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Disziplin und Wille. Nora Schmidt-Kesseler hat viel gearbeitet, um ganz oben im Verband anzukommen.

© Promo/Die Hoffotografen

Frauen in der Berliner Wirtschaft: Sie hat sich nach oben geboxt

Nora Schmidt-Kesseler ist Hauptgeschäftsführerin des Verbandes Nordostchemie. Mit 36 Jahren hatte sie bereits eine Spitzenposition bei der Bundessteuerberaterkammer. Wie geht das?

Nora Schmidt-Kesseler war schon einiges, bevor sie Hauptgeschäftsführerin des Verbands Nordostchemie in Berlin wurde – auch Kindergeburtstags-Ausrichterin. Und das bereits im Alter von zehn Jahren.

Das war ihr erstes Geschäftsmodell, sogar ein kleines Auftragsbuch führte sie. „Eine Bekannte meiner Mutter fragte damals, ob ich nicht bei der Geburtstagsfeier ihres Kindes mithelfen kann“, erzählt die 53-Jährige. Eierlaufen, Sackhüpfen, all sowas. Das Programm sprach sich herum in dem kleinen Dorf im Saarland, wo Nora Schmidt-Kesseler aufgewachsen ist.

Schon bald kamen mehr Aufträge, sie verdiente ihr erstes Geld damit. Später kam ein zweites Geschäftsfeld dazu: Nachhilfeunterricht.

Ihr Vater, ein Finanzbeamter, war in der saarländischen Kommunalpolitik sehr aktiv. Wenn er am Abendbrottisch von Wirtschaft und Finanzen erzählte, habe sie das sehr spannend gefunden. Überhaupt Zahlen, aber auch chemische Experimente.

Im Keller experimentierte sie in einer „richtigen kleinen Hexenküche“, wo sie selbst Sonnencreme herstellte – allerdings mit zu viel Zinkoxid. Die weiße Paste auf dem Gesicht zog nicht mehr ein in die Haut.

Wirtschaftsfrauen
Wirtschaftsfrauen

© Illustration: Pedro Santos/TheNounProject, Tsp

Was viele andere gähnend langweilig finden, studierte Schmidt-Kesseler: Finanzwirtin, nebenan in Rheinland-Pfalz. Sie wurde Finanzbeamtin mit Schwerpunkt Erbschaftssteuer, lernte ihren späteren Mann kennen und fühlte sich irgendwann unterfordert in ihrem Job. Als 1989 die Mauer fiel und die Turnhallen voll waren im Saarland mit Menschen, durfte sie das Aus- und Übersiedlerprogramm organisieren.

Schlagartig stieg sie auf zur Teamleiterin, merkte, dass „die Juristerei“ ihr lag, das Ausarbeiten von Verträgen. Weitere Stationen folgten, doch nach zehn Jahren Finanzamt wollte sie weiterkommen.

Und so studierte sie Jura – neben ihrem Vollzeitjob. Das ist bemerkenswert, scheitern doch so viele schon allein mit dem Jurastudium. Doch sie hatte das, was unabdingbar ist: Disziplin.

Starker Werdegang. Die gebürtige Saarländerin fing als Finanzwirtin an, studierte Jura und landete auf diversen Spitzenposten. Zum Ausgleich macht sie Kickboxen.
Starker Werdegang. Die gebürtige Saarländerin fing als Finanzwirtin an, studierte Jura und landete auf diversen Spitzenposten. Zum Ausgleich macht sie Kickboxen.

© Karin Aigner

Samstags, während andere ausschliefen, schrieb sie ab 6 Uhr früh sechs Stunden lang Probeklausuren. An den Wochenenden lernte sie. „Ich wollte auf das Geld in meinem Job nicht verzichten“, erklärt sie den Spagat. „Ich will“ – das war immer ihr Antrieb. Eine zurückgezogene Streberin war sie deshalb noch lange nicht, sagt sie. Saarländer können feiern.

Und weil sie das als Kind ja schon so gut drauf hatte, Partys zu organisieren, habe sie das neben dem Jura-Studium auch gemacht. Lernen, arbeiten und feiern. 1996 Staatsexamen, raus aus dem kleinen Saarland, und auf nach Berlin mit ihrem Mann.

Dort der nächste Job: Referendariat am Kammergericht mit unterschiedlichen Stationen – eine davon in der Senatskanzlei, damals noch unter Eberhard Diepgen als Regierendem Bürgermeister.

