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Beliebter Treff. Der Wochenmarkt am Kranoldplatz in Lichterfelde.

© Thilo Rückeis

Furcht vor Verdrängung in Lichterfelde-Ost: Bewohner befürchten Ausverkauf des Kranoldplatzes

Investor Harald Huth hat 2018 mehr als die Hälfte des Kranoldplatzes in Lichterfelde-Ost erworben. Anwohner und Händler sind besorgt: Wie geht es weiter?

Das klingt perfekt. „Top-Lage: Zentral und gut angebunden (...), überdurchschnittliche Kaufkraft (...), eine der wohlhabendsten Wohngegenden von Berlin.“ Welch ein Imagegewinn für das Herzstück ihres Ortes – den Kranoldplatz. Die Geschäftsleute und überhaupt: Die Menschen in Lichterfelde müssten sich eigentlich freuen über dessen Aufwertung. So verlockend wurde der Platz direkt am S-Bahnhof Lichterfelde-Ost noch selten beschrieben. Aber die euphorischen Worte sind keine reine Liebeserklärung. Sie sollen solvente Mieter anlocken.

Der Wochenmarkt gilt als besondere Attraktion

„Sichern Sie sich ihre exklusive Wohnung, Einzelhandels- oder Bürofläche direkt am Kranoldplatz.“ So wirbt die Immobilienholding HGHI des Berliner Investors und Shoppingmall-Entwicklers Harald Huth auf ihrer Verkaufswebsite www.kranoldplatz.de. Geschwärmt wird auch von „Gründerzeitvillen“ im Kiez, von „liebevoll hergerichtete(n) Grünanlagen“. Und als besonderes Vergnügen wird der Wochenmarkt auf dem Platz am Mittwoch und Sonnabend angepriesen: „ein beliebter Treffpunkt für Jung und Alt“.

Die nördliche Ladenzeile am Bahnhof Lichterfelde-Ost, auch diese Gebäude wurden von der HGHI-Holding erworben.
Die nördliche Ladenzeile am Bahnhof Lichterfelde-Ost, auch diese Gebäude wurden von der HGHI-Holding erworben.

© Thilo Rückeis

Die High Gain Houses Investments GmbH, kurz HGHI, hat bereits Anfang 2018 mehr als die Hälfte der Wohn- und Geschäftshäuser am Kranoldplatz gekauft. Vermutlich konnte das Unternehmen dies finanziell recht locker stemmen, Harald Huth besitzt in der Stadt sehr viele Immobilien. Darunter sind fünf Einkaufszentren, von der „Mall of Berlin“ am Leipziger Platz bis zum „Schloss“ in Steglitz, außerdem Hotels, Wohn- und Geschäftszentren, die Wannseeterrassen und Loretta am Wannsee. Insgesamt sind es mehr als 20 Großobjekte.

Wie reagieren Gewerbetreibende und Kiezbewohner, wenn ein Investor nahezu einen ganzen Platz aufkauft? Wie ist ihnen zumute, wenn Läden, Arztpraxen, Wohnungen und Büros unverhofft in die Abhängigkeit eines Monopolisten geraten? Was ist seit 2018 passiert? HGHI-Sprecher versichern zwar, wo immer man sich engagiere, gebe es eine positive Entwicklung („Wir prägen das Stadtbild Berlins entscheidend mit“), doch in Lichterfelde-Ost befürchten viele inzwischen einen Ausverkauf ihres Platzes nach der Vorgabe maximalen Profitstrebens.

Es geht um den "lebendigen Kiez-Charakter"

Dessen lebendiger Charakter mit persönlich geprägten, inhabergeführten Läden drohe verloren zu gehen, sagen die Warner. Der Kiez könne in eine Schieflage geraten durch hochgetriebene Gewerbemieten und verschärfte Klauseln in Mietverträgen, die für angestammte Geschäfte unerfüllbar seien. Walter Seidel von „Mein LiLa e.V.“, der Gewerbe-Standortgemeinschaft Lichterfelde-Lankwitz, spricht von Verdrängung. In der Folge kämen zahlungskräftigere Filialketten und Billigläden.

