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Klimastreik und Demonrstration von Fridays for Future.

© Christoph Soeder/picture alliance/dpa

Fridays for Future in Berlin: "Auch Demonstrieren will gelernt sein"

Die Klimastreiks haben eine Diskussion um die Schulpflicht ausgelöst – inzwischen haben einige Schulen kreative Lösungen gefunden.

"Wenn wir die Probleme nicht in den Griff bekommen, dann werdet ihr alle voraussichtlich schlimme Katastrophen erleben." Das sagte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter bei einer Diskussion mit Schülern des Dreilinden-Gymnasiums in Nikolassee am vergangenen Dienstag. Er sei überrascht, wie besonnen sich streikende Schüler angesichts der ernsten Lage verhielten.
Die Schule hatte Hofreiter eingeladen, um mit ihm über den Klimawandel und mögliche Lösungsansätze zu diskutieren. Es ging um große globale Fragen: CO2-Steuer, weltweiter Emissionshandel, die Ausgestaltung der Windkraftförderung. Während Hofreiter im Allgemeinen Probleme beschrieb, wollten die in der Aula anwesenden Oberstufenschüler gerne über Details sprechen.

Der Gast war reichlich verwundert über den Kenntnisstand der Gruppe. "Wer kann uns jetzt gerade noch folgen?", fragte er, als es darum ging, ob ein von den Grünen geforderter Mindestpreis im europäischen Emissionshandelssystem überhaupt Sinn mache. Fast alle Hände streckten sich sofort in die Höhe. Zum Schluss durfte noch jeder eine beliebige Frage stellen. Eine Schülerin wollte wissen, wie sich Klimaschutz und Kapitalismus in Zukunft vertragen könnten. Hofreiter antwortete klar: "Nur weil die Wirtschaft nicht wächst, wird man nicht ökologischer." Bestes Beispiel unter den Industriestaaten sei Griechenland.

Schülerdelegationen werden zum Klimastreik entsandt

Auch in Entwicklungsländern wie Haiti gebe es schlimme Umweltzerstörungen, während ein hochentwickeltes Land wie Norwegen schonender mit der Natur umgehe. Nach der Veranstaltung zeigte sich Schulleiter Jens Stiller hochzufrieden mit seinen Schülern: "Sie haben das sehr professionell gemacht. Das war eine richtige Bildungsveranstaltung." Stiller ist es wichtig, dass seine Schüler politisch aktiv sind und sich zu aktuellen Fragen Gedanken machen. Deswegen sollen Schüler auch auf Wunsch an Klimademonstrationen wie Fridays for Future teilnehmen können, ohne dies als Fehlzeit angerechnet zu bekommen.

Jens Stiller ist Schulleiter des Dreilinden-Gymnasiums. Er will, dass sich seine Schüler mit dem Thema Klimaschutz aktiv auseinandersetzen.
Jens Stiller ist Schulleiter des Dreilinden-Gymnasiums. Er will, dass sich seine Schüler mit dem Thema Klimaschutz aktiv auseinandersetzen.

© Kai Gies

Die Schule entsendet einmal im Monat Delegationen von 15 bis 30 Schülern, die sich vorher in eine Liste eintragen müssen. "Die Idee kam uns relativ schnell nach dem Beginn der Proteste. Wir haben das in der Schulkonferenz diskutiert und dann beschlossen", sagte Stiller. Nur wenn sich Schüler rechtzeitig für eine Demonstration anmelden, gelten sie auch als entschuldigt.

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Der versäumte Unterricht muss an anderer Stelle nachgeholt werden. "Es geht in erster Linie darum, unser demokratisches System kennenzulernen. Auch Demonstrieren will gelernt sein", sagte Stiller. Zu Beginn habe es noch Bedenken bei einigen Eltern gegeben, die Schüler bei ihrem Anliegen so offen zu unterstützen. Stiller betonte deshalb, dass niemand zur Teilnahme an Demonstrationen gezwungen werde. Der nächste globale Klimastreik von Fridays for Future findet am 24. April statt. Der Ort wird noch bekannt gegeben.

Senatorin Scheeres steht zur Schulpflicht

In der Vergangenheit war Fridays for Future immer wieder Streitthema an Berliner Schulen. Ein Schulleiter, der auf die Einhaltung der Schulpflicht bestand, berichtete sogar von Beleidigungen und Drohanrufen. Inzwischen habe sich die Situation an der Schule entspannt. Sogar eine eigene Schuldelegation mit 60 Schülern habe man zur letzten Großdemonstration im November geschickt.

