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Hip oder nicht hip? Um diese Frage zu beantworten, brauchen wir keinerlei Hilfe aus Übersee.

© dpa

Fremdbestimmtes Berlin-Gefühl: Hype hin oder her: Ignoriert die "New York Times"!

Gentrifizierung, Clubsterben, Kiezgefühl: Richtig interessant scheinen Berliner ihre eigenen Themen immer erst zu finden, wenn internationale Medien sie aufgreifen. Das zeugt von mangelndem Selbstbewusstsein. Weltstadt wird man so nicht.

Schon gut, klar, diesmal war die „New York Times“ es gar nicht. Diesmal war es der „Rolling Stone“, der dem Berghain ein Gentrifizierungsproblem attestierte und damit in Berlin eine Phase urbaner Unsicherheit einleitete: Sind wir noch cool? Und was sind wir überhaupt, wenn wir nicht mehr cool sind? Schon machten sich Schreckensszenarien in den Köpfen breit: alle hippen Leute weg, alle Beats, alle Clubs, alle Zwischennutzerei. Wer bleibt: reaktionäre Bolle-Berliner, langweilige Yuppies und depressive Alt-Sponties ohne neue Ideen. Wie furchtbar! Wie furchtbar!

"Times" begleitete den Berlin-Hype intensiv

Trotzdem: Die „Times“, die den Berlin-Hype in der Vergangenheit intensiv begleitet hat, soll hier stellvertretend genannt sein für all jene globalen Leitmedien, die Berlin mit ihrem Jubel (oder ihrer Häme) mühelos an den Rand eines Nervenzusammenbruchs bringen können. Immerhin hat sie in besonderer Weise jene natürliche Autorität, die Szene (und Medien) dieser Stadt dem anglophon Internationalen zumaßen. Frei nach dem Motto: Echt, in New York spricht man über uns? Dann muss das ja was sein!

Aber warum ist das so? Vermutlich hat auch dies, wie so vieles in diesem Land, mit Hitler zu tun. Zu den Schattenseiten des selbstkritischen Geschichtsbewusstseins der Hiesigen gehört ja, dass sie – um ja nicht auch nur im Entferntesten nationalchauvinistisch rüberzukommen – alles „hypen“, was fern, fremd und exotisch, und alles skeptisch beäugen, was nah, bekannt und vertraut ist. Frei nach dem Motto: Wer will schon nach Thüringen, wenn’s grüne Hügel auch in Neuseeland gibt? Hinzu kommt ein seltsamer Exklusivitätskult, erwachsen aus dem Misstrauen gegenüber Massen und der Bequemlichkeit, die sie den Einzelnen bieten: Es taugt nur etwas, was mit Mühsal erreicht und wenigen geteilt wird.

US-Fixierung trifft auf Tüv-Rheinland-Mentalität

Hip oder nicht hip? Um diese Frage zu beantworten, brauchen wir keinerlei Hilfe aus Übersee.
Hip oder nicht hip? Um diese Frage zu beantworten, brauchen wir keinerlei Hilfe aus Übersee.

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Aus dieser Denkungsweise rührt dann auch die Unsicherheit der deutschstämmigen Avantgarden darüber, ob Berlin tatsächlich so toll ist, wie es sich manchmal – leider, möchte man fast sagen – anfühlt. Immerhin hat man es hier mit einem von den heimischen Lehrerhaushalten zwischen Wilhelmshaven und Friedrichshafen nicht gerade schwer zugänglichen Gelände zu tun. Kein Dschungelgewässer musste gegen den Strom bepaddelt, kein Tuk-Tuk-Ritt quer durch Pnom Penh überstanden werden. Das kann ja eigentlich nichts taugen! Es sei denn, der große Bruder gibt sein Placet. Dann betrachtet man sich auf einmal im Spiegel wie ein normalunattraktiver Durchschnittsmensch nach einem Kompliment von George Clooney: Stimmt, so schlecht sehe ich gar nicht aus!

Ur-Berliner sind entspannter

Sehen wir es mal praktisch: 99,9999 Prozent des Berliner Lebens verändern sich nicht zum Besseren oder Schlechteren, weil irgendein Korrespondent, der wie wir alle in Berlin lebt und erlebt, Begeisterung oder Verdammung in eine Zeitung schreibt, die ihren Stammsitz einen Ozean entfernt hat. Die Berlin-Hype-Texte aus Übersee trafen und treffen allesamt zu einem Zeitpunkt hier ein, da ein wacher Beobachter der eigenen Umwelt schon sehen konnte und kann, wie das dort Gefeierte – Brachen, Aufbruch und Spontaneität – im Schwinden begriffen ist. Sie müssten für den hiesigen Diskurs eigentlich vollkommen uninteressant sein. Davon abgesehen, dass sie den Strom der Neuankömmlinge vielleicht etwas dünner machen. Aber wie egal wäre das einer wirklichen Weltstadt?

Dass all das dem Berliner Publikum offenbar alles andere als egal ist, zeigt, neben einem Ego-Problem, auch das Fehlen eigener Vorstellungen davon, was eine lebenswerte Stadt ausmacht. Daneben wirkt die aus der westdeutschen Provinz (Ur-Berliner sind entspannter) eingeschleppte Tüv-Rheinland-Mentalität, die sich überall nach Gütesiegeln sehnt. Dass solche nach Einschätzung der Hiesigen offenbar am ehesten die New Yorker Weltstadtprofis verteilen können, wirft ein schönes Licht auf eine verbreitete Sparversion von Kosmopolitismus, die auf einem US-Austauschjahr und ein paar Backpacker-Episoden basiert. Blöd für die Stadt, die von derlei Schmalspurtum geprägt wird: Solange ihr Zwischenrufe aus New York nicht genauso egal sind wie den New Yorkern dieses Textchen hier, bleibt auch sie, Hype hin oder her, ein kleiner, provinzieller Spießer. Und sehr, sehr deutsch.

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