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Berlin: Francis Serafini (Geb. 1948)

„Let’s saddle up and ride, boys!“, rief der Cowboy und ging singen

Die schulterlangen Haare zum Pferdeschwanz gebunden, zotteliger Bart, Jeans, Cowboyhemd, Halstuch, Stiefel. Aber einer dieser Freizeitcowboys, kostümiert mit Stetson, Fransen und Sporen, war er nicht. Eher ein cooler Althippie-Rock-’n’-Roll-Kiffer-Cowboy, echt und ohne Verkleidung.

Francis liebte den amerikanischen Mythos: Cowboysongs, Blues, Rock ’n’ Roll, Western. Im Satellitenfernsehen verfolgte er die American-Football-Spiele der „Dallas Cowboys“, er mochte „Hank Williams and his Drifting Cowboys“, seiner eigenen Band gab er den Namen „Frank Slim & The Continental Cowboys“.

„Let’s saddle up and ride, boys!“, feuerte er sie an mit einem lässigen Grinsen und leichtem Kribbeln im Bauch, bevor sie auf die Bühne gingen. Francis Serafini alias Frank Slim spielte Gitarre, quäkte in die Mundharmonika, verzog das Gesicht, wenn er sich mal wieder versehentlich den Bart im Harmonikagestell eingeklemmt hatte, und sang mit hoher, dünner und doch so eindringlicher Stimme: „Well you can call me lazy, call me a fool / You can call me a cowboy for breaking the rules / But don’t call me crazy baby ’cause I’m in love with you …“

Ein Cowboy mit romantischer Ader, immer auf der Suche: nach dem Leben, der Liebe, nach dem endgültigen Song. Und nach festem Boden unter den Stiefeln. „Oh no mama don’t you throw away my rambling shoes / The holes in the bottom are where I lose my blues …“

Die Zeit raste. Die Zeit war wild. Francis musste immer wieder los, immer weiter, auch wenn er äußerlich blieb, wo er war. Zumindest was den Wohnort seiner letzten vierzig Jahre anbelangte, Berlin.

Seine Lieder waren Shortstorys aus seinem Leben, kleine Begebenheiten, die er gelegentlich ein wenig verfremdete. „Daddy Was A Rider“ erinnert an eine kleinstädtische Kindheit in den USA mit vier Geschwistern und der Bewunderung für den Vater. Im Song befördert Francis seinen Daddy zum Reiter für den „Pony Express“, das war der berittene Postdienst zwischen Missouri und Kalifornien. „My daddy was a rider for the Pony Express, / you should have seen my daddy ride.“ In Wirklichkeit war Francis’ Vater Streifenpolizist und später Briefträger, der auf dem Fahrrad durch Winsted ritt, ein Nest in Connecticut im Osten der USA. Francis wurde es irgendwann zu eng dort, es waren die Sechziger, Zeit von Aufbruch, Rebellion, Rockmusik. Mit 16, die Beatles hatten gerade ihren Siegeszug in den USA angetreten, lernte er Gitarre spielen. Geld verdiente er zunächst mit allen möglichen Jobs, mal hier, mal dort. Und egal welche Arbeit er gerade machte, in der Mittagspause vertiefte er sich in seine Bücher. Die Kollegen bei einer Baumpflegefirma nannten ihn deshalb „Shakespeare“ – „Kannst du dir das vorstellen? Shakespeare! Weil ich gelesen habe!“ Cowboygrinsen, scheues Schmunzeln.

Dann war er on the road, auf Achse wie Jack Kerouac von der Ost- zur Westküste. Und lebte dabei auch ein bisschen wie Kerouac in „On The Road“. Frei, hungrig nach Leben, Liebe, und Bewusstseinserweiterung. Musik, Literatur und zwischendurch ein kleiner Joint. In Stanford, Kalifornien, ging er mittwochs mit einem Freund in den Pizzaladen, wo „All you can eat“- Tag war. Sie aßen so viel sie konnten, stopften die Taschen voll und gingen zur Universität, wo mittwochs bei freiem Eintritt Filme gezeigt wurden. Da saßen sie in der letzten Reihe, aßen den Rest der Pizza und waren zufrieden mit allem. Geradeso über die Runden kommen und auch noch Spaß haben!

„And I don’t care what luxury means to any other man / Just give me hot water …“ Luxus, Geld, Karriere interessierten Francis nicht. In seiner Jugend nicht und auch später nicht.

Anfang der Siebziger kam er nach Europa. Holland, Spanien, Deutschland. Mit Rucksack, der dicken Gibson-Jumbo- Gitarre und ein paar Mundharmonikas. Die Songs schrieb er unterwegs. Wenn die Ansprüche nicht zu hoch sind, ist Luxus leicht zu haben: ein kleines Zimmer zur Untermiete bei einer alten Dame in München, die sich gerne mit dem jungen wilden Musiker aus Amerika unterhielt. Als er ihr zu verstehen gab, dass er sie nicht verstand, schrie sie ihn halt an. Das erzählte Francis noch Jahre später: Cowboygrinsen, scheues Schmunzeln.

