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Berlin: Francis Kingue Ekamby (Geb. 1945)

Er hätte seinem Land gern etwas zurückgegeben

Afrika, was machst du mit deinen Kindern?“, klagte ein Priester auf der Beerdigung. „Du verstreust sie in alle Welt, und wenn sie zurückkommen wollen, weist du sie ab!“

Ein Linienbus. Die Idee war zwingend. In Kamerun gab es kein öffentliches Verkehrswesen in den Städten. Also brachte Francis 1986 von seinem ersten Ersparten einen großen Reisebus mit. Er hatte keinen Führerschein, aber er wusste, wie man den Bus repariert, schließlich war er Ingenieur.

Sein Vater war Zöllner in Douala gewesen. Francis, der älteste Sohn von mehr als 20 Kindern, bekam eine gute Erziehung. Als der Vater zum Botschafter in Deutschland berufen wurde, nahm er fünf von seinen Kindern mit.

Francis begann eine Lehre in einer Maschinenfabrik in Bad Honnef und ging dann zum Studium nach Berlin. Er hätte seinem Land gern etwas zurückgegeben, und er war sich sicher, die Leute würden froh sein über diesen Bus. Die Frau des Verkehrsministers wurde neugierig, orderte selbst einen Doppeldecker und wies ihre Mitarbeiter an, dem Konkurrenten ein paar Steine in den Weg zu legen. Francis’ Bus fuhr eine Weile, dann war er unauffindbar. Und das Verkehrssystem in Kamerun ist noch immer so marode wie vor Jahrzehnten. Nicht anders die Wasserversorgung. Francis entwarf einen leicht zu bauenden Wasserfilter, zwei Eimer ineinander, im Boden des oberen ein Loch mit Filtermaterial, am unteren ein Wasserhahn.

Er entwickelte eine Lehmziegelpresse, die nicht zur Produktionsreife kam. Er entwarf einen Drehgrill, damit die Hühnchen nicht länger auf Autofelgen über dem Feuer brutzeln mussten. Einfache Dinge, die das Leben einfacher machen. Francis war ein großer Tüftler, aber kein guter Verkäufer seiner Ideen.

In Kamerun braucht es Geld, viel Geld, um sich durchzusetzen. Korruption ist das Krebsgeschwür Afrikas. Vielleicht hat Francis deshalb Preußen so sehr geliebt. Nicht dass er selbst pedantisch zu werden drohte, oh nein, das Bürokratische, damit verstand er sich nicht so. „Ich kann ja nicht weiß werden“, seufzte er, wenn es vermeintlich unnötigen Papierkram zu erledigen galt. Aber er schätzte die Rechtssicherheit, denn die kannte er nicht aus seiner alten Heimat.

Er war nicht der erste Kameruner in Berlin. Schon in der Kaiserzeit, so zeigt es eine alte Postkarte, gab es einen stadtbekannten Kameruner, der Bananen verkaufte. Francis konnte über diese Postkarte laut lachen. Er war so glücklich mit sich und seinem Leben, dass er die kleinen Widrigkeiten einfach weglachte. Meist ging das. Das gruselig griesgrämige Deutsche, über das er sich in der U-Bahn so amüsieren konnte, zeigte ihm gegenüber nur sehr selten die fremdenfeindliche Fratze.

Er bekam keine Arbeit als Ingenieur, aber einen guten Job in einer Schule für Feinwerk und Mechanik. Er fand eine schöne Wohnung. Er verliebte sich und war 30 Jahre mit seiner Frau verheiratet. Er war stolzer Vater einer Tochter, mit der er anfangs nach alter Sitte sehr tyrannisch umsprang, bis er lernte zuzuhören.

Francis hat gern gesungen, aber furchtbar falsch. Er war ein großer Koch und ein guter Tänzer, nur antreiben durfte man ihn nicht, er musste die Dinge in seinem Tempo erledigen. Und er wollte sie gern gut angezogen erledigen, mit Weste und Krawatte. Kingue, er war der König seiner Sippe, als der Vater starb. Die Familiendinge werden nicht aufgeschrieben in Kamerun, es gibt einen, der alles weiß. Der Vater hatte immer auf seinen Ältesten gewartet, auf seinen Nachfolger, aber es war schwierig für Francis, alles aus der Ferne zu regeln. Und von dem Goldschatz, der bei einer nichtsahnenden Tante lag, die irgendwann die dreckigen Steine entsorgen ließ, erfuhr er erst, als es zu spät war.

Kingue – Könige gehen nicht gern zur Vorsorgeuntersuchung, das wurde ihm zum Verhängnis, als seine Zeit kam. Der Prostatakrebs griff auf die Knochen über. Seine Tochter fragte ihn, ob er Angst habe, zu sterben. „Ja, schon“, antwortete er, „denn ich würde mich gerne von allen verabschieden, das fände ich schön.“

Sein Wunsch erfüllte sich, alle Freunde besuchten ihn noch einmal. Tante Inge brachte Suppe, Omi und Opa Assmann kamen vorbei. Und als ihn die Leichenbestatter aus dem Haus trugen, lag auf jedem Absatz eine Rose und daneben brannte eine Kerze. Denn jeder im Haus vermisste sein Lachen. Gregor Eisenhauer

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