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Meter für Meter, Etage für Etage. Während der Protest gegen die Durchlöcherung der East Side Gallery weitergeht und in dieser Woche mit Rockstar Roger Waters einen prominenten Fürsprecher gewonnen hat, wächst das „Living Levels“-Haus in die Höhe.

© Oliver Lang

Friedrichshain: East Side Gallery: Alle reden, einer baut

Seit Monaten wird über die Lücke in der East Side Gallery verhandelt. Ergebnisse gibt es nicht – die Bauarbeiten aber gehen weiter. Und der Protest lahmt.

Das Luxushaus auf dem alten Todesstreifen wächst langsam bis auf Mauerhöhe. Der Investor Maik Uwe Hinkel ist unterdessen nicht zu erreichen, nicht mal eine Rufumleitung ins Sekretariat ist geschaltet. „Kein neuer Sachstand“, verlautet aus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. So wird die Öffentlichkeit in regelmäßigen Abständen vertröstet.

Die Verhandlungen um die vom Regierenden Bürgermeister versprochene Lückenschließung an der East Side Gallery treten auf der Stelle. Dem Vernehmen nach hakt es vor allem an der Verkehrsplanung. Wie sollen die künftigen Mieter und Eigentümer, Gäste aus dem Hotel, Radfahrer und Fußgänger von der Brommybrücke durch eine einzige Mauerlücke sicher auf die viel befahrene Mühlenstraße geleitet werden? Eine Ampellösung muss her, sagen die einen. Dann würde der Verkehr auf der Mühlenstraße ins Stocken geraten, widersprechen die anderen. Rund um die Anschutz-Arena entstehen neue Geschäftshäuser, die das Verkehrsaufkommen weiter anwachsen lassen.

Die Gegner des Hochhauses „Living Levels“ und des benachbarten Hotels vermuten, dass die Verhandlungen nur zum Schein geführt werden, um derweil Fakten zu schaffen. Tatsächlich verwundert, dass an dem Hochhaus weitergebaut wird, während am Runden Tisch im Senat über Umplanungen und Statikgutachten gebrütet wird. Hinkels Sprecher Jürgen Scheunemann erklärt nur allgemein: „Wir könnten nach wie vor einen Kompromiss umsetzen.“ Die Zufahrt zur Tiefgarage sei von beiden Seiten realisierbar. Auch Senatssprecher Richard Meng lässt sich nicht aus der Ruhe bringen: „Die technische Machbarkeit des Kompromisses steht nach unserer Bewertung außer Zweifel. Wir erwarten, dass die Eigentümer zu ihren Zusagen stehen.“

Die Initiative „East Side Gallery retten“ macht weiter Druck. Die Bauvorhaben verstießen gegen das Berliner Denkmalschutzgesetz, erklärt Sascha Disselkamp, einer der Initiatoren. Danach darf nicht nur das Denkmal selbst, sondern auch die unmittelbare Umgebung „nicht so verändert werden, dass die Eigenart und das Erscheinungsbild des Denkmals wesentlich beeinträchtigt werden“. Bei einem Hochhaus von 63 Metern wirke das Mahnmal nur noch wie ein Gartenmäuerchen, sagen die Kritiker.

Hat mal einer Tesa? Am Sonntag gab’s Protest à la Christo.
Hat mal einer Tesa? Am Sonntag gab’s Protest à la Christo.

© K.-U. Heinrich

Doch für die Bauvorhaben wurde schon vor 13 Jahren das Plazet der Unteren Denkmalschutzbehörde eingeholt. Ursprünglich sollten alle Grundstücke hinter der Mauer bebaut werden, dann besann sich der Bezirk eines anderen und kaufte den Eigentümern die Grundstücke ab – bis auf zwei. Unter Denkmalschützern war Konsens, erinnert sich Hans Panhoff (Grüne), Stadtrat für Stadtentwicklung im Bezirk, dass Mauerdurchbrüche akzeptabel seien, wenn die Segmente etwas versetzt wieder aufgestellt werden. So war es auch bei Living Levels geplant.

Ende der 90er Jahre wurden Investoren in Berlin besonders zuvorkommend behandelt, weil die wirtschaftlichen Aussichten mager waren und nur wenige sich entschlossen, wirklich zu bauen. Das Areal an der East Side Gallery war eine trostlose Brache, die Mauer eine zugige, verblassende Schönheit an einer lauten Straße. Wer ihre 1,3 Kilometer entlanglief, war anschließend erledigt.

Jetzt gibt es auf halber Strecke einen Zwischenstopp mit Caféterrasse und Spreeblick. Möglich wurde das durch die breite Mauerlücke in der Sichtachse zur Anschutz-Arena. Kaum jemand kritisiert heute diesen Mauerabriss auf Betreiben eines Investors. Der Konflikt dreht sich ohnehin nicht wirklich um die Frage, wie viele Lücken das Mahnmal verträgt. Die East Side Gallery dient vor allem als Mobilisierungshilfe für den Protest gegen Luxuswohnungen. Die Organisatoren kommen aus der Clubszene und fürchten um die Nachtschwärmer-Zonen an der Spree. Bewohner von Luxuswohnungen am Wasser sind geräuschempfindlich, und die Clubbetreiber wissen, wer in Lärmkonflikten gemeinhin den Kürzeren zieht.

Mit der Wahrheit nehmen es die Gegner dabei nicht so genau. Um Roger Waters für einen Auftritt an der Mauer zu gewinnen, schrieb ihm Sage-Gründer Disselkamp. „Die East Side Gallery ist das einzige noch existierende Mahnmal der Wiedervereinigung.“ Auch das Mauerbild von „The Wall“ sei zum Abriss vorgesehen. Dafür gibt es aber keine Anhaltspunkte. Es steht weit abseits der vorhandenen Lücken. Roger Waters’ Mauer-Protest hatte denn auch nicht die erhoffte Schlagkraft. Und die Verhüllungsaktion der Künstlerinitiative am Wochenende blieb auch ohne größere Resonanz.

Die East Side Gallery hat ihr touristisches Potenzial noch nicht voll erschlossen. Das Viertel drumherum ist weiterhin im Werden begriffen. Das Denkmal leidet zudem unter mangelnder Pflege. Graffiti und Namenszüge von Touristen entwerten die Kunstwerke. Der Bezirk ist für die Pflege zuständig, hat aber kein Geld. Vielleicht sollte man mal bei den Investoren anklopfen. Wo sie bauen, gehört ihnen die Mauer ja ohnehin schon.

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