Ein Haus ist "Hort des Widerstandes"

Huths Immobilien GmbH ging nach den Käufen nicht gerade zimperlich an die Sache heran. Gegenüber der Presse rief sich die HGHI als „neuer Besitzer des Kranoldplatzes“ aus. Das schürte Unruhe. „Die wollen doch nur die Mieten derart steigern, dass sich alles noch teurer wieder verkaufen lässt“, sagt Ivo Dierick, Händler an der Nordostecke des Platzes. Seit 38 Jahren verkauft der 79-Jährige in seinem „Musikhaus“ Instrumente und Noten. Im selben Gebäude gibt es auch einen Papierwaren- und Modeladen, es gehört nicht der HGHI, ist kein Objekt des „attraktiven Mietportfolios“ am Kranoldplatz, wie es auf deren Website heißt. "Es ist noch ein Hort des Widerstandes“, sagt Dierick. Der Hausbesitzer wolle nicht verkaufen.

Besitzerwechsel: Diese Gebäude hat die HGHI 2018 erworben. Für die Gesamtansicht der Grafik, das rote Kreuz klicken.
Besitzerwechsel: Diese Gebäude hat die HGHI 2018 erworben. Für die Gesamtansicht der Grafik, das rote Kreuz klicken.

© Tsp/GPM

Erworben hat Harald Huth die gesamte Ladenzeile mit darüberliegenden Wohnungen und Büros an der Nordseite des Platzes zwischen Bahnhofsausgang und S-Bahn-Unterführung. Außerdem die Gebäude an der östlichen Ferdinandstraße 31–35 mit dem gläsern überdachten Einkaufskarrée „Ferdinandmarkt“. Es ist ein eher kleinteiliger Mix farbig verputzter, dreistöckiger Gebäude, überwiegend entstanden zwischen 1998 und 2002. „Wurst und Schinken Haase“, „Die Abfüller“ für feine Öle und Alkoholika oder „Mode-Blitz“ fallen an der Bahnhofsseite ins Auge, der einstige Vodafone-Laden und die „Kräuter-Kühne“-Dependance stehen leer, ebenso das 2008 geschlossene Restaurant „Stellwerk“ im früheren Bahngebäude. Blick zum Ferdinandmarkt: Hier findet man unter anderem die „Bio-Company“, den Spielzeugladen „Löwenzahn“. Davor gibt’s zweimal wöchentlich buntes Markttreiben auf dem Kranoldplatz.

Wochenmarkttrubel. Blick auf den glasüberdachten Ferdinandmarkt.
Wochenmarkttrubel. Blick auf den glasüberdachten Ferdinandmarkt.

© Thilo Rückeis

„Der Name HGHI steht seit jeher für (...) die Planung, Gestaltung und Realisierung großartiger Visionen“, schreibt die Holding auf ihrer Website. Für den Kranoldplatz hat das Unternehmen aber offenbar keinen gestalterischen Masterplan. Harald Huth will sich dazu nicht äußern. Dem Vernehmen nach ging es erst mal darum, Kapital anzulegen. Und natürlich will man alles ein bisschen schicker machen.

"Mein LiLa e.V" hat für den Platz erste Visionen

Aufseiten der Gewerbetreibenden des Vereins „Mein LiLa e.V.“ gibt es hingegen erste Visionen. Sprecherin Jutta Goedicke wünscht sich eine „intelligente Verknüpfung von Gewerbe, Wohnen, Wochenmarkt und Kultur“. Sie hat die Hoffnung nicht aufgegeben, dafür Huth zu begeistern. Das könne ja auch eine Chance für einen Aufschwung sein. Aber die Aussicht, Einfluss zu nehmen, wird von vielen als gering eingeschätzt. Tatsächlich ist das Gewerbemietrecht gesetzlich kaum geregelt, alles hängt von Angebot und Nachfrage ab, von individuellen Verhandlungen, gutem Willen und davon, wer am längeren Hebel sitzt. Das ist aus Sicht vieler Kritiker „ganz klar“ die Holding. Sie beklagen deren „Zugeknöpftheit“, fühlen sich nicht erst genommen und erinnern an Artikel 14 des Grundgesetzes: Eigentum verpflichtet. Harald Huth ist wiederum dafür bekannt, dass er es nicht mag, sich öffentlich zu rechtfertigen, aber gerne auf seine Rechte als Eigentümer pocht.

