch auf, aber nun ja, das gehört eben auch zu Berlin.“

Der Weg führt jetzt über die Böckhstraße hinunter, immer wieder zeigt der Schauspieler auf Geschäfte, in denen früher alteingesessene Händler ihre Geschäfte machten und heute teure Restaurants eröffnet wurden. Und der Weg führt an einer Schule vorbei, dem Hermann-Hesse-Gymnasium, spielende und lärmende Kinder und Jugendliche sind im Pausenhof, Wagner lebt mit Frau und dreijährigem Sohn gleich um die Ecke.

Auf welche Schule möchte Wagner sein Kind schicken?

Und da fällt ihm ganz ohne Frage seine künftige ganz persönliche Gewissensfrage ein. „Tja, was tun, wenn der Kleine eingeschult wird?“ Er kenne eine Menge Eltern, die ihre Kinder lieber auf Privatschulen schickten, als sie in nahe Grundschulen in den Nachbarkiezen mit nahezu hundertprozentigen Migrationshintergrund-Klassen zu schicken. „Ich selber war Waldorf-Schüler. Aber ich bin eben auch ein politisch links denkender und fühlender Mensch und denke, dass Abgrenzung der falsche Weg ist. Nein, ich weiß nicht, was wir dann machen, ich verdränge die Frage noch bewusst.“

Zurück an der Admiralbrücke, die jetzt, wo es tagsüber oft schön und auch schon warm ist, aber abends eben noch sehr frisch, noch nicht die Partybrücke der Stadt ist. Aber der dann im Sommer wieder zu erwartende Dreck ist an den in das Pflaster eingetretenen Kronkorken schon jetzt zu erkennen. Und Wagner hat jetzt ein Thema, das nicht der Gentrifizierung anzulasten ist, das allgemein ist und überall zu finden: der Dreck.

Das Planufer Richtung Krankenhaus, „das war früher meine Joggingstrecke. Geht zurzeit nicht mehr, ich hab Rücken, und mit Stöcken walke ich nicht durch die Stadt.“ Aber ob joggend oder spazierend, „dieser Dreck könnte mich rasend machen.“ Man möchte diesen großen, bulligen Mann nicht rasend erleben, kann ihn aber verstehen.

Wenn er den Dreck in Kreuzberg sieht, kommt ihm die Galle hoch

Am Landwehrkanalufer sitzen die ersten Sonnengenießer auf dem Rasen, „eigentlich schön“, sagt Wagner, „aber wie dumpf muss man sein, es lustig und als Ausdruck von Freiheit zu sehen, seinen eigenen Dreck anschließend einfach liegen zu lassen.“ Das sei doch unser eigener Kiez, „rücksichtslos, unverschämt, da werde ich richtig gallig“, und das möchte man angesichts der Drecksferkel dann doch mal erleben. Wagner redet die Reinlichkeit nicht nur so daher, er ist Raucher, jetzt beim Spaziergang sogar starker Raucher, aber nicht eine Kippe landet achtlos auf dem Boden, jede einzelne macht er aus und packt sie weg. Wie sich das gehört für Raucher.

Ein klein wenig beruhigend wirkt sich im weiteren Verlauf eine Neuentdeckung aus. Im Urbanhafen liegt schon das Schiff für die Rundfahrt durch Berlin bereit, „uii, Nachtfahrt, habe ich noch nie gemacht, aber das machen wir mal, wenn es wärmer wird.“ Das sollten Sie machen, ist nämlich wirklich toll.

"Eigentlich ist dieser Kiez doch wunderschön"

Hans Jochen Wagner führt jetzt über die Bärwaldbrücke, dann rechts durch den Böcklerpark zum Fraenkelufer. Er hat noch ein Aufregerthema, was nur am Rande mit Gentrifizierung zu tun hat. Die Altersvorsorge. „Also, ich bin Schwabe, ich bin so aufgewachsen, dass man arbeitet, seine Rente einbezahlt, und dann sorgenfrei sein Alter genießt. So war das bei uns immer, und so war es gut.“ Und heute, heute müssten die Menschen ihr Leben lang arbeiten, zahlen ihr Leben lang Rente und sollen dann noch, weil die Rente nicht reicht, für eine private Altersversorgung sorgen und sammeln Flaschen. „Und der Staat, was macht der Staat? Nichts.“

„Jetzt habe ich aber genug Ärger abgelassen“, und wer nun meint, dieser Wagner sei ein ziemlicher Grummelgriesgram, täuscht sich gewaltig. Man kann sich davon im Fernsehfilm Big Manni überzeugen, oder einfach mal in den Graefekiez fahren, die Stimmung aufsaugen, die schöne Architektur betrachten, oder jetzt durch das keimende Grün der Grimmstraße laufen. „Sie müssen jetzt hoch zum Südstern und dann mit der U7 zum Adenauerplatz, nicht wahr? Mache ich auch immer so, wenn ich zur Schaubühne will.“ Ist doch herrlich, „denn eigentlich ist dieser Kiez doch wunderschön.“

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