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Billy Smith (grünes Trikot) spielt Cricket, seit er acht Jahre alt ist.

© Sven Darmer

Freizeitcricket in Berlin: Bei den Treptower Knockers kommt jeder zum Wurf

Cricket boomt in Berlin, Studierende und Geflüchtete haben dem Sport zu Beliebtheit verholfen. Doch viele andere Berliner wissen nicht, was es damit auf sich hat.

Billy Smith nimmt Anlauf, zieht seinen Arm ein wie zum Schlag, bevor er weit ausholt und den Ball in Richtung des Schlägers entlässt. Seine Bewegung ist präzise durchchoreografiert, der Blick konzentriert. Billy macht diese Bewegung, seit er acht Jahre alt ist. Er kommt, wie die Sportart selbst, aus England und ist einer der erfahrensten Spieler der „Treptower Knockers“.

Die gibt es erst seit April vergangenen Jahres. „Ein paar Leute trafen sich, spielten dienstags zusammen im Park“, sagt Billy. Das lockte immer wieder Interessierte an. „In einer Woche schauten sie nur zu, ein paar Wochen später waren sie Teil des Teams“, erzählt Billy. Ihm selbst ging es genauso. Nur vier Monate nach den ersten Sessions, waren es schon gut 40 Cricketers, die im Treptower Park miteinander Bälle warfen.

Hier und da ein Fetzen Deutsch, die Trainingssprache ist aber Englisch. „Well done, mate“ und „Good boys, good“, ruft Billy seinen Teamkollegen zu. Als versierter Cricketer übernimmt er so etwas wie die Trainerrolle. Die zwölf Knockers, die an diesem Dienstag trainieren, sind der Kern der losen Cricketgruppe aus dem Treptower Park. Sie treffen sich nicht nur zum lockeren Spiel mit weichem Ball und ohne Schutzausrüstung.

Sie meinen es ernst, zumindest ein bisschen. Ein Verein sind sie bisher nicht, aber Trikots haben sie schon, pinker Stoff mit schwarzen Ärmeln, „serious cricket“ steht darauf. Auf dem Herzen lugt ein Einhorn über dem Teamnamen hervor, es soll die Haltung der Knockers verkörpern.

„Bei der Gründung haben wir uns gefragt, wofür wir als Mannschaft eigentlich stehen wollen“, erzählt Adam Shingleton, eines der Gründungsmitglieder. Antirassismus ist ihnen ein Anliegen, Antisexismus und Antidiskriminierung. „Wir sind inklusiv und wollen, dass alle mitmachen können“, sagt auch Billy.

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Laut Deutschem Cricketbund (DCB) hat die große Mehrheit der Cricket-Spieler:innen in Deutschland einen Migrationshintergrund. „Das sind Geflüchtete aus Ländern, in denen Cricket Volkssport ist, aber auch Studierende“, sagt Brian Mantle, der dem DCB vorsitzt. Vor allem aus Ländern wie Indien oder Pakistan kämen junge Akademiker:innen nach Deutschland um hier Informatik zu studieren oder als Ingenieur:in zu arbeiten.

Zwar hört man immer wieder mal ein paar Fetzen Deutsch, doch auf dem Spielfeld ist die Sprache Englich.
Zwar hört man immer wieder mal ein paar Fetzen Deutsch, doch auf dem Spielfeld ist die Sprache Englich.

© Sven Darmer

Auch die Knockers kommen aus den verschiedensten Ländern: Indien, Nepal oder Pakistan, aber auch England, Australien und Deutschland. Bei den Knockers ist man nur eines: Berliner. „Unser Team ist so divers wie die Stadt“, sagt Billy. Wichtig ist vor allem die soziale Funktion, die ihr Team übernimmt.

Billy lebt seit 2014 in Berlin, kannte die Stadt vor den Knockers. Einige andere sind ganz neu. Für sie sind die Trainings ein regelmäßiger Termin, bei dem sie sich mit anderen über ein gleiches Interesse austauschen können, ein soziales Netz und für manche auch eine Erinnerung an ihre Heimat. „Gerade in Coronazeiten war unsere WhatsApp-Gruppe für einige wichtig, die sehr isoliert waren“, sagt Billy.

