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Ball kommt. Kricket ist in Hellersdorf inzwischen fest etabliert.

© Sven Darmer

Fünf Jahre Willkommenskultur: Wie Geflüchtete Kricket in Hellersdorf populär machen

Vor fünf Jahren sagte die Kanzlerin: „Wir schaffen das.“ Was ist in Berlin daraus geworden? In Hellersdorf gibt es einen neuen Volkssport. Teil I unserer Reihe.

Am Ende schlägt Habibullah Safi den Kricketball noch einmal mit großer Wucht in Richtung Einhorn – mühelos. „Sehr gut, Habib“, ruft Adam Page und bemüht sich zu lächeln. Die aufblasbare Riesenpuppe gibt ein schönes Ziel ab, aber direkt davor sitzen auch die Zuschauer. Page wäre es eigentlich lieber, wenn Safi und die anderen den Ball ein bisschen zur Seite schlagen.

Page – ein hagerer Mittfünfziger mit widerspenstigen, grauen Haaren – steht am letzten Augustwochenende in einem Kricket-Trikot am Spielfeldrand und sieht, wie die Jungs vom Hellersdorfer Athletik-Club Berlin die großen, weiten Schläge auspacken, jetzt, wo die Kinder das Spielfeld verlassen haben.

Die struppige Wiese zwischen Plattenbauten ist für diese Kricket-Profis eigentlich ein bisschen zu klein. „Hier macht es nicht wirklich Spaß zu spielen“, hat Safi zuvor in einem stillen Moment gesagt. „Aber dieses Fest ist wichtig, wir wollen Hellersdorf auch etwas zurückgeben.“

Fünf Jahre Willkommenskultur

Genau fünf Jahre ist es heute her, dass Angela Merkel entschied, die Grenze für die Flüchtlinge im Budapester Bahnhof Keleti zu öffnen. In den folgenden Tagen standen jeden Tag Menschen am Münchener Hauptbahnhof, um den Ankommenden zu applaudieren. Es war der Höhepunkt der sogenannten Willkommenskultur.

Und diese Willkommenskultur hat dazu beigetragen, dass heute mitten in der Großsiedlung Hellersdorf wie selbstverständlich Kricket gespielt wird. Jene Weltsportart mit ihren seltsamen Regeln, die den meisten Deutschen völlig fremd ist.

Brachte Kricket nach Hellersdorf: Habibbullah Safi, 23 (Links) mit seinen Mitspielern Farhan Muhammad, 18, und Zubair Ichan, 20.
Brachte Kricket nach Hellersdorf: Habibbullah Safi, 23 (Links) mit seinen Mitspielern Farhan Muhammad, 18, und Zubair Ichan, 20.

© Sven Darmer

Habibullah Safi kam 2014 nach Hellersdorf – in die Unterkunft für Geflüchtete in der Maxi-Wander-Straße. Sie liegt direkt neben jener Brachfläche, auf der der 23-Jährige jetzt steht und Kricket spielt.

Seinen Weg nach Hellersdorf beschreibt Safi – ein kleiner Mann, mit kräftigen Oberarmen und Pilzkopffrisur – zwischen den Spielen mit sparsamen Worten. „Ist alles schon so lange her“, sagt er entschuldigend. Seine Heimat Afghanistan habe er wegen der Taliban verlassen. 2013 sei er nach Europa aufgebrochen. Acht Monate sei er unterwegs gewesen und 2014 in Berlin angekommen.

Erste Kontakte fand er im Laloka, einem Internetcafé in Hellersdorf, das von Geflüchteten selbst betrieben wurde, und bei der Gruppe „Hellersdorf hilft“. Ab und zu fuhr er zum Tempelhofer Feld, um Kricket zu spielen. Irgendwann hatte er den Gedanken: „Wir brauchen hier eine Mannschaft – in Hellersdorf.“

Habibullah Safi organisiert eine Mannschaft

Er tat sich deshalb mit Sajid Khan zusammen. Khan kam 2014 von Pakistan nach Berlin und beantragte hier Asyl. Im Laloka arbeitete er als Koordinator. „Ich wollte den Leuten die Möglichkeit geben, etwas zu unternehmen, damit sie nicht depressiv in der Flüchtlingsunterkunft sitzen“, sagt der 35-Jährige.

Ein gutes Dutzend möglicher Kricketspieler kam in den Flüchtlingsunterkünften in Marzahn-Hellersdorf schnell zusammen, denn das Spiel ist in Afghanistan und Pakistan sehr populär. Also machten sich Khan und Safi Ende 2016 auf die Suche nach einem Feld. Sie hatten eine einfache Idee. Könnten sie nicht einfach auf der Brache vor der Flüchtlingsunterkunft in der Maxie-Wander-Straße spielen?

