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Friedrich Steinhauer (1933-2019)

© privat

Er spielte immer nur sich selbst: Nachruf auf die „Nachtigall von Ramersdorf“

Sein Weg auf die Bühne war ebenso wenig märchenhaft wie der Weg herab. Der 1933 geborene Friedrich Steinhauer fabrizierte schräge Klänge und zweifelnde Bewunderung.

Es war die Nachtigall und nicht die Lerche, die Friedrich Steinhauer seinen Künstlernamen gab: Nachtigall von Ramersdorf, welches ein Stadtteil von München ist, der wenig Poetisches verspricht. Aber bei Licht mochte Friedrich die Welt ohnehin nie sehen, stets nur in der Nacht, da war Schwabing so nah wie Haiti, und Friedrich sang in den höchsten Tönen überall dort, wo der Chor der wohlmeinenden Herzen einstimmte: „In der Nacht ist der Mensch nicht gern alleine, / denn die Liebe im hellen Mondenscheine / ist das schönste …“

Oder auch nicht, denn ganz so märchenhaft war sein Weg auf die Bühne nicht. Seine Mutter hatte ihn gelehrt: „Frauen sind keine Engel.“ Ob das den Vater in den Tod getrieben hatte, oder ob es die Schwermut war oder die Not, wer weiß. Friedrich fand ihn im Keller, er hing am Strick und hinterließ ein unvergessliches Bild in der Seele seines Sohnes.

Mutter und Sohn tingelten durch die Kneipen, sangen Lieder, die damals jeder Spatz vom Dach pfiff, denn mit Musik geht alles besser, und wenn es zuweilen nicht so gut ging, hat sie ihn einfach weggeschlossen in einen Schrank. Einige Scheußlichkeiten mehr werden ihm noch passiert sein, von denen er aber nur selten sprach. „Das war damals. Aber ich kann mich nicht erinnern, wann das war.“

Der liebte Heiligenbilder und Marienstatuen

Seine Stimme war sehr hoch, Falsett, und er wäre beinahe zu den Wiener Sängerknaben gekommen, hätte da nicht plötzlich der Stimmbruch eingesetzt, oder irgendein anderes Malheur. Vielleicht wäre es ihm dort in Wien besser ergangen, oder auch schlechter, denn er war nicht gern allein, aber er war auch nicht gern mit Menschen zusammen, am liebsten stand er auf der Bühne, die sein Leben war, weil ihm der Applaus die Luft zum Überleben zufächelte. Was schräg klingt, so wie er zuweilen selbst schräg klang, aber auch wundersam verklärt, wenn er das „Ave Maria“ anstimmte.

Denn die Religion war wichtig für ihn, mehr noch als der Glaube, er mochte Heiligenbilder um sich herum, die Schutz gaben, er liebte Marienstatuen und Rosenkränze und die Dornenkrone, denn er hasste sich für seine Veranlagung. Er wusste nicht, ob das Schicksal ihn zum Mann bestimmt hatte oder zur Frau, weil er intersexuell war. Hermaphrodit ist das schönere Wort, denn er war schön anzusehen, schlank, konturiertes Profil, und er betörte die Männer wie die Frauen, nur gönnte er sich die Liebe weder zum einen noch zum anderen Geschlecht. Es war die Berührungsangst, und mehr noch die Angst, berühren zu müssen, denn der Weg zum Du war unendlich weit, weil er den Weg zu sich selbst einfach nicht fand. Und wenn er sich dann gehen ließ, musste er für eine Nacht voll Seligkeit mit Gewissensbissen zahlen, wenn nicht sogar mit mehr. „Beim ersten Mal, da tut’s noch weh“ – aber auch beim zweiten Mal, und viele Male, die er seine Zuneigung an den Falschen verschwendete. „Davon geht die Welt nicht unter“, mag er traurig vor sich hin gesummt haben, aber glücklich wurde er so nicht, nur ruheloser. Und was noch schlimmer war, er konnte nicht mehr in den Spiegel schauen, ausgenommen der Garderobenspiegel, in dem er sein Bühnen-Make-up kontrollierte.

Die Welt gönnte ihm einfach nicht den Ruhm, der ihm zustand

In München tingelte er durch die Kneipen, war der Liebling aller, die Zarah Leander vergötterten und die anderen Ufa-Stars, er feierte an der Seite des Gurkenkönigs Georg Ringsgwandl Erfolge, der Applaus zahlte sich in barer Münze aus, seine Garderobe wuchs, die Mäntel und Jacketts stapelten sich, bis sein Zimmer kaum mehr zu betreten war. Die Toupets hingegen trug er meist in Plastiktüten mit sich, wo sie besser hinpassten als auf seinen Kopf, denn da wirkten sie meist verrutscht. Regisseure wurden auf ihn aufmerksam, aber für das Filmgeschäft fehlte ihm die Disziplin und auch ein wenig der Abstand zum Ego. Denn er spielte immer nur sich selbst, wobei er offenließ, um wen genau es sich da handelte. Seine Lippen zitterten, und er erweckte stets den Eindruck, als schmollte er ein wenig mit sich und mit der Welt. Denn sie gönnte ihm einfach nicht den Ruhm, der ihm zustand.

