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Steffi S. mit ihrem Sohn Gustaf.

© Privat

Fruchtwasserembolie: Glück im Unglück

Zu Hause entbinden, im Geburtshaus oder doch in der Klinik? An der Frage scheiden sich die Geister. Was ist, wenn es zu Komplikationen kommt, zum Beispiel bei einer Fruchtwasserembolie? Ein Bericht aus der Charité.

Der Tag, an dem der zweite Sohn von Steffi S. in der Klinik für Geburtsmedizin der Charité geboren wurde, war ein schöner Tag im Monat Mai 2016. Das Letzte, woran die junge Frau sich heute erinnert, wenn man sie nach diesem Tag fragt, ist jedoch ein Knall. „Ein innerlicher Knall. Und ich dachte nur: Jetzt ist die Fruchtblase geplatzt!“ Der erwartete Schwall Flüssigkeit blieb jedoch aus.

Dreieinhalb Tage später wachte Steffi S. auf der Intensivstation auf. Während sie im Koma gelegen hatte, war ihr Sohn Gustaf per Notkaiserschnitt auf die Welt gekommen. Zwei Wochen musste sie im Krankenhaus bleiben, auf verschiedenen Stationen der Charité. Sie hatte zwar keine Schmerzen, war jedoch extrem geschwächt, konnte die ersten Tage nicht laufen, nicht flüssig sprechen, nicht richtig sehen und nicht allein essen und trinken. Sie war also rund um die Uhr auf die umsichtige Hilfe der Schwestern und Pfleger, des Ehemannes, der Verwandten und Freunde angewiesen. Und sie hatte viele Fragen.

Steffi S. und ihr ungeborenes Baby waren nach unauffälligem Geburtsbeginn sozusagen aus heiterem Himmel in Lebensgefahr geraten. Diagnose: Fruchtwasserembolie. Fruchtwasser, das in den mütterlichen Blutkreislauf eingeschwemmt wurde, hatte die Lungengefäße verstopft, einen Lungenhochdruck verursacht und das rechte Herz zum Stillstand gebracht. Eine Notfallsituation, die sehr selten ist, aber von Geburtshelfern in aller Welt gefürchtet wird. Denn ob es zu einer Fruchtwasserembolie kommt, ist unvorhersehbar. „Sie tritt bei etwa einer von 15 000 bis 50 000 Schwangeren kurz vor, während oder nach der Geburt auf“, berichtet Wolfgang Henrich, Direktor der Klinik für Geburtsmedizin an der Charité. Die Sterblichkeit beträgt 50 bis 80 Prozent. Die Statistik besagt, dass Mehrgebärende, Mehrlingsschwangere und werdende Mütter, die Söhne erwarten, etwas häufiger betroffen sind.

Innerhalb von Sekunden werden die Patientinnen tiefblau

Wie es zu dem lebensbedrohlichen Zustand kommt, ist aber immer noch nicht bis ins allerletzte Detail geklärt. Tatsache ist, dass die in den mütterlichen Blutkreislauf eingeschwemmten Fruchtwasserpartikel eine überschießende Blutgerinnung bewirken. Dadurch verstopfen die Lungengefäße, der Gasaustausch bleibt aus, die Patientinnen werden innerhalb von Sekunden tiefblau und verlieren das Bewusstsein. Dass Sauerstoff fehlt, bringt gleichzeitig das Ungeborene in Gefahr. „Ein Notkaiserschnitt ist unausweichlich, und der Verbrauch der Gerinnungsfaktoren führt unweigerlich zur Massenblutung aus dem Uterus“, erläutert Wolfgang Henrich. Im Falle eines Herzstillstandes wird während der Operation eine Herzdruckmassage erforderlich.

Ein komplexes intensivmedizinisches Programm muss also innerhalb von Sekunden bis Minuten anlaufen: maximale Beatmung, Gabe von Blutprodukten, hoch dosiertem Kortison und kreislaufstabilisierenden Herzmedikamenten. Ein eingespieltes und erfahrenes Team aus Geburtshelfern, Narkoseärzten und Neugeborenenspezialisten erhöht die Chance auf das Überleben der Patientin und des Kindes.

