zum Hauptinhalt
Die "Europäische Bewegung Deutschland" ehrt die 37-jährige Adriana Lettrari als "Frau Europas 2016". Die Politikwissenschaftlerin vernetzt sich mit anderen, die zur Wendezeit erwachsen wurden.

© Kai-Uwe Heinrich

Frau Europas 2016: Ehrung für ein "Wendekind"

Adriana Lettrari gründete das Netzwerk "Dritte Generation Ost". Geboren in der DDR, sieht sie sich als Brückenbauerin. Nun wird sie ausgezeichnet.

Am heutigen Dienstagabend bekommt das "Wendekind" Adriana Lettrari einen schönen Orden und Ruhm und Ehre dazu: Es ist eine handgefertigte Brosche in den Europafarben Blau und Gold. Ministerin Manuela Schwesig, auch so ein "Kind" der Wende, hält die Laudatio auf die Preisträgerin, Politikwissenschaftlerin aus Prenzlauer Berg. Lettrari ist temperamentvoll, redegewandt und voller Elan, wenn es um ihre Mission geht. In der Mitteilung der "Europäischen Bewegung Deutschland" wird sie als Botschafterin zwischen Ost und West bezeichnet – geboren in der DDR, aufgewachsen in Europa. "Mit dem von ihr gegründeten Netzwerk 3te Generation Ostdeutschland erforscht sie die Erfahrung des Wandels als Chance und denkt die unterschiedliche Sozialisierung in Ost und West bewusst europäisch." Dafür wird sie nun als "Frau Europas 2016" ausgezeichnet.

Ja, endlich, 26 Jahre nach dem Mauerfall, muss nicht mehr das ewige "Wir hier und ihr da drüben" die Diskussionen dominieren. Damit möchte die dritte Generation, also jene, die in der DDR geboren, in den Kindergärten kollektiv aufs Töpfchen gesetzt und vom sozialistischen Bildungswesen verzogen worden ist, eigentlich gar nichts mehr zu tun haben. Nostalgisches kommt vielleicht immer mal wieder von den Eltern. Die Jungmenschen, als sie nach der Hammer-und-Zirkel-Ära flügge waren, haben die Welt erobert, nur noch ihr Sächsisch oder das rrrrollende "R" der Oberlausitz verraten weit im Westen ihre Herkunft. 60 Prozent der Wendekinder sind abgewandert, haben ein Stückchen DDR in den Westen oder nach Europa mitgenommen, Lebenserinnerungen, meinetwegen auch Ostalgie. Na und?

"Die DDR links am Rand, gleich neben dem Westen, Hilfe!"

Adriana Lettrari ist jetzt 37 Jahre alt, als die DDR implodierte, war sie – geboren in Neustrelitz, aufgewachsen in Rostock – zehn. Welche Erinnerungen an die DDR-Jugendzeit haben sich erhalten? "Schlange stehen, kleine Eiskugeln in der Waffel, Softeis, strenger Mittagsschlaf in der Kita, viel Schulsport, Fahnenappell und eine Welt, die in Gut und Böse geteilt war. Die Farbe Blau auf der Weltkarte im Klassenzimmer war böser Kapitalismus, Rot stand für das Friedenslager, für die Guten mit ihren Raketen. Die DDR links am Rand, gleich neben dem Westen, Hilfe!"

Welche DDR-Eigenschaft steckt noch in ihr? "Ich kann nicht nur Mutter sein. Bin so sozialisiert, dass ich große Freude an der Arbeit habe." Zur Zeit ist das eine Doktorarbeit aus eigener Erfahrung ("Büros deutscher Bundestagsabgeordneter als politische Hochleistungsteams"), Söhnchen Elio Lettrari Pietzcker kommt nicht zu kurz, dessen Vater Hagen Pietzcker aus Hamburg ist schließlich auch noch da.

Ihre Vision: Ein Europa ohne Grenzen und Mauern

Die Idee zur Initiative "Dritte Generation Ost" wurde im Herbst 2009 geboren. Damals fragte sich Adriana – und sie fragt sich noch immer oder schon wieder –, wieso in Zeitungen und Fernsehen fast nur Männer im fortgeschrittenen Alter über DDR und Wende diskutieren. Nun sind wir an der Reihe, sagt sie, schlägt mit der flachen Hand auf den Holztisch im Café Kapelle am Zionskirchplatz, dass das Teeglas wackelt. "Jetzt ist es an der Zeit, dass die Generation der 30- und 40-Jährigen in Europa die Macht übernimmt." Friedlich aufwachsen, sich des Erbes bewusst sein, europäisch denken, mit den Erfahrungen aus zwei Systemen.

Ihre Vision von der künftigen Gestalt Europas? "Das Europa des 21. Jahrhunderts kennt keine Grenzen und Mauern. Europäerinnen und Europäer orientieren sich daran, wo eine Person hin will, und nicht, woher sie kommt. Ihre Lebenswirklichkeiten sind weiter als der Ort, an dem sie sich gerade befinden. Sie sind sich ihrer Wurzeln bewusst und setzen sich mit ihnen auseinander, um die Zukunft zu gestalten. Sie bauen Brücken, indem sie länder- und generationsübergreifend Gespräche suchen. Die Vielfalt ist der Alltag, den die Europäer leben. Unterschieden begegnen sie mit Neugier, nicht mit Angst." Die künftigen Entscheider mit ihren Netzwerken und europaweiten Verbindungen haben sich eine Menge vorgenommen.

Zur Startseite