„Sing ein Lied, wenn du mal traurig bist“ und ziehe weiter, denn die Heimat ist stets anderswo. Also zog er um nach Berlin, folgte dem Lockruf Rosa von Praunheims, der ihm den großen Ruhm versprach und viele Rollen schenkte, und partout nicht von seiner Geschlechtlichkeit lassen wollte, obwohl Friedrich alles tat, um ihn zu exorzieren: „Ich hab’ mir fünf Flaschen Weihwasser geholt und während er weg war, die ganze Wohnung bespritzt, bis alles nass war. Aber dann ist er doch wieder triebhaft und verdorben geworden.“

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Auch andere Regisseure buhlten um die Nachtigall, was er in seinem kurzen Youtube-Auftritt sehr schön und eilig zusammenfasst, denn er war eine Legende zu Lebzeiten. Nur wirklich berühmt wurde er nicht, denn letztlich blieb sein Leben eine Folge von Missgeschicken. So zumindest schien es von außen. Als er etwa mit Klaus Lemke nach Rio flog, in die „Flitterwochen“, so hieß der Film, da fiel ihm sein Gebiss in die Flugzeugtoilette. Und das war noch das Kleinste aller Missgeschicke. Am Strand verlachten ihn all die Beaus, die ihn mit blassen Beinen storchenhaft umherstaksen sahen, als wäre der Sand das Meer. Und alle am Set stellten Forderungen, aber keiner nahm Rücksicht, obwohl das Memorieren ungesungener Texte so gar nicht seins war: „Das kannst du doch von mir nicht verlangen!“

Kein Wunder, dass es ihm nicht gelang, aus den Nebenrollen ins Starfach hinüberzuwechseln. Auch weil ihm das Leben immer wieder so schwer gemacht wurde. Beispielsweise wurde er vor Antritt seiner Rolle im „Namen der Rose“ verhaftet wegen unbezahlter Raten für seinen Farbfernseher. Oder die Theaterkollegen machten ihn so betrunken, dass er in den Orchestergraben fiel. Da gibt es gar nichts zu lachen. Bei Spöttern wurde er bissig. Er war ein Grenzgänger, und als solcher bat er respektiert zu werden. Was den anderen oft zu viel verlangt schien. Selbst in der Psychiatrie konnte man nichts mit ihm anfangen, denn dank seiner Gesangskunst hatte er ja einen seelischen und geistigen Existenzrahmen. Was andere Borderline-Störung nannten, war für ihn die Wandlung der Welten. Er konnte noch so oft wiederholen, dass er auf gesunde Weise verrückt war, zuhören wollte eh niemand mehr.

Das Leben - eine Gelegenheit für die ganz große Geste

Und als die Jahre in Berlin so dahingingen, obwohl sein Geburtsjahr stets näher an die Gegenwart rückte, stellte er irgendwann fest, dass ihn das Publikum nicht mehr liebte, zumindest nicht mehr so wie damals in München. Auch er begann, sein Publikum zu verachten, denn es war nicht generös, und das hasste er auf den Tod, wenn man nicht generös war im Leben, welches doch nichts anderes ist als die Gelegenheit für die ganz große Geste. Für diese Menschen ohne Gemüt war die Nachtigall letztlich nur ein schräger Vogel, und ihr Gesang weckte keine guten Gefühle mehr, nur noch Verdruss, und den entgalten sie ihm mit Häme und Spott. Selbst der Applaus klang schließlich nach Almosen.

Was ihn natürlich fuchsig werden ließ. Nachts lief er durch die Straßen, nach den Auftritten streunte er umher auf den leeren Plätzen, suchte Häuser, die ihm gefielen, denn sein Sinn für Schönheit war noch immer wach, aber die Türen öffneten sich nicht mehr. So ging es bergab mit ihm, weil alles so desolat war, und er verarmte und verwahrloste, und alles schien ein bitteres Ende zu nehmen.

Verene nahm ihn unter ihre Fittiche

Da trat die gute Fee in sein Leben, und ihr Name war nicht Dorothy wie im „Zauberer von Oz“, wo auch ein Tin Man wie er durchs Leben stolpert, ein Blechmann, klapprig wie eine Vogelscheuche, dem das Herz fehlt. In dieser Welt hieß sie Verene, und sie nahm ihn unter ihre Fittiche, denn sie hatte die Nachtigall singen hören, und mehr noch hatte sie ihr Herz schlagen sehen, dieses Kinderherz unter der sehr dünn gewordenen Haut. Ein schwacher Pulsschlag, den er selbst schon gar nicht mehr gefühlt hatte. Denn ihm war die Achtung für sich selbst abhandengekommen, und er hatte auch gar keinen Blick mehr dafür, wie es um ihn stand, denn er war blind geworden, wirklich und wahrhaftig blind. Die Nachtigall und der grüne Star.

Verene führte ihn an der Hand, und er sang weiter und hörte alle Stimmen, die er schon immer gehört hatte, nur viel deutlicher, und plötzlich fand er auch den Mut, Danke zu sagen für all das, was ihm Gutes widerfahren war und was Verene für ihn tat. In seinen letzten 20 Jahren schuf sie ihm, was er nie besessen hatte: ein Zuhause. Und sie gab ihm, was er nie hatte fühlen dürfen, das Gefühl, ohne Bedingung angenommen zu werden, und er wurde das Kind, das seine Mutter ihm einst verboten hatte zu sein. Es war keine Liebe, es war mehr, es war das gegenseitige Vertrauen, dass alles gut werden wird, jetzt und in alle Ewigkeit, wider alle Vernunft, was Zarah Leander einst folgendermaßen ausgedrückt hat: „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh’n.“

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