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Gemeinsam glücklich. Eva und Randall haben sich in Südafrika kennengelernt und leben mit ihren beiden Kindern in Berlin-Mitte.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Rassismus in Berlin: „Seine Hautfarbe oder unsere Beziehung ist für viele ein Problem“

Beleidigungen und missbilligende Blicke. Ein Paar überlegt, aus Berlin wegzuziehen, weil es den Alltagsrassismus nicht mehr erträgt.

Diese Liebesgeschichte hätte sich kein Drehbuchautor besser ausdenken können: Er, der Sohn einer malaiischen Mutter und eines schwarzen Südafrikaners, aufgewachsen in einem von Armut und Gewalt geprägten Ghetto bei Kapstadt, begegnet seiner Traumfrau. Sie ist klug, witzig und bodenständig. Eine Grafikdesignerin, im Westen Deutschlands in gutbürgerlichen Verhältnissen groß geworden. Blond und hellhäutig.

Die beiden lernen sich an einer Privatschule für Digitale Gestaltung in Kapstadt kennen - und lieben. Ungeachtet biografischer und kultureller Unterschiede, bürokratischer Hürden und vermeintlich wohlmeinender Ermahnungen aus dem nahen Umfeld, dass eine solche Beziehung doch sowieso keine Zukunft habe.

Aller Unkenrufe zum Trotz leben Eva und Randall Bernhard zehn Jahre später glücklich verheiratet mit zwei süßen, kleinen Kindern in Berlin-Mitte. In einem von überwiegend gut situierten und akademisch gebildeten Anwohnern geprägten Kiez zwischen Zionskirche und Arkonaplatz, wo im Frühsommer die Linden duften und zahllose Kinder sich auf den schönen, großen Spielplätzen tummeln.

Eigentlich könnte die Geschichte hier zu Ende sein, doch auch wenn es für ihre große Liebe tatsächlich ein Happy End gab, fingen an dieser Stelle die wirklichen Probleme der Familie erst an.

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Deutschland möchte ein Einwanderungsland sein. Berlin gibt sich gerne als hippe und weltoffene Stadt. Doch die binationale Familie Bernhard bekommt hier eher Gegenteiliges zu spüren. Das Thema „Alltagsrassismus“ beschäftigt sie so sehr, dass sie damit an die Öffentlichkeit gehen wollen.

„Fast täglich erleben wir es, dass Randalls Hautfarbe oder unsere Beziehung ein Problem für überraschend viele Menschen darstellt“, sagt Eva, während sie auf dem Sofa ihrer gemütlich eingerichteten Zweizimmerwohnung ihre schlafende kleine Tochter im Arm hält.

„Geh’ doch nach Hause zu deinem schwarzen Bimbo!“

Da sei zum Beispiel der Hausverwalter, der Randall nach vier Jahren bei der Begegnung an der Haustür immer noch anblicke, als müsse er überlegen, ob er diesem Menschen mit der dunklen Hautfarbe wirklich Zutritt ins sanierte Mietshaus gewähren solle. Da sind manche verstohlen oder offen kritische Blicke beim gemeinsamen Spazierengehen, das auffällige plötzliche Wegschauen oder Aufstehen von Fahrgästen in der U-Bahn, das Kopfschütteln der alten Dame im Spreewald: „Wo soll das noch hinführen?!“.

Da ist die jähe Furcht, als das Paar im Tiergarten einer Gruppe offensichtlich rechtsgesinnter Halbstarker begegnet. Die jungen Rechten bleiben stehen, flüstern, werfen drohende Blicke, sodass die Bernhards sicherheitshalber schnellen Schrittes das Weite suchen. Da ist auch die Erfahrung mit dem Mann am Geldautomaten, den Randall aus Höflichkeit vorlassen möchte: Als Dank beschuldigt dieser Randall, ihn ausrauben zu wollen.

Da sind auch Randalls weiße Arbeitskollegen in der Werbeagentur, die in Anwesenheit des neuen Kollegen spürbar Probleme damit haben, ihre Meinung zur Flüchtlingsfrage beim Mittagessen so salopp und jenseits politischer Korrektheit wie gewohnt äußern zu können. Oder Evas Arbeitskollegin, die nach einem Streit zu ihr sagt: „Geh’ doch nach Hause zu deinem schwarzen Bimbo!“

Es ist bitter, dass den beiden sogar in Berlin so viel Skepsis und Ablehnung entgegenschlägt. Die damit verbundenen Ängste verstehe ich und ich wünschte, es gäbe diesen sicheren, rassismusfreien Ort irgendwo, am besten viele Orte!

schreibt NutzerIn nanen

„So subtil solche Reaktionen sind, man spürt bald schon, wie sie gemeint sind“

Während Eva erzählt, streicht sie ihrem dreijährigen Sohn mit den dunklen Haaren und der karamellbraunen Haut liebevoll über den Kopf. „Wenn offensichtlich ist, dass eine Beziehung zwischen einem Schwarzen und einer Weißen nicht nur ein Abenteuer ist, dass sogar Kinder aus ihr hervorgehen, ist es plötzlich nicht mehr weit her mit der Toleranz“, sagt sie bedrückt.