In der Berliner Liga spielten aktuell hauptsächlich Spieler mit süd-asiatischem Hintergrund, sagt Billy. „Wir wollen mit unserem Team etwas Multikulturelleres schaffen, wo jeder sich einbringen und mitmachen kann.“ Auch Deutsche. Die zu rekrutieren sei schwierig, viele wüssten nicht, was Cricket überhaupt ist. „Ganz oft denken Menschen, ich meine Croquet, wenn ich von Cricket spreche“, sagt Billy.

Tatsächlich spielen in Deutschland etwa 15000 Menschen Cricket, schätzt der DCB-Vorsitzende Mantle. Knapp 1,9 Millionen Menschen sind allein im Deutschen Fußballbund (DFB) organisiert. Cricket ist in Deutschland ein Nischensport, aber ein wachsender. „Vor fünf Jahren gab es in Deutschland 150 registrierte Mannschaften“, sagt Mantle. Heute seien es schon mehr als 370 Mannschaften, zehn davon in Berlin, auch eine Cricket-Liga gibt es dort. In der können die Knockers aber erst spielen, wenn sie einen Verein gegründet haben.

Die Regeln des Spiels sind kompliziert

Schon als Kind spielte Billy mit seinem älteren Bruder Cricket. „Meine Mutter hat uns unser ganzes Leben zugesehen“, sagt er. „Die Regeln versteht sie immer noch nicht vollständig.“

Klassische Cricketfelder sind ovale Rasenflächen, etwa 140 Meter im Durchmesser. In der Mitte des Ovals gibt es einen Sandstreifen, die sogenannte Pitch. An den Enden des Sandstreifens steht je eine Holzkonstruktion aus drei Stäben, das sogenannte Wicket. Ziel der Feldmannschaft ist es, das Wicket der gegnerischen Mannschaft zu zerstören. Dafür wirft der:die sogenannte Bowler mit einem Ball auf das Wicket. Ein:e Batsman der gegnerischen Mannschaft, also ein:e Spieler:in mit Schläger, schützt dieses Wicket.

Der:die Batsman versucht, den Ball möglichst weit weg zu schlagen. Damit sammelt er:sie Punkte („Runs“) – je weiter ein Schlag, desto mehr Punkte gibt es. Der:die Schlagende:r und ein:e Partner:in aus der eigenen Mannschaft laufen zwischen den beiden Wickets an den Seiten des Sandstreifens hin- und her. Jeder vollständige Seitenwechsel gibt weitere Punkte – ganz ähnlich wie die Homeruns beim Baseball. Der:die Bowler hingegen versucht, den Ball so zu werfen, dass der:die schlagende A-Batsman diesen gar nicht trifft – oder so, dass der:die Batsman einen Fehler macht und dadurch ausscheidet.

Ziel der Feldmannschaft ist es, das Wicket (blaue Holzstäbe) der gegnerischen Mannschaft zu zerstören.
Ziel der Feldmannschaft ist es, das Wicket (blaue Holzstäbe) der gegnerischen Mannschaft zu zerstören.

© Sven Darmer

Das umständliche Regelwerk, aber auch überholte Klischees tragen sicherlich dazu bei, dass sich in Deutschland so wenige für Cricket begeistern. Ein Sport für Gentlemen sei Cricket, mit Teepausen und Partien, die mehrere Tage dauern können. Ein Irrglaube, sagt Billy: „In Berlin spielen wir nur Eintagesspiele oder noch kürzere, die zwei bis drei Stunden dauern.“

Die Knockers stehen im Training viel auf dem Feld und warten, bis ein ein Schläger den Ball trifft. Dann läuft kurz alles durcheinander, bis der nächste Wurf kommt. Anstrengend ist das trotzdem. Billy wischt sich immer wieder mit dem Ärmel seines Trikots den Schweiß von der Stirn. Angestrengte Röte kriecht aus seinem Trikotkragen den glattrasierten Schädel hinauf. Seine Hände riecht man selbst dann, als er die Handschuhe längst ausgezogen hat.

Zweimal wöchentlich trainieren die Treptower Knockers aktuell, um fit für ihr erstes großes Spiel zu werden. Zum Auftakt geht es direkt in die Niederlande, für drei Freundschaftsspiele. Danach trainieren freitags noch die, „die es ernst meinen“, sagt Billy. Alle anderen, die mehr aus Spaß dabei sind, treffen sich dann wieder im Treptower Park für ein paar lockere Würfe. Und ein Bierchen.

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