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Neue Jobperspektive. Im Gehörlosenzentrum in Frankfurt am Main lernen Hörende und Nichthörende im ersten inklusiven Ausbildungsjahrgang in der Gastronomie gemeinsam.

© imago

Franz Allert und Mario Czaja im Interview: „Viel Potenzial ist unentdeckt“

Senator Mario Czaja und Präsident des Berliner Landesamtes für Gesundheit und Soziales Franz Allert im Gespräch über Chancen und Herausforderungen bei Beschäftigung von Menschen mit Handicap.

Herr Allert, die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen beginnt mit der Ausbildung. Wie offen sind Berliner Betriebe für Azubis mit Handicap?

Das Bundesarbeitsmarktprogramm „Initiative Inklusion“ und mehrere Landesprogramme haben entscheidend dazu beigetragen, die Ausbildungssituation von Jugendlichen mit Handicap zu verbessern. So unterstützen das Landesamt für Gesundheit und Soziales, die Agentur für Arbeit und die Schulverwaltung schwerbehinderte Jugendliche beim Übergang von der Schule oder einer Werkstatt in den ersten Arbeitsmarkt. Ohne die Bereitschaft der Unternehmen, diesen Jugendlichen eine Chance zu geben, hätten die Förderprogramme nicht umgesetzt werden können. Junge Menschen mit geistigen oder seelischen Behinderungen sowie mit schweren Sinnes-, Körper-, oder Mehrfachbehinderungen werden in 38 Integrationsprojekten ausgebildet, beschäftigt und begleitet. Dennoch ist die Ausbildungssituation noch nicht zufriedenstellend, viel Potenzial ist unentdeckt. Hier kann und muss mehr getan werden.

Wie und wo können sich interessierte Arbeitgeber informieren?

Aufklärung, Schulung und Bildung sind wichtige Bestandteile der Arbeit des Integrationsamtes. In Seminaren erfahren Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sowie Ansprechpartner schwerbehinderter Menschen in den Betrieben alles Wissenswerte über die Rechte und Pflichten schwerbehinderter Menschen am Arbeitsplatz und über die Fördermöglichkeit der Reha-Träger und des Integrationsamtes. Um die Leistungen des Integrationsamtes noch bekannter zu machen, haben wir 2013 einen Informationsfilm produziert. Nicht zuletzt zeigen jedes Jahr die Gewinner des Inklusionspreises, wie Inklusion im Betrieb gelebt werden kann.

Von Unternehmen, die Behinderte einstellen möchten, werden zum Teil unklare Zuständigkeiten und lange Verfahrensdauern beklagt. Muss hier nachgebessert werden?

Sicher ist im Einzelfall nicht leicht zu ermitteln, wer für die Erbringung konkreter Leistungen der richtige Ansprechpartner ist. Die Praxis zeigt, dass die Zusammenarbeit der Leistungsträger weiter intensiviert werden muss. Mit diesem Ziel finden bereits regelmäßige Besprechungen zwischen dem Integrationsamt, der Agentur für Arbeit und dem Rentenversicherungsträger statt. Tut sich ein Antragsteller schwer, die Zuständigkeit zu ermitteln, empfehle ich, den zuständigen Integrationsfachdienst aufzusuchen.

Herr Czaja, die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung Verena Bentele forderte kürzlich, dass Betriebe, die keine Schwerbehinderten einstellen, eine höhere Ausgleichsabgabe zahlen sollten. Zu Recht?

Die derzeit geregelte Beschäftigungspflicht (in Unternehmen mit mindestens 20 Arbeitsplätzen müssen fünf Prozent mit Schwerbehinderten besetzt sein, Anm. d. Red.) und die erhobene Ausgleichsabgabe bei Nichterfüllung dieser Pflicht halte ich für angemessen. Wichtig ist, Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber stärker davon zu überzeugen, das schwerbehinderter Menschen leistungsfähig sind. Dabei können die Medien einen hilfreichen Beitrag leisten.

Die Initiative „Wirtschaft inklusiv“ unterstützt Arbeitgeber in acht Bundesländern bei der Beschäftigung Schwerbehinderter – nicht so in Berlin. Wünschen Sie sich ein stärkeres Engagement der Berliner Betriebe

Ja, wobei ich das bisher Erreichte durchaus wertschätze. Wie gut sich die Berliner Wirtschaft für Menschen mit Behinderungen engagiert, konnten wir bei der Verleihung des Inklusionspreises erneut sehen. Ich möchte besonders hervorheben, wie sich kleine und mittelständische Unternehmen bemühen, Menschen mit Behinderung ganz selbstverständlich eine Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen. Die Initiative „Wirtschaft inklusiv“ ist ein arbeitgeberorientiertes Beratungsprojekt, das nur in Flächenbundesländern aktiv ist. Berlin als Stadtstaat verfügt über eine sehr gut ausgebaute Struktur von Integrationsfachdiensten. Arbeitgeber können sich auch an das vom Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin geförderte Projekt „Unternehmensberatung Inklusion“ (ubi) wenden.

Berlin lässt derzeit von einer Monitoring-Stelle prüfen, ob seine Landesgesetze der UN-Behindertenrechtskonvention gerecht werden. Weiß man schon, wo es Nachbesserungsbedarf gibt?

Bisher hat das Projekt „Monitoring-Stelle Berlin“ 17 landesrechtliche Vorschriften geprüft. Gesetzgeberischer Handlungsbedarf vor dem Hintergrund der UN-Konvention wurde bei allen identifiziert, allerdings mit einem unterschiedlichen Grad der Erforderlichkeit. Die Ergebnisse werden im Internet veröffentlicht. Erhebliche Änderungsbedarfe ergeben sich unter anderem beim Landesgleichberechtigungsgesetz und beim Schulgesetz. Die in 2014 durchgeführten Erörterungen mit Vertreterinnen und Vertretern der Senatsverwaltung waren sehr konstruktiv und gleichzeitig eine wichtige bewusstseinsbildende Maßnahme.

Die Fragen stellte Silke Zorn.

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