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Bekanntes Bild bei der Einfahrt nach Berlin: Das Motel an der Avus.

© André Görke

Formel-1-Jubiläum: Vor 60 Jahren lief das letzte Autorennen auf der Avus

Am 2. August 1959 schauten Zehntausende Berliner dem letzten Rennen auf der Avus zu. Michael Alexander Schmidt erlebte dabei einen spektakulären Crash.

Tausende waren vor Schreck wie erstarrt. Doch dann ein Aufschrei: „Er steht auf, er steht auf!“ Die Zuschauer des letzten Formel-1-Rennens auf der Berliner Avus erlebten am 2. August 1959 ein wahres Wunder.

Berliner Rennbahn: Seit 1921 starteten zahlreiche Motorsport- Wettkämpfe auf der Avus wie hier 1954.
Berliner Rennbahn: Seit 1921 starteten zahlreiche Motorsport- Wettkämpfe auf der Avus wie hier 1954.

© picture alliance/dpa

Rennfahrer Hans Herrmann trat in seinem „British Racing Motors“-Wagen, kurz: B.R.M., bei Tempo 280 km/h auf der Bremse ins Leere. Er raste vor der Südkurve gegen regennasse Strohballen, der Wagen überschlug sich, Herrmann wurde in hohem Bogen herausgeschleudert – und erlitt nur leichtere Blessuren. Danach erschien ein Foto des verunglückten Rennfahrers in der Presse, wie er verdutzt am Boden sitzt. Es brachte ihm den Spitznamen „Hans im Glück“ ein.

Michael Alexander Schmidt, heute 70 Jahre alt und in Zehlendorf zu Hause, hat die dramatische Szene damals als zehnjähriger Junge mit seinem Vater im Publikum miterlebt. Exakt sechzig Jahre sind seither vergangen, deshalb schickte er uns zum „60.“ am heutigen 2. August 2019 seine Erinnerungen zu.

„Als die Bremsen versagten, hatte Hans Herrmann nur Sekundenbruchteile Zeit, sich zu entscheiden“, schreibt er. „Links oder rechts auszuweichen war keine gute Option, dort befanden sich die Zuschauertribünen, das hätte viele Opfer gekostet.“ Deshalb habe Herrmann auf die vollgesogenen, „betonhart erscheinenden Strohballen“ zugehalten.

Das Rennen der Formel-1-Wagen war im Sommer 1959 hochkarätig. Es ging um den „Großen Preis von Deutschland“, der zuvor fast immer am Nürburgring in der Eifel ausgeschrieben war. Doch zwei Jahre vor dem Mauerbau avancierte das Motorsport-Event in der Königsklasse des Rennsports vor Zehntausenden Zuschauern zum Politikum: Mitten im Kalten Krieg wollte man im „Schaufenster des Westens“ ein Zeichen setzen.

Nordkurve und Spitzkehre galten als hoch riskant

Der West-Berliner Senat erhoffte sich zahlreiche Zuschauer aus dem Osten. Dafür sicherte er dem veranstaltenden Automobilclub von Deutschland (AvD) eine Ausfallbürgschaft über 50.000 Mark zu und tauschte die mit Ost-Mark gezahlten Eintrittsgelder bis zur Höhe von 60.000 Mark im Verhältnis 1:1 um.

Tony Brooks (vorn links, Nr. 4) und Dan Gurney (Nr. 6) starten zum zweiten Lauf um den Großen Preis von Deutschland.
Tony Brooks (vorn links, Nr. 4) und Dan Gurney (Nr. 6) starten zum zweiten Lauf um den Großen Preis von Deutschland.

© Konrad Giehr/dpa

Allerdings war die im Jahr 1921 eröffnete Automobil-Verkehrs- und Übungsstraße (Avus) zwischen Funkturm und Nikolassee in den Nachkriegsjahren bereits als Hochgeschwindigkeitsstrecke umstritten. Die berüchtigte, extrem steile Nordkurve in Charlottenburg und die flache südliche Spitzkehre nach der kerzengeraden Tour durch den Grunewald galten als hoch riskant. Schon am 1. August 1959, einen Tag vor Hans Herrmanns Formel-1-Crash, verunglückte der Franzose Jean Behra bei einem Vorrennen in der Nordkurve tödlich. Sein Porsche geriet auf der regennassen Fahrbahn ins Schleudern und prallte gegen einen Sockel.

Faszination für Motorsport bleibt

Das „Neue Deutschland“ prangerte sofort die Hauptschuldigen an. „Der französische Meisterfahrer Behra wurde ein Opfer der Frontstadt-Politik Brandts und Lemmers“, titelte die Zeitung. Willy Brandt war damals Regierender Bürgermeister West-Berlins, Ernst Lemmer Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen.

Die Avus-Tribünen in Berlin-Charlottenburg vor Beginn der Sanierung.
Die Avus-Tribünen in Berlin-Charlottenburg vor Beginn der Sanierung.

© Thilo Rückeis

Die Faszination des Motorsports schmälerte das Unglück nicht. „Mein Vater Emil war autobegeistert und hatte mich schon früh zu Autorennen auf der Avus mitgenommen“, erzählt Michael Alexander Schmidt in seinem Bericht. „Ich war infiziert vom Rennvirus, der Geruch von verbranntem Öl, der Klang der Rennmotoren, die bunten Rennwagen fesselten mich.“ Es war also ausgemacht, dass Vater und Sohn am 2. August 1959 „zur Rennstrecke pilgerten“. Sie saßen auf der Tribüne der Südkehre und „fieberten der heranrasenden Meute entgegen“.

Anfangs blieb das Feld beisammen, doch bald setzten sich drei Ferraris an die Spitze, erinnert sich Schmidt. Auf den Geraden seien die Fahrer aus Maranello, dem Sitz des Ferrari-Werkes in der Emilia-Romagna, dank ihres Tempos und guter Motoren klar im Vorteil gewesen. „Die Avus galt als motorenmordend wegen ihrer langen Vollgasperioden.“

Hochspannung auf der Tribüne – bis zum spektakulären Unfall Hans Herrmanns mit seinem B.R.M-Rennwagen. Bald danach raste das Ferrari-Trio mit deutlichem Vorsprung ins Ziel. Schmidt nennt die Gewinner: „Es siegte der Brite Tony Brooks vor Dan Gurney und Phil Hill, beide USA.“

2016 traf Michael Alexander Schmidt den „Hans im Glück“ bei einer Oldtimer-Veranstaltung in Potsdam wieder. Lebhaft schilderte der inzwischen über 90 Jahre alte Hans Herrmann seinen Horrorunfall von 1959 und gab freimütig sofort ein Autogramm. Das widmete er Schmidts rennsportbegeistertem Vater Emil.

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