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Schwarz-Rot-Gold.

© Y. Polat

Flüchtlingshilfe in Berlin: Verein zur Flüchtlingshilfe verteilt Deutschtüten

Der Vorstand des Vereins Transaidency besteht aus ehemals Geflüchteten und verteilt nun "eine Tüte Deutsch" in Notunterkünften.

Morgens um zehn in Moabit. Zwei Kinder spielen Fangen. Um sie herum: Drei Sofas, ein laufender Fernseher und zwei Security-Mitarbeiter. In der ASB-Nothilfeunterkunft in Moabit ist heute richtig was los: Jouanna Hassoun vom Verein Transaidency ist gemeinsam mit ihren Kollegen Samer Al-Magazachi und Jessica Hiesch da, packt Utensilien in braune Tüten, die sie vor sich aufstellt. An einem kleinen Stand gibt es heute für die Bewohner der Unterkunft eine „Tüte Deutsch“.

In den rund hundert gepackten Tüten befinden sich nützliche Informationen und Lernmaterialien für Geflüchtete – etwa das deutsche Grundgesetz auf Arabisch oder Konversationshilfen auf Arabisch, Farsi und Dari. Außerdem einen USB-Stick mit noch mehr Materialien in noch mehr Sprachen – in der Hoffnung, dass die Empfänger einen Computer finden, an dem sie ihn verwenden können.

Vorstandsmitglieder sind selbst Geflüchtete

„Wie ruhig und entspannt das hier heute ist“, wundert sich Al-Magazachi. „Gestern haben die Menschen an den Türen geklebt“. Dies ist der zweite und vorerst letzte Tag der Aktion, zuvor waren die Helfer in mehreren Unterkünften unterwegs. Die Aktion wird vom Quartiermanagement Moabit-West gefördert, Hassoun und Al-Magazachi haben gemeinsam mit dem heute abwesenden Rafi Al-Hasani den Verein zwar erst vor kurzem gegründet, sozial engagiert sind alle jedoch schon seit Jahren. Alle drei Vorstandsmitglieder sind selbst als Geflüchtete nach Deutschland gekommen.

Für Kinder gibt es Nektarinen, Äpfel und Bananen

„Wir müssen noch das Obst waschen“, ruft Hassoun ihrer Mitstreiterin Hiesch zu. „Und wo sind die Malbücher?“, fragt Al-Magazachi. Es gibt noch viel zu tun: Neben den Erwachsenen-Tüten mit Deutsch-Lernmaterialien und nützlichen Infos wie Bezeichnungen für Körperteile, Rechte und Pflichten in Deutschland, gibt es auch Deutschtüten für Kinder, mit Malbüchern und einem Papier-Globus zum Zusammenbasteln. Die Materialien sind eine Sammlung aus Spenden, etwa von der Bundeszentrale für Politische Bildung, vergünstigten Materialien wie von der Konrad-Adenauer-Stiftung und selbst gedruckten Heften. Für jedes Kind gibt es zusätzlich Nektarine, Apfel oder Banane. Die ersten Bewohner kommen zaghaft zum Deutschtüten-Stand, eine Mutter mit zwei Kindern tritt heran. Hassoun fragt erstmal auf Arabisch: „Arabisch? Farsi? Dari?“ Die Mutter antwortet leise: „Arabisch“. Während Hassoun nach der passenden Deutschtüte greift, erklärt sie noch den Inhalt auf Arabisch, ein kleiner Smalltalk entsteht.

Jouanna Hassoun (2. v. links), Jessica Hiesch (3. v. links) und Samer Al-Magazach (rechts) helfen in Moabiter Unterkünften Flüchtlingen wie Ahmad (links).
Jouanna Hassoun (2. v. links), Jessica Hiesch (3. v. links) und Samer Al-Magazach (rechts) helfen in Moabiter Unterkünften Flüchtlingen wie Ahmad (links).

© Y. Polat

Dann greift der kleine Sohn, etwa sechs Jahre alt, nach einer Nektarine und zieht begeistert davon. Die heute 33-Jährige Hassoun sieht ihm nach. Sie war etwa so alt wie er, als sie mit ihrer Familie aus dem Libanon vor dem Bürgerkrieg nach Berlin floh und dann fünf Jahre lang in Flüchtlingsunterkünften gelebt – in Reinickendorf, Spandau und Tiergarten. Seit 1995 wohnt sie in Moabit: „Ich bin richtige Moabiterin“, sagt sie. Sie hat Sozialmanagement studiert, eine Psychotherapie-Ausbildung gemacht und mit 15 Jahren ihr erstes soziales Projekt gegründet: Den Mädchenkulturtreff „Dünja“ in Moabit. Mittlerweile arbeitet sie hauptberuflich beim deutschen Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg (LSVD). „Für mich war es immer wichtig, dass ich der Gesellschaft etwas zurückgebe“, sagt Hassoun.