Sie erinnert sich an einen Besuch bei der Ausländerbehörde, wo eine Angestellte über das gut gekleidete, schwarz-weiße Paar ostentativ den Kopf schüttelt und das fröhliche „Hallo!“ ihres kleinen Sohnes kalten Blickes ignoriert. Oder an die bissige Frage der Kinderärztin an ihren Mann: „Wie wollen Sie eigentlich dieses Kind erziehen, wenn Sie so schlecht Deutsch sprechen?“

Als der 38-jährige Webdesigner in der Öffentlichkeit seinen sichtbar hellhäutigeren Sohn auf dem Arm hatte, musste er sich die besorgte Frage gefallen lassen, wo denn die Eltern des Kindes seien.

„So subtil solche Reaktionen sind, man spürt bald schon, wie sie gemeint sind, und sie tun weh“, sagt Randall auf seine ruhige, stets reflektierte Art, rückt seine Brille zurecht und stützt dann liebevoll den Rücken seiner wenige Wochen alten Jüngsten im Tragetuch. Die Haut der Kleinen ist so hell, dass sie kaum mehr an die Herkunft des Vaters erinnert.

„Es ist traurig. Aber manchmal habe ich mir fast gewünscht, dass unser zweites Kind noch heller wird als das erste“, sagt Eva. Und Randall fügt nachdenklich hinzu: „Für mich ist es gleichzeitig ein seltsames Gefühl, dass meine eigenen Kinder so ganz anders aussehen als ich.“

Dieser Artikel macht sehr traurig. Es ist unerträglich zu lesen, wie Menschen mit Menschen, die anders sind, umgehen. [...] Ich wünsche der Familie Bernhard alles Gute, viel Kraft und dass sie hoffentlich auch viele positive Erfahrungen mit guten Menschen erleben werden.

schreibt NutzerIn herjeh

Die Zahl rassistisch motivierter Vorfälle in Berlin nimmt zu

Die binationale Familie Bernhard ist nicht die einzige, die sich in Berlin mit Alltagsrassismus, der von subtilen Blicken und Beschimpfungen bis hin zu körperlichen Angriffen reicht, auseinandersetzen muss. Der Verein „ReachOut“ beobachte „aktuell eine extreme Enttabuisierung dessen, was im öffentlichen Raum möglich ist“, sagt Sabine Seyb, Mitarbeiterin der in Moabit ansässigen Opferberatung und Bildung gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. Der verstärkte Zulauf, den rechtspopulistische und nationalkonservative Parteien wie die AfD verzeichnen sowie der Umstand, dass der politische Kurs und Ton im öffentlichen Diskurs über den Umgang mit Flüchtlingen und Ausländern schärfer und härter geworden ist, mögen den Boden dafür ebnen.

Da schlägt zum Beispiel eine Mutter einer Schwangeren in Lichtenberg im Mai 2018 nach rassistischen Beleidigungen in den Bauch. Ein 14-Jähriger wird in Köpenick an einer Bushaltestelle an einem Vormittag im Juli 2018 von einem Unbekannten rassistisch beleidigt, zu Boden gestoßen und in den Bauch getreten.

Die Dunkelziffer dieser Vorfälle ist enorm

Für das Jahr 2018 dokumentierte das „Register zur Erfassung rechtsextremer und diskriminierender Vorfälle in Berlin“ 1355 rassistisch motivierte Vorfälle, das sind knapp 500 mehr als im Vorjahr. Auch die Zahl der Vorfälle mit antisemitischem Hintergrund ist im Vergleich zum Vorjahr um 250 auf 787 registrierte Vorfälle gestiegen.

Betroffen sind häufig auch Kinder und Jugendliche. Die Dunkelziffer, auch in Institutionen wie Kindertagesstätten und Schulen, sei enorm hoch, sagt Seyb. Die Angriffe und Beleidigungen sind fast immer „Botschafts-Taten“, die den Betroffenen vor allem eines zeigen sollen: „Du gehörst hier nicht hin!“. Die Folgen sind vielschichtig und münden häufig in traumatischem Stress, der sich unter anderem als Depression bemerkbar machen kann.

Auch Randall Bernhard ist manchmal traurig, sein Leben lang hat er hart arbeiten müssen. „Den Integrationsprozess nehme ich gern als Herausforderung an“, sagt er. Und so gehe es sicher nicht wenigen Menschen anderer Nationalitäten. „Umso mehr schmerzt es mich, so viel Abwertung zu erleben“, sagt der junge Vater.

Randall hat sich von ganz unten hochgearbeitet

Während Randalls kurzer Kindheit in der riesigen Township Mitchell's Plain im Südosten Kapstadts sind Gewalt zwischen Gangs, Schießereien und Kriminalität an der Tagesordnung. Der Vater verlässt die Mutter, eine Schneiderin, und die vier gemeinsamen Kinder, als Randall zehn ist. Von nun an wird er sich um seinen jüngeren Bruder kümmern.