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Hier sei sie genau richtig gewesen: An der Schnittstelle zwischen Recht und Politik. Dort sei ihr klar geworden, was sie wollte: für einen der großen Spitzenverbände arbeiten.

Nora Schmidt-Kesseler bewarb sich in der Steuerabteilung des Bundes Deutscher Industrieller (BDI) – und sie bekam den Job. „Er hat noch nie eine Frau eingestellt!“, sagte ihr die Assistentin des Chefs wenig später.

Doch während die Männer im Team zunächst die interessanten Themen bearbeiten durften, gab man ihr als Schwerpunkt die dröge Lohn- und Mineralölsteuer. Auch hier blieb Nora Schmidt-Kesseler dran an dem, was sie eigentlich machen wollte.

Mit 36 Jahren wurde sie Hauptgeschäftsführerin der Bundessteuerberaterkammer

Als Hans-Olaf Henkel BDI-Präsident wurde, sah sie ihre Chance gekommen: 1998 kam Rot-Grün an die Regierungsmacht, die Ökosteuer wurde das Top-Thema. „Ich habe mich da hineingefuchst.

Vor allem in die Ausnahmeregelungen für die Chemiekonzerne“, schildert sie. Das war die Eintrittskarte in das große Thema Unternehmensbesteuerung.

Es dauerte nicht lang, und Nora Schmidt-Kesseler wurde abgeworben: Sie bekam eine Geschäftsführerposition bei der Bundessteuerberaterkammer. Eine verlockende Aufgabe.

Fünf Jahre, rechnete sie sich aus, dann könne sie den ganzen Laden übernehmen. Es ging schneller. Schon nach anderthalb Jahren wurde die Hauptgeschäftsführerposition der Kammer frei. Sie war erst 36 Jahre alt. Sollte sie sich bewerben?

Zum ersten Mal spürte sie so etwas wie Zweifel. Doch als sie hörte, wer noch in der Auswahl stand, ein Mann, den sie kannte und der ihr dann vor die Nase gesetzt würde, wagte sie es.

Verabredungen an der Bar? Waren damals "Männersache"

Sie bekam die Spitzenposition. „Ich hatte bestimmt zwei Jahre gut zu tun, mich gegenüber den Männern zu behaupten“, sagt sie in der Rückschau. Verabredungen zum Drink an der Bar? Männersache. „Ich gehörte erstmal nicht dazu.“

Sie habe lange gekämpft, um auch in diese Runden zu kommen, die im Job oftmals so wichtig sind. 14 Jahre lang spielte sie ganz oben mit bei der Steuerberaterkammer. Doch es hätte wohl nicht zu ihr gepasst, wenn es nicht auch diesmal anders weiter gegangen wäre. Sie habe sich nach einem Branchenwechsel gesehnt. Und was als Kind in der „Hexenküche“ mit Experimenten begann, vollendete sie mit dem Posten als Hauptgeschäftsführerin bei der Nordostchemie – drei Verbände unter einem Dach. Sie vertritt die wirtschafts- und sozialpolitischen Interessen der chemischen Industrie in ganz Ostdeutschland.

Zum Ausgleich macht sie Kickboxen

Gegen 50 Bewerber, meist Männer, hatte sie sich durchgesetzt damals, sagt sie. Und das, obwohl sie nicht tief im Thema Tarifpolitik steckte – was eine Bedingung für den Posten war.

Doch auch das hat Nora Schmidt-Kesseler wieder einmal nicht abgehalten, aufs Ganze zu gehen. „Dann habe ich eben Tarifpolitik gepaukt und mich extrem gut vorbereitet.“

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Wie damals, im Jurastudium. Es hat geklappt. „Ich bin angekommen“, sagt sie über die Branche, die jetzt, in der Coronakrise, mehr Bedeutung denn je habe, weil allen klar sei, wie dringend etwa Impfstoffe oder Medikamente gebraucht werden. Sie sitzt nun also ganz oben in einem der großen Verbände.

Und wenn man sagte, sie habe sich durchgeboxt, um ihren Karriereweg zu gehen, dann stimmt das wortwörtlich. Vor rund zehn Jahren hat Nora Schmidt-Kesseler mit dem Boxtraining angefangen und war bereits in der Vorbereitung zu einem größeren Wettkampf um einen Titel im Kickboxen, als die Corona-Pandemie dazwischen kam. Also hat sie umgestellt auf Einzeltraining mehrmals die Woche und tägliches Krafttraining – so bleibt sie weiter stark.

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