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So kamen sie mit Adam Page in Kontakt. Der deutsch-britische Künstler nutzt die Fläche mit dem Verein „Neue Gesellschaft für Bildende Kunst“ im Sommer für Ausstellungen und Veranstaltungen. Von der Idee, auf der Kunstbrache ein Kricketfeld einzurichten, war er sofort begeistert.

Die 40 mal 20 Meter große Fläche mussten Page und viele Helfer dafür aber zunächst von Unkraut befreien. „Das Gestrüpp stand hier vorher kniehoch“, sagt Page. In der Mitte des Feldes schufen sie anschließend mit Holzplatten eine ebene Fläche und verlegten einen Teppich. Die Fläche dient nun den Schlägern und Werfern, den zentralen Figuren im Kricket, das ein bisschen dem amerikanischen Baseball ähnelt.

Etwa einmal die Woche hätten Safi und andere Geflüchtete aus der Unterkunft dann hier gespielt, sagt Page. Die Straßenvariante von Kricket mit einem Tennisball, der mit Klebeband umwickelt ist. Manchmal spielte Page auch selber ein bisschen mit. „Aber ich bin 54. Meine Reflexe sind nicht mehr gut genug“, sagt er und lächelt.

Hellersdorf ist in der Kricket-Welt eine bekannte Adresse

Sajid Khan und Habibullah Safi wollten ihren Sport jedoch gerne noch professioneller betreiben. Sie baten Reinhard Liebsch um Hilfe, den Präsidenten des Hellersdorfer Athletik-Club Berlin. „Liebsch hat dann richtig für uns gekämpft“, sagt Khan.

Er konnte erreichen, dass die Geflüchteten im Winter eine Halle direkt neben der Unterkunft benutzen können. Und Liebsch half auch dabei, die teure Ausrüstung zu besorgen. Als sie im Frühjahr 2017 genug Spieler zusammen hatten, meldete er eine Mannschaft in der Kricket-Regionalliga Nordost an.

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Seitdem trainiert und spielt das Team auf dem Maifeld am Olympiastadion. Die Wiese wird von allen Berliner Kricket-Teams als Spielstätte genutzt. Bei Auswärtsspielen fährt der AC Berlin inzwischen bis nach Dresden. In der Regionalliga gehört das Team zum oberen Mittelfeld. „Wir sind immer gut mit dabei“, sagt Sajid Khan. „Obwohl wir immer wieder wichtige Spieler verloren haben.“ Manche seien fortgezogen, viele aber auch abgeschoben worden, erklärt er.

Auch eine Mädchenmannschaft soll es beim AC Berlin bald geben.
Auch eine Mädchenmannschaft soll es beim AC Berlin bald geben.

© Sven Darmer

In der Stadt gilt der AC Berlin längst als gute Adresse für Kricket. So kam auch Farhan Muhammad in den Club. Der 18-Jährige zog vor vier Jahren mit seinem Vater, einem pakistanischen Diplomaten, nach Berlin. Und als er hier wieder Kricket spielen wollte, empfahlen ihm die Botschaftsmitarbeiter den AC Berlin.

Inzwischen spielt Muhammad auch für die deutsche U19-Nationalmannschaft. Gerade macht er sein Abitur und will anschließend Informatik studieren. Doch es gibt da auch noch einen Traum. „Am liebsten würde ich Kricket-Profi in England werden“, sagt er.

Auch ein Mädchenteam soll es nun geben

In Hellersdorf wohnt von der aktuellen Mannschaft kaum noch jemand. Doch dem AC Berlin bleiben sie treu. „Wir haben dem Club viel zu verdanken“, sagt Muhammad. Deshalb sind sie auch zu diesem Show-Turnier auf ihrem alten Platz gekommen. Adam Page, der inzwischen ehrenamtlich die Kricket-Abteilung managt, möchte gerne auch eine Mädchenmannschaft aufbauen und hat deshalb ein Schnuppertraining organisiert.

Anschließend sollen Safi, Muhammad und ein paar andere AC Berlin-Spieler zeigen, wie es richtig geht. Doch am Ende spielen alle ein bisschen durcheinander. Wirklich Spaß macht das den Großen nicht.  „Aber solche Spiele, bei denen Kinder den Sport ausprobieren können, sind wichtig, damit Kricket in Deutschland populärer wird“, sagt Muhammad.

Habibullah Safi hat zuvor auch für alle Besucher gekocht. Es gibt Reis mit Rosinen und Hähnchenfleisch. Safi ist vom Fach. Der 23-Jährige macht seit einem Jahr eine Ausbildung zum Koch beim Fußball-Club Union Berlin.

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