"Die Mieterhöhung alleine wäre noch zu stemmen gewesen"

Aktuell ist die Lage am Kranoldplatz angespannt und von widersprüchlichen Darstellungen geprägt. Wer mit Huth noch etwas zu regeln hat, will meist namentlich nicht genannt werden. Es gab schon Auszüge. Ladeninhaber und Praxis- oder Bürobetreiber suchten sich neue Standorte, weil sie sich mit der HGHI nach Ablauf des Mietvertrages auf keinen neuen einigen konnten. Mit jedem Interessenten verhandelte HGHI-Chef Huth im repräsentativen Firmensitz, dem Mendelssohn-Palais in Mitte, persönlich. „Jovial, aber geschäftlich knallhart“, beschreiben ihn Lichterfelder Gesprächspartner. Dabei ging es offenbar weniger um die Mieterhöhung von durchschnittlich zehn bis zwölf auf 16 bis 18 Euro pro Quadratmeter. Das wäre ja noch zu stemmen gewesen, wird versichert.

Unannehmbar erschienen hingegen zwei Bedingungen im neuen Vertrag, die in gängigen Muster-Gewerbemietverträgen gar nicht auftauchen. So heißt es zum einen: „Sind natürliche Personen Mieter, steht bei ihrem Tod ihren Erben kein Kündigungsrecht zu.“ Unsere Nachfahren müssten also bis zum Vertragsende weiterzahlen, schlussfolgern Betroffene. Kopfschütteln löste auch Paragraf 14 aus. Falls das Haus zerstört werde, so erlösche ihr Vertrag erst, wenn der Vermieter erklärt habe, „dass er einen Wiederaufbau (...) nicht durchführen werde“. Rechtsexperte Günter Päts vom Handelsverband Berlin-Brandenburg hält beides für „absurd“. Er sagt: „Das würde ich nicht unterschreiben.“

Seit 2008 geschlossen. Das Restaurant "Stellwerk" im früheren Bahnhofsstellwerk. Gesucht wird ein neuer Pächter.
Seit 2008 geschlossen. Das Restaurant "Stellwerk" im früheren Bahnhofsstellwerk. Gesucht wird ein neuer Pächter.

© Thiklo Rückeis

Schließlich gibt es noch einen dritten Streitpunkt: Die HGHI lässt bei der Berechnung der nutzbaren Fläche offenbar die Raumhöhe außer Acht. Dachschrägen werden bis zum tiefsten Punkt ausgemessen, dadurch erhöht sich die Quadratmeterzahl und folglich die Miete. Eine solche Gewinnorientierung habe man bisher nicht gekannt, sagen Betroffene. Im Kiez sei es eher bodenständig und fair zugegangen.

Böser Großinvestor? Von wegen. Harald Huth kontert, er habe sich beispielsweise bemüht, den beliebten Laden von Kräuter-Kühne am Platz zu halten, sei der Firma entgegengekommen. „Aber die wollten gar nicht.“ Tatsächlich werden Ende September alle zehn Kräuter-Kühne-Filialen in Berlin geschlossen, weil sie ihrem Betreiber, dem Pharmakonzern „Dermapharm“, nicht profitabel genug sind.

Huth beruft sich auf das freie Spiel im Markt, jeder habe doch alle Optionen. Und die zwei merkwürdige Paragrafen? Kleinen Mietern komme er fast immer entgegen. Und natürlich müsse ein Mieter erst wieder zahlen, wenn ein zerstörtes Haus neu aufgebaut sei.

Die wahre Gefahr für Läden ist der Online-Handel

Im Übrigen müsse man heute dankbar sein, dass überhaupt noch Einzelhandel entstehe angesichts der Bedrohung durch Onlinehändler. "Die Leute kaufen immer mehr im Netz, Umsätze sinken." Das sei die wahre Gefahr, wer ihn kritisiere, baue eine falsche Frontlinie auf. Man könne aktuell froh sein, Gewerbemieter zu finden. Selbst Ketten seien weniger auf Expansion aus. „Wir haben ein Problem mit Leerstand, aber keinen Streit mit Mietern. Den kenne ich gar nicht.“

Am Mittwoch lädt der Bezirk Steglitz-Zehlendorf in der Grundschule an der Kastanienstraße 6–8 ab 18 Uhr zur Debatte über die Mietensituation am Kranoldplatz ein. Es heißt, auch Harald Huth werde wohl vorbeikommen.

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