„Ich wollte eine schöne Geburt“, erzählt Steffi S. Weil sie die Hebamme, die sie unter der Geburt begleiten würde, persönlich kannte, hat sie sich für die Charité entschieden – obwohl sie damals am Stadtrand von Berlin wohnte und es nicht der nächste Weg dahin war. Es gab noch einen Grund für diese Wahl: „Es sollte unbedingt eine Klinik sein, der eine Kinderstation für Neugeborene angeschlossen ist.“ Eine Geburt zu Hause oder in einem Geburtshaus hatten sie und ihr Mann ohnehin nicht in Betracht gezogen. „Ich kannte schließlich Fälle, in denen Frauen nach Stunden ergebnisloser Wehen dann doch in eine Klinik gefahren sind.“

„In diesem Falle wäre eine außerklinische Geburt tödlich verlaufen“, sagt Henrich. „Trotz optimaler notfallmäßiger Behandlung in einer Klinik sind selbst hier nicht alle Frauen mit einer fulminanten Fruchtwasserembolie zu retten.“ Auch wenn alles optimal verläuft, sind danach viele Gespräche fällig, um das Vorkommnis zu verarbeiten: Gespräche mit den jungen Eltern und ihren Angehörigen, aber auch Nachbesprechungen im Team. „Derartige Verläufe sind eine Grenzerfahrung, die von allen verarbeitet werden muss. Zudem lernen die Mitarbeiter in der Nachbetrachtung, die Abläufe weiter zu optimieren und uns mental auf einen solchen Notfall vorbereiten.“

Gustaf konnte schon eine Woche vor seiner Mama aus der Klinik entlassen werden. Da hatte sein Papa, in dessen Betrieb man sich sehr kooperativ zeigte, „von jetzt auf gleich“ Elternzeit nehmen können. Eigentlich war es ja anders geplant gewesen: Die erste Hälfte der Elternzeit hatte die junge Mutter nehmen wollen, schon wegen des Stillens.

Nach einem halben Jahr konnte sie sich wieder um beide Kinder kümmern

Doch nun musste sie zuerst für zwei Monate in die Reha, in die Brandenburg Klinik Bernau. Das Baby und dazu noch den Großen zu versorgen, das war für sie noch nicht zu schaffen. Glücklicherweise konnten aber die anderen Familienmitglieder in einem anderen Teil der Reha-Einrichtung unterkommen, in der Kindernachsorgeklinik Berlin Brandenburg. So konnte die junge Mutter ihr Baby immer wieder an die Brust anlegen, es teilweise auch mit abgepumpter Milch versorgen. „Ich war allerdings sehr lange sehr müde“, sagt sie rückblickend. Zu müde, um dem Baby und dem lebhaften älteren Kind gerecht zu werden. „Ich dachte nur: Ich hoffe, ich werde wieder so normal, dass ich mit diesem Wirbelwind mithalten kann!“

Ein halbes Jahr nach Gustafs Geburt und damit auch nach dem Tag, an dem sie die lebensgefährliche Fruchtwasserembolie erlitt, fühlte sie sich aber in der Lage, sich um die beiden Kinder zu kümmern, das Baby und dazu noch den „Großen“, damals drei Jahre alt. Ihr Mann ging wieder zur Arbeit, ihr selbst ging es immer besser, auch wenn zunächst noch viele Kontrolluntersuchungen beim Kardiologen und beim Neurologen anstanden.

Stück für Stück kehrte die Normalität ins Leben der Familie zurück. Aus beruflichen Gründen ist die Familie inzwischen aus Berlin weggezogen. Bald wird der kleine Gustaf zwei Jahre alt, ab August soll er an seinem neuen Wohnort in die Kita gehen. „Ab Oktober wird dann auch mein Arbeitsleben wieder losgehen, in Teilzeit im Büro.“

Wäre alles an diesem Tag im Mai 2016 unkompliziert verlaufen, wie Mutter Steffi sich das gewünscht hat, „dann hätten wir vielleicht inzwischen über ein drittes Kind nachgedacht“. Das geht nun schon deshalb nicht mehr, weil an dem besagten Tag wegen unstillbarer Blutungen auch ihre Gebärmutter entfernt werden musste, um ihr Leben zu retten. „Doch ich hatte Glück im Unglück“, sagt sie heute, „für mein Kind und für mich.“ An die Charité und an die Brandenburger Reha-Kliniken, die ihre Familie danach beherbergten, denkt sie mit Dankbarkeit. Dankbar ist Steffi S. aber auch für ihre eigene Entscheidung: „Ich würde es mir nie verzeihen, wenn mit meinem Kind etwas wäre, weil ich es nicht in der Klinik zur Welt gebracht hätte.“

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