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Schmiererei mit Schrecken – wenn auch mit falscher Rechtschreibung.

© Julius Geiler

Flyer-Aktion und Massenschlägerei: Wie Rechtsextreme im brandenburgischen Rheinsberg gegen Geflüchtete vorgehen

„Kehrt nach Hause zurück“ steht auf Flyern, die in einem Wohngebiet der Kleinstadt an Geflüchtete verteilt wurden. Der Staatsschutz ermittelt.

Es ist ein schmuckloses, weißes Blatt Papier, das in der vergangenen Woche in den Briefkästen der Rheinsberger Mariefred Straße aufgetaucht ist. Umso brisanter ist der Aufdruck: „Kehrt nach Hause zurück, eure Heimat braucht euch!“ steht am oberen Rand und darunter der gleiche Satz in größerer Schrift auf Arabisch. Unterzeichnet ist die Botschaft mit „einprozent.de“.

Die Häuser im östlichen Wohngebiet „Am Stadion“ werden teilweise von Geflüchteten bewohnt. Tschetschenen leben hier, aber auch Syrer und Afghanen. Es liegt nahe, dass sich die verteilten Flyer also genau an die Menschen richten sollen, die noch nicht allzu lange in der Tucholsky-Stadt leben. 

Unabhängig davon, dass Afghanen und Tschetschenen in der Regel der arabischen Sprache nicht mächtig sind, ist das Credo klar: die Geflüchteten sind in Rheinberg nicht gewünscht. Die Vorstellung, dass vor allem junge, männliche Geflüchtete eigentlich in ihren Herkunftsländern benötigt werden, um ihre durch Krieg und Terror zerstörte Heimat wieder mitaufzubauen ist mittlerweile eine weit verbreitete Ideologie unter den neuen Rechten.

Die Bewegung „Einprozent“ wurde 2015 als Verein gegründet und vertritt eine teils rechtsradikale Ideologie. Erst im Juni dieses Jahres gab das Bundesamt für Verfassungsschutz bekannt, dass bei dem Verein „ernst zu nehmende Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorlägen“. Mittlerweile wurde die Bewegung vom Verfassungsschutz als „Verdachtsfall“ eingestuft. 

Auf ihrer Webseite spricht „Einprozent“ von „Deutschlands größtem patriotischen Bürgernetzwerk“ und tatsächlich ist die Organisation hervorragend vernetzt. So werden unter anderem zu der Identitären Bewegung und dem, vom Verfassungsschutz beobachteten, rechten „Compact-Magazin“ enge Beziehungen gepflegt.

Im Online-Versandshop der Initiative werden diverse Aufkleber und Flyer zum Verkauf angeboten. Neben Stickern mit den Aufschriften „Kein Platz für Invasoren“ und „Europa verteidigen“ findet sich hier auch der Aufdruck wieder, der seinen Weg bis in die Briefkästen der Rheinsberger Mariefred Straße gefunden hat. Der Artikel scheint heiß begehrt, ist er doch gerade ausverkauft. Sonst sind 100 Stück des Exemplars für 4,90 Euro zu haben.

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Der Polizei in Neuruppin ist die ausländerfeindliche Flyerverteilung bekannt. Eine Sprecherin teilte dem Tagesspiegel mit, dass sich am vergangenen Samstag eine Person syrischer Abstammung bei der entsprechenden Polizeidienstelle gemeldet hätte, um Anzeige zu erstatten.

So sollen die ersten Flyer bereits vergangenen Freitag in Briefkästen von Geflüchteten aufgetaucht sein. Über die Stückzahl konnte die Polizei zunächst keine Angabe machen. Das Neuruppiner Dezernat des Staatsschutzes ermittelt nun wegen des Verdachts der Volksverhetzung.

Massenschlägerei mit rechter Beteiligung

Die Verteilaktion reiht sich ein in mehrere Vorfälle in der Wohngegend „Am Stadion“. Zunächst hatten sich am 23. Juli dutzende Personen tschetschenischer Abstammung mit einer Gruppe an deutschen Männern eine Massenschlägerei geliefert. Aufnahmen der Prügelei kursierten im Nachhinein in den sozialen Netzwerken. Nach Recherchen des Tagesspiegels deuten die Social-Media-Profile einiger Beteiligter auf Verbindungen in die rechte Szene hin.

Dieser Aufruf in arabischer Sprache wurde in mehrere Briefkästen gesteckt. 
Dieser Aufruf in arabischer Sprache wurde in mehrere Briefkästen gesteckt. 

© privat

Aber auch die Tschetschenen sind in der Region keine Unbekannten. Bereits in der Vergangenheit gab es im Landkreis Ostprignitz-Ruppin immer wieder Probleme mit tschetschenischen Clanstrukturen. So versammelten sich einen Tag nach der Massenschlägerei mehr als hundert Tschetschenen in Rheinsberg, teilweise angereist aus Hamburg und Berlin. Mutmaßlich um die betroffene tschetschenische Familie vor Ort zu unterstützen.

Die Polizei bekam die Situation nur mit einem Großaufgebot unter Kontrolle. Es kam zu Identitätsfeststellungen und einzelnen Festnahmen. Am Mittwoch war die Situation im nordbrandenburgischen Tourismus-Idyll auch Thema im Innenausschuss des Landtages – die Debatte blieb aber ohne neue Erkenntnisse.

AfD Stellungnahme mit falschem Inhalt

Die AfD-Fraktion hatte den Antrag eingereicht. Deren stellvertretende Fraktionsvorsitzende Birgit Bessin kritisierte bereits wenige Tage nach den Vorfällen die Berichterstattung der angeblichen „Mainstreampresse“ und beklagte sich darüber, dass verschwiegen werden würde, dass „Migranten hier Gewalt auf unsere Straßen tragen“. Die etablierten Medien würden nur von „Männern“ und „Gruppen“ berichten, so der Vorwurf der AfD-Politikerin.

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In dem Statement heißt es weiter: „Sie geben vor, unsere Hilfe zu brauchen. Stattdessen importieren etliche all ihre Aggressivität und ihre Intoleranz in unser Land. Leidtragende ist die deutsche Bevölkerung (…)”. In einer weiteren Stellungnahme der AfD-Fraktion vom 30. Juli wird von „regelrechten Straßenschlachten“ zwischen „Tschetschenen und Migranten aus dem arabischen Raum“ gesprochen.

Dies ist insofern falsch, als dass bei der dem Konflikt vorangegangenen Massenschlägerei wie erwähnt eine Gruppe an deutschen Männern beteiligt war. Rheinsbergs Bürgermeister Frank-Rudi Schwochow (Freie Wähler/BVB) war für eine Stellungnahme zu den Ereignissen nicht zu erreichen, da er sich momentan im Urlaub befindet.

Julius Geiler

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