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Die Stimmabgabe in einem Berliner Wahllokal.

© dpa

Für mehr Bürgernähe durch bessere Verfahren: Wählen, wen man wirklich wählen mag

Panaschieren und Kumulieren würde der Vielfalt in den Berliner Bezirksverordnetenversammlungen gut tun. Ein Kommentar.

Sonntag ist Wahltag, mehrfach. Welche Partei künftig im Bundestag die stärkste sein wird, wer die Chance bekommt, sich als potentielle Kanzlerin oder Kanzler zu präsentieren, beschäftigt die Nation. Angela Merkel geht, wer kommt? Nicht nur auf nationaler Ebene, auch in Berlin selbst wird an der Spitze des Gemeinwesens künftig ein neues Gesicht zu sehen sein. Michael Müller sucht, wie es so schön heißt, neue Herausforderungen.

Aber dann gibt es auch noch die weitgehend unbekannte dritte Schwester der Wahlen zum Bundestag und zum Abgeordnetenhaus. Es sind die Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen, zu den BVVs, in jedem der zwölf Bezirke.

Was die eigentlich machen, läuft für die meisten Bürgerinnen und Bürger unter dem Radar der Wahrnehmung. Daran sind die Parteien selber schuld. Denn sowohl das Wahlverfahren als auch vorher schon die Art, wie die Zusammenstellung der Kandidatinnen und Kandidaten vorgenommen wird, sind absolut ungeeignet, öffentliches Interesse zu wecken. Warum ist das so? Vielleicht auch, weil die Parteien bei der Aufstellung der Listen ihre Vorlieben und Abneigungen innerhalb der eigenen Reihen ausleben können.

Das ist vor allem ungerecht jenen gegenüber, die in die BVVs gewählt werden, denn auf sie kommt viel Arbeit zu. Die jeweils 55 BVV-Mitglieder bestimmen nicht nur über die regionale Mittelvergabe, über Schulbauten, Straßen- und Radwege, sie wählen auch die Bezirksbürgermeister und die Bezirksstadträte. Im Wahllokal bekommt die Wählerinnen und Wähler von der Komplexität nicht viel mit.

Auf dem Stimmzettel für die BVV stehen nur die Namen der zugelassenen Parteien und die jeweils ersten drei Namen der jeweiligen Kandidaten. Die Mandate werden dann anteilig nach dem Wahlerfolg auf die Listen verteilt. Wer ganz oben steht, ist gewählt.

Die Entscheidung gehört in die Hand der Wählerinnen und Wähler

Wenn die Kandidatin des Herzens aber erst etwa an Position 20 auf der Parteiliste platziert wurde, hat sie kaum Chancen. Drin ist, wer oben steht. So steuern die Parteien, wen sie für wichtig halten. Oder steuern aus, wer in der Parteispitze plötzlich nicht wohlgelitten ist. So etwas kommt viel öfter vor, als sich die meisten Menschen vorstellen können.

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Wenn Sie aber als Wählerin oder Wähler gar drei oder vier Leute aus verschiedenen Parteien gut geeignet finden, haben Sie ohnedies keine Einflussmöglichkeit. Das ist besonders schlecht, weil gerade bei einem kommunalen Parlament die Bürgernähe eine besondere Rolle spielt. Wenn ich die Menschen kenne, die in der BVV Politik machen, kann ich die nämlich viel leichter ansprechen als etwa einen Bundestagsabgeordneten.

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Was man dagegen machen kann? Das System ändern. Den Parteispitzen die Entscheidung aus der Hand nehmen und sie dorthin delegieren, wo sie hingehört: zu den Wählerinnen und Wählern. Das Verfahren gibt es. In Baden-Württemberg wird es seit Jahrzehnten angewandt. Es ist kompliziert, aber es funktioniert.

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Hier kann man Namen von verschiedenen Parteilisten nach eigenem Gusto auf einer Liste zusammenschreiben, einem Kandidaten bis zu drei Stimmen geben und dafür andere streichen. Kumulieren und Panaschieren nennt man das. Es garantiert Vielfalt und Bürgernähe. Auch in Berlin sollte das mal möglich werden. Hier wird doch besonders gerne und viel von Bürgernähe geredet.

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