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In der Einrichtung haben die Jugendlichen einen geregelten Tagesablauf – manche zum ersten Mal in ihrem Leben. Dabei übernehmen sie verschiedene Aufgaben wie Unkrautjäten.

© Thilo Rückeis

Frostenwalde: Betreutes Wohnen für kriminelle Jugendliche

In einem betreuten Wohnprojekt in der der Uckermark werden kriminelle Berliner Jugendliche untergebracht. Frostenwalde will sie auf ein straffreies Leben vorbereiten. 60 Prozent schaffen den Absprung.

Das Gelände sieht aus wie ein Ferienlager: Kleine Häuser in freundlichem Gelb, von Birken gesäumte Wege, Basketballkörbe und Grillplätze. Die 22 Jugendlichen, die hier ihre Zeit verbringen, sind aber nicht freiwillig hier – geschickt hat sie das Jugendamt oder gleich das Gericht. Einige haben geklaut, viele sind wegen Körperverletzung angeklagt. „Es war schon alles dabei“, sagt Hans-Joachim Sommer, der Leiter der Einrichtung. „Hierher kommen sie, wenn sonst nichts mehr greift.“

Frostenwalde ist ein betreutes Wohnprojekt für straffällige Jugendliche, die eigentlich in Untersuchungshaft auf ihre Verhandlung warten müssten. Es gehört zum Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerk (EJF) gemeinnützige AG, das zehn Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen in fünf Bundesländern betreibt. Bis zu 32 Jugendliche kann das Haus nahe der polnischen Grenze aufnehmen, die nächste größere Stadt ist das 19 Kilometer entfernte Schwedt. Die meisten Plätze sind für Brandenburger und Berliner, die lange nicht zur Schule gegangen sind, allein oder auch in Cliquen gedealt haben und schon als Kinder immer wieder von der Polizei aufgegriffen worden sind.

Frostenwalde bedeutet einen Einschnitt in ihrem Leben – für etwa vier bis fünf Monate. „In dieser Zeit kann man nicht alles ändern“, sagt Referentin Sigrid Jordan-Nimsch. „Aber es ist ein Anfang.“ Wie bei Hamid (Name geändert), einem 16 Jahre alten Berliner, angeklagt unter anderem wegen Körperverletzung, insgesamt für mehr als ein Dutzend Straftaten. „Er war hyperaktiv und aggressiv, als er hier ankam“, sagt die pädagogische Leiterin in Frostenwalde, Helga Kriese. Nun musste er sich einfügen in die Gruppe, über seine Vergangenheit und eine mögliche Zukunft sprechen. Oft, sagt Kriese, seien die Jugendlichen selbst erschrocken, wenn ihnen bewusst werde, was bisher los war in ihren Leben.

Viele lernen in Frostenwalde zum ersten Mal einen geregelten Tagesablauf kennen, gemeinsame Mahlzeiten, verlässliche Ansprechpartner. Dass Probleme auch verbal gelöst werden können, ist ihnen oft fremd. Einige werden auf Berufe wie Tischler oder Maler vorbereitet, andere gehen zu Schule. Obwohl die Jugendlichen in Frostenwalde zwischen 14 und 17 Jahre alt sind, können viele weder lesen noch schreiben. „Wir holen sie da ab, wo sie stehen“, sagt Sigrid Jordan-Nimsch dazu. „Und wir versuchen, ihnen zu vermitteln, dass auch sie etwas können.“

Derlei intensive Betreuung hat ihren Preis: Rund 200 Euro kostet ein Platz pro Tag. Rund um die Uhr werden die jungen Delinquenten von zwei Mitarbeitern betreut. Der Einsatz lohnt sich, sagt Leiter Hans-Joachim Sommer. Die letzte Evaluation ergab: 60 Prozent der Jugendlichen, die in Frostenwalde waren, sind danach nicht mehr straffällig geworden.

Während die Jugendlichen in Frostenwalde bereits strafmündig sind, wurde nun in Berlin Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) beauftragt, eine Arbeitsgruppe einzurichten. Die soll klären, wie mit strafunmündigen Schwerkriminellen umzugehen ist, nachdem sie von der Polizei aufgegriffen wurden. Da gebe es „eine Lücke, die geschlossen werden muss“, sagte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit am Dienstag. In der Arbeitsgruppe sollen die Senatsbildungs-, Innen- und Justizverwaltung, die bezirklichen Jugendämter und die Kindernotdienste vertreten sein. Geklärt werden soll, ob es genügend Heimplätze für junge Delinquenten gibt und wo die Kinder in den ersten Stunden und Tagen bleiben, nachdem sie aufgegriffen wurden. „Im Vordergrund steht das Wohl des Kindes, das aus den Fängen krimineller Täter herausgeholt werden muss“, sagte Wowereit. Den Streit um den Begriff „geschlossene Heime“ nannte er eine „blöde Polarisierung der Debatte“.

Auch das EJF, dessen Haus in Frostenwalde die Jugendlichen zwar nicht auf eigene Faust verlassen dürfen, dessen Tore aber immer offen stehen, betreibt etwa in Bayern Häuser, in denen Jugendliche für einige Zeit eingeschlossen werden können. Referentin Sigrid Jordan-Nimsch würde solche Einrichtungen auch für Berlin begrüßen. „Damit kann man frühzeitig Zeichen setzen“, sagt sie. „Und signalisieren: Du musst bleiben und lernen, dich zu benehmen. Wir vermitteln Alternativen zu dem, was du bisher getan hast.“

Ziel des EJF ist es, die kriminelle Karriere der Jugendlichen zu stoppen „und ihnen ein straffreies Leben in Freiheit zu ermöglichen“, sagt Sommer. Die Träume der Jugendlichen seien dabei erstaunlich bürgerlich: „Eine Familie, ein Haus, eine Anstellung.“

Vielleicht hat nun auch der 16-jährige Hamid eine Chance dazu. Er schaffte in der Uckermark die achte Klasse und lebt nun wieder bei seinen Eltern in Berlin. Zwei Jahre Haft auf Bewährung hat er bekommen, nun sucht er eine neue Schule, um wieder zu Fuß zu fassen. „Einfach wird es nicht“, sagt Pädagogin Kriese.

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