Die Gagen für regelmäßige Auftritte in den florierenden Folk-Clubs reichten für Unterkunft, selbstverständlich mit hot water, und den ganzen Rest, Tabak zum Zigarettendrehen und ein paar Joints zwischendrin.

Noch besser als in München lief es in West- Berlin. Im September 1972 wollte Francis seine Freunde John und Wayne dort besuchen, Amerikaner wie er, die er in München kennengelernt hatte. In Berlin gefiel es ihm so gut, dass er gleich bei ihnen einzog, in die legendäre Musikerkommune Hagelberger Straße 14, 1 Berlin 61. Die Wohnung war, wie er sich später grinsend erinnerte: funky – im Wohnzimmer stapelten sich Musiker, Freunde und Freundinnen, in der Küche stapelte sich das dreckige Geschirr. Aber immerhin, es gab hot water. Glückliche Zeiten.

Für Sänger mit akustischen Gitarren, besonders für Amerikaner, die einen besonderen Bonus genossen, boten sich in der eingemauerten Stadt unbegrenzte Auftrittsmöglichkeiten. Es gab das „Go In“, den „Steve Club“, den „Folkpub“, später kamen „Banana“, „Pampischek“, „Scheese“ und die ganzen anderen dazu. Schon während seiner ersten Woche in Berlin hatte Francis fünf bezahlte Auftritte. So viel schaffte er in München in einem Monat. Nach einem Jahr in Berlin hatte er 500 Konzerte absolviert.

So begeistert die Musikliebhaber in den Clubs waren, so misstrauisch begegneten ihm die Ordnungsliebhaber auf der Straße, die Spießer, die „Assholes“, wie Francis sie nannte. Mit Vermietern, bei denen er sich um Wohnungen bewarb, machte er schlechte Erfahrungen. Dabei hätte nur ein Blick in seine Augen genügt, um zu erkennen, was für ein sanfter Mensch dieser Cowboy war, auf den immer Bob Dylans Satz zutraf: „To live outside the law you must be honest!“

Outlaw im Sinne eines Gesetzesbrechers war er ohnehin nicht, eher einer, der sich sein Leben außerhalb der Norm anständigen Karrierestrebens einrichtete. Er machte Musik, hatte seinen Spaß, verdiente Geld damit, aber groß rauskommen? Dazu fehlte der Ehrgeiz. Soundcheck vor einem Konzert? Wozu? Ging doch auch so. Gitarre stimmen? Für den Rock ’n’ Roll reicht’s allemal. Eine Platte aufnehmen? Ja, wäre schön, aber warum diese Eile?

Irgendwann hatte er genügend Studioaufnahmen zusammen für ein Album. Das aber nicht erschien. Warum, war nie ganz klar. Kein Geld für die Pressung? Das Booklet zu aufwendig? Und dann müsste man das Ding ja auch noch irgendwie verkaufen.

Als die Folk-Lokale in Berlin allmählich starben, Anfang der Achtziger, als es nicht mehr so gut lief mit der Musik, wollte ihm ein Freund einen Fahrerjob auf dem Flughafen Tegel vermitteln. Gute Arbeit, gut bezahlt, aber als Francis erfuhr, dass er morgens um fünf Uhr anfangen müsste, winkte er ab mit seinem Cowboygrinsen: für kein „Asshole“ von Arbeitgeber würde er so früh aufstehen. Da jobbte er lieber für weniger Geld nachts in Kneipen wie dem „Flying Dutchman“ in der Richard-Wagner-Straße. Und er wurde Taxifahrer, die Großstadt unterm Ledersitz, unabhängig und frei. Er konnte Konzerte geben, ohne den Job zu verlieren, konnte auf Tour gehen, wenn es sich mal ergab. Und dann wieder zurück auf die Taxe. Er arbeitete vor allem nachts, „the nighttime is the right time!“

Nach einem seiner Auftritte, nachts in der „Bebop Bar“ in Kreuzberg, lernte er Uschi kennen, und das war dann doch noch die ganz große Liebe. Nach ein paar Jahren heirateten sie und suchten sich eine gemeinsame Wohnung. Mit den Vermietern war das jetzt nicht mehr so schwierig, Francis sah inzwischen viel zivilisierter aus. Seine „Ramblin’ Shoes“ zog er nur noch für die Reisen mit Uschi an. Für sie gab er sogar die Nachtschichten mit dem Taxi auf.

Francis war zufrieden, spätes Cowboyglück. Im letzten Sommer ging er mit seinen amerikanischen Musikerfreunden aus alten Hagelberger-Straße-Zeiten noch einmal auf Konzerttour. Er strotzte vor Gesundheit und Lebensfreude, sagen die Freunde. Nie habe er bessere Konzerte gegeben.

Ein paar Wochen später, zu Hause, fühlte er sich komisch. Uschi brachte ihn ins Krankenhaus, und da kam er nicht mehr raus. Ein Tumor im Kopf.

Francis Serafinis erste Platte „Between The Dark And The Light“ erscheint am 16. Februar, dem Tag, an dem er 64 geworden wäre. In einem Gedenkkonzert erinnern alte Freunde an ihn, im „Schlot“, Schlegelstr. 26, Mitte. H. P. Daniels

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