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Hallen und Zelte. In der Knobelsdorf-Kaserne prallen zwei Welten aufeinander.

© dpa

Flüchtlinge in Spandauer Kaserne: Gewerbetreibende haben Angst vor dem Verlust ihrer Hallen

In der Knobelsdorf-Kaserne in Spandau treffen zwei Welten aufeinander: Flüchtlinge und Gewerbetreibende. Hier sieht man, was passiert, wenn Chaos in den Alltag einbricht.

Halle 44 ist ziemlich hässlich, ein Zweckbau, die Mauern aus roten Backsteinen, überzogen von einem grauen, schmutzigen Schleier. Ralf Sternheimer steht vor der Halle, im Blaumann, die Haare so weiß wie der Schnurrbart, die Blicke freundlich. Hier hat er sein Material, alles, was so anfällt bei einer Wohnungsauflösung. Und hier ist sein Problem. Es stört ihn nicht, dass die Halle in einer Seitenstraße der Knobelsdorf-Kaserne in Spandau liegt oder dass sie hässlich ist. Das Problem ist, dass sie zwei Toiletten und zwei Waschbecken hat. Sternheimer sagt: „Mein erster Gedanke war: „Wann wird mir die Halle weggenommen?“. Der freundliche Blick ist wie ausgeknipst. Er ist jetzt hart, als er nachschiebt: „Man fühlt sich ohnmächtig.“

50 Meter weiter geht eine junge Frau mit Kopftuch und knöchellangem Kleid auf der Straße. Ein Handwerker, ein Kopf größer, T-Shirt, breitschultrig, kommt auf sie zu, er gehört zu einer Rohrreinigungsfirma. Ihre Augen zucken, der Körper ist angespannt. Dann lächelt der Mann. Nach ein paar Sekunden deutet auch sie ein Lächeln an.

Die Knobelsdorf-Kaserne ist nicht mehr bloß ein Koloss aus Wohnblöcken, Hallen und Garagen. Hier prallen Welten aufeinander, seit 1600 Flüchtlinge in Zimmern und Zelten leben. Auf der einen Seite Gewerbetreibende, Leute wie Sternheimer, die seit 18 Jahren hier sind, auf der anderen Seite traumatisierte Menschen aus Syrien und anderen Ländern.

Und hier kann man sehen, was passiert, wenn Chaos in den Alltag einbricht, ein Chaos, für das es keine Schuldigen gibt, das aber Ängste und Probleme erzeugt, das auch Toleranz strapaziert.

Betreiber des Erstaufnahmelagers ist die Firma Prisod, ein Profi auf dem Gebiet. Das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) gab der Prisod genau sechseinhalb Stunden Zeit, die Kaserne „belegbar“ zu machen. „Das heißt, ausreichend Nahrung zu beschaffen, Belegungspläne zu erarbeiten, schauen, dass die Betten gerichtet sind, solche Sachen“, sagt Susan Hermenau, die Prisod-Sprecherin. „Aber was sollte das Lageso machen? Das hat ja auch erst einen Tag zuvor erfahren, dass es hunderte Flüchtlinge unterbringen muss.“

Die Hektik drang bis ins Wohnzimmer eines Autohändlers, der auf dem Parkplatz der Kaserne rund 20 Stellplätze gemietet hatte. Die Polizei verlangte die Räumung der Plätze innerhalb kurzer Zeit. Ansonsten erledige ein Abschleppdienst den Job, auf Kosten des Händlers. Der Platz werde für Zelte benötigt. „Da war natürlich erst mal Panik“, sagt eine Frau, die auch in der Kaserne arbeitet.

Turnhalle des Zolls wird zum heftig diskutierten Thema

Die Hauptzollämter Potsdam und Berlin haben eine Turnhalle in der Kaserne. Kurzzeitig sah es so aus, als wollte das Lageso auch diese Halle übernehmen. Am Ende durfte der Zoll bleiben, „aber die Nachricht, dass die Halle geräumt werden soll, ging rum wie ein Lauffeuer“, sagt Sternheimers Frau Dagmar. Diese Nachricht, das war der Moment, als Ralf Sternheimer Angst um Halle 44 bekam. „Viele hier befürchten, dass ihnen plötzlich ihre Halle weggenommen wird“, sagt auch ein Autohändler.

Am Donnerstag gab’s ein Krisengespräch, mit Gewerbetreibenden, Heimleitung, Bezirksamt und die BIMA, Eigentümerin des Geländes. Es ging um die Situation vor Ort, es kam zustande, weil Dagmar Sternheimer Druck gemacht hatte. Eine Enteignung werde es zu 99 Prozent nicht geben, lautete die Kernbotschaft. Beruhigend? „Nicht wirklich“, sagt ein Händler. „Man weiß ja nie, ob die es nur sagen, damit man beruhigt ist.“

Unsicherheit, Argwohn, das ist der Grundtenor, wenn man mit den Händlern redet. Sie sehen nicht die Flüchtlinge als Zielobjekt, sie haben Verständnis für deren Situation, sie reden von ihrem Gefühl, dass etwas unkontrolliert ablaufen könnte. Auch Dagmar Sternheimer redet so, diese Frau mit dem herzlichem Lachen. Sie war Krankenschwester auf einer Intensivstation, sie kennt Leid und Not, sie hat Verständnis für die Probleme traumatisierter Flüchtlinge. Und sie weiß auch, dass die eigentlich nichts anderes wollen als ihre Ruhe. Die wollen nur so etwas wie Normalität, keinen Streit.

Und trotzdem spürt auch Dagmar Sternheimer eine subtile Form von Argwohn, bei sich und bei anderen. Ein Kleinunternehmer ist sauer, weil auf der Kühlerhaube seines Autos Frühstück verzehrt wird. Frank Sistig hat hinter den Zelten einen Cadillac ohne Reifen stehen, den will er umbauen. Sistig sagt, er habe Grundsympathien für die Flüchtlinge, aber jetzt spielen Kinder jeden Tag im Auto, er hat Angst, dass die Scheinwerfer eingeschlagen werden. Kunden der Händler beschweren sich, weil sie am Eingang kontrolliert werden. Kleinigkeiten fördern eine ungute Stimmung.

Informationen oder Lebensmittelversorgung?

Susan Hermenau kennt das Problem mit der fehlenden Informationspolitik. „Wir sind selber ein wenig Opfer der Umstände.“ Aber was macht man, wenn man nur die Wahl hat, schnell Lebensmittel zu organisieren oder Menschen zu informieren? „Man macht das Naheliegende.“ Lebensmittel. „Aber im Nachgang, versuchen wir, alle einzubeziehen.“

Vor allem versucht die Prisod, die Welt der Flüchtlinge bestmöglich zu gestalten. 50 Erzieher, Sozialarbeiter, Sozialbetreuer, Pädagogen arbeiten vor Ort, es gibt Kinderbetreuung, Deutschkurse, Gemeinschaftsräume. Und die 600 Zeltbewohner sollen bis Winter möglichst ausnahmslos in festen Unterkünften untergebracht werden. Auf jeden Fall erhält jedes Zelt zwei Ölradiatoren zum Heizen.

Und noch immer werden Sachspenden abgeliefert, obwohl das längst unnötig ist. Eine junge Frau zum Beispiel zerrte gleich mehrere blaue Säcke mit Kleidern aus ihrem Auto und deponierte sie in der Kaserne. Dann brüllte sie begeistert: „Ich bin befreit.“

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