Bildungssenatorin Scheeres (SPD) will trotz der Kooperation der Senatsverwaltung mit Fridays for Future eine Teilnahme an Klimademos nicht unterstützen. "Das ist die Eigenverantwortung der Schüler. Dann müssen sie auch mit den Konsequenzen leben", sagte sie Anfang Februar auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Vertretern der Klimabewegung.
Inzwischen versuchen einige Schulen, mit dem Phänomen anders umzugehen. Eine Gemeinschaftsschule verlangt von demonstrierenden Schülern Beweisfotos und das Einverständnis der Eltern. Dann gilt die Fehlzeit als entschuldigt.

Am Leibniz-Gymnasium in Kreuzberg gibt es die Möglichkeit, die Teilnahme an Klimademos auf dem Zeugnis zu vermerken. Die Fehlzeiten sind zwar nach wie vor unentschuldigt, allerdings nun offiziell "im Zusammenhang mit der Teilnahme an Fridays for Future entstanden", solange die Eltern einwilligen.

Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) kooperiert mit Fridays for Future. Jede Schule soll nach ihrer Vorstellung einen "Klimavertrag" abschließen.
Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) kooperiert mit Fridays for Future. Jede Schule soll nach ihrer Vorstellung einen "Klimavertrag" abschließen.

© Carsten Koall/dpa

So könne einerseits die Einhaltung der Schulpflicht gewahrt und andererseits dem Engagement der Schüler Rechnung getragen werden, sagte Schulleiterin Renate Krollpfeiffer-Kuhring. "Die Unterschrift der Eltern ist wichtig, denn wir haben ehrlich gesagt auch Schüler, die freitags zu Hause bleiben und eben nicht an Demonstrationen teilnehmen." Eigene Delegationen schicke die Schule nicht zu den Demos, da nicht alle Eltern dafür seien.

Landesschülerausschuss setzt auf Kompromisse

Das Leibniz-Gymnasium ist längst nicht die einzige Schule, die Fehlzeiten auf dem Zeugnis speziell kennzeichnet. „Wir haben uns mit mehreren Schulen in Friedrichshain-Kreuzberg auf dieses Vorgehen verständigt“, sagte Krollpfeiffer-Kuhring.

Der Landesschülerausschuss (LSA) begrüßte auf Nachfrage die neuen Ansätze einiger Schulen. Dessen Vorsitzender Miguel Gongora sagte, es sei "gut, wenn das ehrenamtliche Engagement der Schüler als solches anerkannt wird". Schüler und Schulleitungen müssten gemeinsam Kompromisse erarbeiten, um den Schulfrieden zu wahren. Deswegen seien auch die Klimadelegationen eine gute Idee.

Der LSA soll nach den Plänen von Bildungssenatorin Scheeres Teil eines Beirats sein, der ab März über die Umsetzung von sogenannten Klimaverträgen an Schulen berät. In dem Beirat sitzen auch Wissenschaftler und Vertreter von Nichtregierungsorganisationen (NGO). Die Verträge sollen zwischen Schülern und Lehrerschaft an jeder Schule einzeln ausgehandelt werden und konkrete Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit beinhalten.

Am Leibniz-Gymnasium haben einige engagierte Schüler bereits ein eigenes Plenum gebildet: "Leibniz for Future". Hier wurde schon über verschiedene Projekte diskutiert. Flugreisen bei Schulfahrten könnten möglicherweise in Zukunft gestrichen werden.

"Kohleausstieg jetzt" fordern Aktivisten bei einer Demonstration im Invalidenpark am Rande des Regierungsviertels.
"Kohleausstieg jetzt" fordern Aktivisten bei einer Demonstration im Invalidenpark am Rande des Regierungsviertels.

© imago images/Müller-Stauffenberg

Kleinere Maßnahmen wurden bereits umgesetzt: Lehrer sollen zum Beispiel darauf achten, Papier beidseitig zu kopieren. "Die Schüler haben schon einen kritischen Blick darauf, was in der Schule passiert. Aber sie sehen auch, dass wir für ihre Anliegen offen sind", sagte die Schulleiterin.

Kai Gies

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