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Petra Lehnardt-Olms Foto "Zur Ruhe setzen" ist zu sehen in der Ausstellung und dem Katalog "Arbeitsspuren - Lebensspuren / Industriekultur Reinickendorf" in den Wilhelm-Hallen Berlin-Reinickendorf ab 18. August 2021.

© Petra Lehnardt-Olm

Fotos verfallener Betriebe in Berlin-Reinickendorf: Was vom Glanz der Gründerzeit blieb

Eine neue Fotoausstellung der Künstlerin Petra Lehnardt-Olm dokumentiert den Niedergang der einst stolzen Industrie im Berliner Nordwesten.

Wer heute durch die idyllischen Dörfer des Bezirks Reinickendorf fährt oder durch Großsiedlungen wie das Märkische Viertel, kann sich nicht vorstellen, dass das industrielle Herz Berlins viele Jahrzehnte lang hier im Norden der Stadt schlug. Die S-Bahnen rollen zwischen Schönholz und Wittenau oder in Tegel und auf dem Weg nach Hennigsdorf nur noch an den backsteinernen Relikten einstiger wirtschaftlicher Größe vorbei.

Allenfalls noch bewusst ist, dass die Tegeler Borsigwerke die größte Lokomotivfabrik Europas waren und dass von hier Dampfmaschinen in alle Welt geliefert wurden. Aber schon eine Aufzug- und Rolltreppenfabrik Flohr kennt kaum jemand. Dabei wurden hier 1925 die Fahrstühle für den Berliner Funkturm konstruiert und für das Hamburger Chilehaus. Hier in Reinickendorf wurde die Statik für die Mechanik des gewaltigen Schiffshebewerks Niederfinow berechnet und die noch heute laufende Schiffshebetechnik gebaut. In Großschmieden und Walzwerken im Norden Berlins wurden die Träger für Brückenbauten in ganz Deutschland produziert.

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Und heute? Nichts ist mehr übrig von den gewaltigen Fabriken, die entlang der Bahnlinien der Kremmener Bahn zwischen Schönholz und Hennigsdorf und weiter nach Kremmen und Velten ab 1900 entstanden.

Dieses Foto trägt den Titel "Der harte Kern oder inner Wert."
Dieses Foto trägt den Titel "Der harte Kern oder inner Wert."

© Petra Lehnardt-Olm

Denn das waren die drei Erklärungen für die unglaubliche Dynamik der Wirtschaft in jener Zeit: Im dünn besiedelten Reinickendorf war Platz für den Bau neuer großer Werke, die in Zentrumsnähe nicht mehr wachsen konnten. Die Kremmener Bahn bot den Anschluss an das deutsche Eisenbahnnetz. Und hier im Norden lebten immer mehr Menschen, die dringend Arbeit suchten. So passte alles zusammen in einer Phase ökonomischer Entwicklung, in der sich die offizielle Politik am industriellen Erfolg des Deutschen Reichs berauschte, während das Schicksal und die Lebensumstände der Arbeiter wenig Aufmerksamkeit fanden. 

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Auch dieses Foto von der Spitze des Borsigturms in Berlin-Reinickendorf ist in der Ausstellung zu sehen.
Auch dieses Foto von der Spitze des Borsigturms in Berlin-Reinickendorf ist in der Ausstellung zu sehen.

© Petra Lehnardt-Olm

Ein Hauch von Verfall schwebt jetzt über der Landschaft. Nur vereinzelt scheint es Zeichen von Leben zwischen den Brachen zu geben. Wer allerdings mit dem Auto oder zu Fuß diese Areale durchstreift, erlebt die klassische Zwischennutzung durch mittlere oder durchaus größere Gewerbebetriebe. Von den einstigen gigantischen Produktionsanlagen sind nur noch aufgelassene Gebäudereste übriggeblieben. Ihr morbider Charme lockt Abenteuertouristen auf gelegentlich gefährlich Ausflüge. Aber er bringt eben auch zum Nachdenken über die Vergänglichkeit der Dinge, über das, was von den Spuren der einstigen Arbeitsstätten noch erhalten ist.

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Das Berlin-Brandenburgische Wirtschaftsarchiv dokumentiert jetzt in einer Foto-Ausstellung in den Wilhelm-Hallen diese Mischung von Arbeitsspuren und Lebensspuren.

Selbstporträt der Fotokünstlerin Petra Lehnardt-Olm.
Selbstporträt der Fotokünstlerin Petra Lehnardt-Olm.

© Petra Lehnardt-Olm

Die Berliner Fotografin Petra Lehnardt-Olm hat die beeindruckenden Bilder zwischen Mai und September 2020 fotografiert. Die international renommierte Fotografin hat durchaus persönliche Bezüge zum Gegenstand, mit dem sie sich über Monate hinweg künstlerisch auseinander setzte. Sie ist Berlinerin, ihr Vater hat bei Borsig gelernt. Die eindrucksvollen Texte zur Ausstellung schrieb die Historikerin Ute Pothmann. Wegen der Pandemie-bedingten Restriktionen musste die für den vergangenen Herbst geplante Eröffnung immer wieder verschoben werden.

Ausstellungsdauer bis zum 4. September, geöffnet Montag bis Freitag von 8 bis 17 Uhr und am Samstag von 8 bis 13 Uhr. Wilhem-Hallen in 13407 Berlin-Reinickendorf, Kopenhagenerstr 60-68. Die Parkplatzsituation ist schwierig. Am besten kommt man mit der S-Bahn, vom Bahnhof Wilhelmsruh sind es keine 200 Meter zu Fuß

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