Keine Grundgesetze auf albanisch

Ein Junge aus Albanien steht jetzt an ihrem Stand und fragt, ob es das Grundgesetz auch auf Albanisch gebe, Hassoun muss verneinen und gibt ihm Obst und den Globus zum Selbstbauen mit. Er zieht traurig, aber fürs erste beschäftigt ab. Das Grundgesetz oder andere hilfreiche Bücher gibt es auf Albanisch nicht: „Das liegt daran, dass Albanien zum sicheren Herkunftsland erklärt wurde“, sagt Hassoun und klingt resigniert. Im Laufe des Vormittags kommen immer wieder Menschen bei Hassoun und ihren Mitstreitern vorbei, die ihre Sprache nicht vorfinden. Vor allem kurdische Bewohner hätten gern Lernmaterialien, um Deutsch zu lernen. Dennoch freuen sich ausnahmslos alle über den Besuch.

Dass Hassoun und Al-Magazachi mit ihnen auf Arabisch sprechen können, kommt besonders gut an: „Es macht natürlich keinen Unterschied, woher ein Helfer stammt. Aber wenn jemand meine Sprache spricht, habe ich natürlich erst einmal mehr Vertrauen“, sagt Bewohnerin Lamya, die aus dem Irak geflüchtet ist. Die 58-Jährige geht zur Sprachschule nebenan, hat gerade Ferien. Jetzt liest sie in einem Lernbuch aus der Deutsch-Tüte.

Deutschunterricht per DVD

Der Kontakt mit den Geflüchteten ist Hassoun und ihren Kollegen besonders wichtig: „Wir wollen die Tüten nicht einfach abstellen, sondern mit so vielen wie möglich sprechen“, sagt Al-Magazachi. So lernen die drei Helfer zum Beispiel Ahmad kennen, der mitsamt fünfköpfiger Familie aus dem Libanon geflüchtet ist. Der 43-Jährige lernt aktuell mit seinen Kindern per DVD Deutsch, wie er stolz erzählt. Im Gespräch stellt sich heraus, dass Ahmad hauptberuflich Clown und Zirkusartist ist. Im Libanon hat er tagtäglich Kinder mit seinen Tricks begeistert: mit schwebenden Tischen etwa oder Nagelbett-Laufen: „Ich will euch das nächste Mal helfen, ich habe mein selbstgebasteltes Kostüm sogar mit nach Berlin gebracht“, sagt er zu Hassoun und hinterlässt seine Telefonnummer.

„Eine Tüte Deutsch hätte mir damals, als ich aus dem Libanon nach Berlin gekommen bin, sicher sehr geholfen“, sagt Hassoun. „Ich habe so spät Deutsch gelernt, dass ich aus meiner Sicht erst ab der siebten Klasse sprachfähig war.“ An die vielen ehrenamtlichen Unterstützer während ihrer Zeit in Flüchtlingsunterkünften erinnert sich Hassoun noch sehr genau und gern: „Wir haben viele Ausflüge gemacht, die Ehrenamtlichen haben mit uns gelernt und Geburtstage gefeiert, uns Kindern Berlin gezeigt. Dass Leute, die mich gar nicht kennen etwas tun, das war einprägsam. Die Ehrenamtlichen waren meine Engel“, sagt sie und ihre Augen sehen auf einmal ein wenig feucht aus. So prägend war das, dass sie sich irgendwann entschloss, sich gemeinsam mit Freunden selbst sozial zu engagieren. Der Schritt zur Vereinsgründung war dann nicht mehr groß: „Und wir wollten eigene Projekte umsetzen.“ Schwierig an der Arbeit seien für sie zwei Dinge, erstens: „Der Geruch. Der ist ganz spezifisch, schwer zu beschreiben und resultiert eben daraus, dass so viele Menschen auf einen Haufen wohnen.“ Durch den Geruch kämen regelmäßig Erinnerungen an ihre eigene Zeit in einem Heim hoch, teils auch „Traumata“, wie sie sagt. „Hier, in dieser Unterkunft ist es heute allerdings nicht schlimm.“

Einen Aufenthaltsstatus kann der Verein nicht spenden

Außerdem findet es die Sozialmanagerin schwierig, „dass ich den Geflüchteten keine langfristige Perspektive bieten kann. Vorhin kam einer an den Stand und fragte, was es hier gebe und ob ich ihm einen Aufenthaltsstatus spenden könne. Das musste ich dann leider verneinen.“ Ihr Kollege Al-Magazachi sieht das etwas positiver. Er sagt lächelnd: „Das nicht, aber hier gibt es Dinge, die zum Aufenthaltsstatus führen können.“

Für die Zukunft hat der Verein noch weitere Aktionen geplant: Ab Januar beispielsweise ein zweijähriges Berufsorientierungsprojekt für Geflüchtete und Jugendliche im Alter von 18 bis 25 Jahren mit und ohne Migrationshintergrund. Zuletzt hat das Zentrum für Migranten, Schwule und Lesben (MILES) die „Tüte Deutsch“ auf einer Informationsveranstaltung verteilt. „Für mich hat die Flüchtlingskrise gezeigt, wie engagiert die Berliner sind", sagt Hassoun. Gegen 15 Uhr sind fast alle Tüten verteilt, Hassouns Mitstreiterin Jessica Hiesch bastelt in einer Traube von Kindern Weltkugeln aus Papier.

Infos unter www.facebook.com/Transaidency, wer spenden oder sich engagieren möchte, schickt eine Mail an info@transaidency.de

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