Mit 17 muss Randall das Gymnasium verlassen, um Geld zu verdienen. Er arbeitet als Sicherheitsmann und in einer Matratzenfabrik. Und er spart jeden Cent, den er erübrigen kann. Denn er hat einen Traum: Er, der seit früher Kindheit jedes verfügbare Blatt mit kleinen Skizzen versehen hat, will richtig zeichnen lernen.

Die Anfänge eignet sich Randall auf einer Kunstschule für Schüler aus armen Verhältnissen an. Dann muss er wieder auf dem Bau arbeiten, das Geld ist alle. Ein Kollege drängt ihn, jemandem seine Zeichnungen zu zeigen. Mit viel Durchhaltewillen landet Randall schließlich an einer Privatschule für Digitales Design, deren Leiter sein Potential erkennen und von seiner strebsamen und freundlichen Art so angetan sind, dass sie zu Mentoren und Freunden werden: Halbtags arbeitet Randall hier nun als Dozent, die restliche Zeit darf er dafür kostenlos an den Kursen teilnehmen. Sein Arbeits- und Studientag dauert so von acht bis 23 Uhr. Als Randall keine Bleibe mehr hat, stellen die Schulleiter ihm ein Bett in ihre Garage.

„Sie ist meine Traumfrau, weil sie die gleiche Lebensfreude besitzt wie ich“

An dieser Privatschule lernt er 2009 Eva kennen. Die Frau, die so anders ist als die anderen sonnen- und partyhungrigen jungen Grafik-Studenten, die es hierher in die vibrierende südafrikanische Metropole am Atlantik zieht. Deren Vitalität sich wie bei ihm mit einer gewissen Nachdenklichkeit paart und der er Briefe mit Herzchen schreibt.

„Sie ist meine Traumfrau. Nicht, weil sie weiß ist, sondern weil sie die gleiche Lebensfreude besitzt wie ich“, sagt Randall. Als Eva zurück nach Deutschland muss, stehen einer nahtlosen Fortsetzung der Beziehung zunächst rigide Visabestimmungen im Weg. Doch das Paar hält durch und heiratet Ende 2014.

Aktuell steht endlich auch die unbefristete Aufenthaltsgenehmigung ins Haus. Denn die Familie will in Deutschland leben. „Eva braucht ihre Familie, sie fühlt sich hier am wohlsten. Es ist selbstverständlich für mich, alles zu tun, um meine Frau glücklich zu machen“, sagt Randall in seiner schnörkellosen Art.

Leicht haben sich beide das gemeinsame Leben nie vorgestellt. Auch bei der Erziehung gilt es, manche kulturellen Hürden zu überwinden. Zum Beispiel beim Thema Weinen-Lassen des Säuglings, wenn die Mutter gerade für sich selbst sorgen muss. Für Randalls alleinerziehende Mutter war Letzteres notwendige Realität, für Eva ist es eine Undenkbarkeit. Auch das Thema Sauberkeitserziehung wurde in seiner südafrikanischen Kindheit anders gehandhabt. „Doch das sind Kleinigkeiten, an denen unsere Beziehung wächst“, sagt Eva lächelnd.

„Leider gibt es diesen garantiert Rassismus-freien Ort nicht“

Ob die Familie in Berlin wohnen bleiben wird, ist allerdings offen. Manches Mal schon haben die Bernhards überlegt, aus Berlin, ihrer Wahlheimat, die sie an sich so sehr mögen, wegzuziehen. In die Niederlande vielleicht, die vielen Beobachtern allerdings längst auch nicht mehr als die weltoffene Nation wie noch vor Jahrzehnten gilt.

[Hilfe und Beratung finden Opfer rechter, rassistischer oder antisemitischer Gewalt in Berlin unter anderem bei folgenden Stellen: www.reachoutberlin.de (Tel. 69 56 83 39), www.opra-gewalt.de (Tel. 92 21 82 41) sowie bei www.kids.kinderwelten.net (Tel. 80 20 63 23)]

Dennoch erhoffen sich die Bernhards hier mehr Sicherheit und Toleranz. Die Suche nach dem sicheren Ort kennt auch Sabine Seyb von „ReachOut“: „Wir werden von Menschen, die sich Rassismus ausgesetzt sehen, immer wieder gefragt, wo sie hinziehen können. Leider gibt es diesen garantiert Rassismus-freien Ort nicht. Weder in noch außerhalb Berlins.“

Ein möglicher Umzug muss bei den Bernhards derzeit sowieso warten. „Erstmal muss unser kleines Mädchen etwas größer werden“, sagt Eva mit zärtlichem Lächeln. Dann sucht ihre Hand die ihres Mannes. Ihr kleiner Sohn macht sofort mit beim lustigen Hände-Stapeln und legt schnell die seine – patsch! – oben drauf. Drei Hände. Drei Farben. Eine Familie.

Eva Steiner

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