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Tragbar? Immer mehr Turnhallen werden zu Notunterkünften umgerüstet. In den Bezirken verursacht das Unmut.

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Flüchtlinge in Berlin: Pankows Bürgermeister fürchtet "Entmachtung" der Bezirke

Der Senat will schneller neue Unterkünfte bauen und dafür die Bezirke umgehen. In Pankow und Reinickendorf kommt das gar nicht gut an.

In der Berliner Verwaltung läuft vieles derzeit nicht mehr rund, ein wesentlicher Grund dafür ist die Flüchtlingskrise. Es kommen viel mehr Menschen in die Stadt, als die Behörden bewältigen können. Deshalb hat der Ex-Regierende Eberhard Diepgen (CDU) kürzlich vorgeschlagen, die Eingriffsrechte des Senats gegenüber den Bezirken zu stärken. Also durchregieren, statt langwierig zu verhandeln, etwa bei der Bereitstellung von Turnhallen als Notunterkünfte. Der Senat hat gerade einen Gesetzentwurf beschlossen, der in diese Richtung zielt. Die Finanzstaatssekretärin Margaretha Sudhof (SPD) spricht von „Zielkonflikten“ zwischen Senat und Bezirken bei der Realisierung von Bauvorhaben für Flüchtlinge. Während der Senat aufs Tempo drücke, um schnell zu helfen, äußerten die Bezirke vor allem Bedenken und zögerten die Genehmigungsverfahren hinaus.

Bauvorhaben für Flüchtlinge verzögert - wer hat Schuld?

Als Beispiel nannte Sudhof ein Bauvorhaben der Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) für Flüchtlinge und Studenten an der Landsberger Allee.

Seit eineinhalb Jahren läuft die Planung, so Sudhof. Zunächst sei eine Flüchtlingsunterkunft geplant gewesen, die der Bezirk nicht gewünscht habe. Es folgte der Vorschlag, die Unterkünfte um Studenten-Apartments zu ergänzen. Doch auch dieser Antrag sei abgelehnt worden, weil ein Sportplatz in der Nähe ist und dies zu Konflikten führen könnte.

Die Verteilung der Flüchtlinge müßte alleine vom Bund organisiert werden, und zwar so, dass jede Kommune 10-15% der Einwohner an Flüchtlingen aufnehmen muss. Damit ist dann auch jedes kleine Dorf und jede Großstadt gemeint. 

schreibt NutzerIn mitte31

„Dummes Zeug“, sagt dazu Matthias Köhne (SPD), Bezirksbürgermeister von Pankow. Das WBM-Vorhaben lasse sich nach den neuen gesetzlichen Vorgaben nur für Flüchtlinge realisieren. Wohnen sei hier normalerweise nicht zulässig.

Unterkunft in Buch steht bereit, bleibt aber ungenutzt

Die Verwaltungsmaschinerie der Bezirke funktioniere viel besser als beim Senat, sagt Köhne mit Blick aufs Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso). Im Ortsteil Buch stehe seit Wochen eine Flüchtlingsunterkunft bereit, der Betreiber zahle schon für den Wachschutz, doch das Lageso komme mit der Bearbeitung des Antrags nicht weiter.

Dass der Senat unter Druck komme wegen der Flüchtlinge, sei eigenes Verschulden, sagt auch Reinickendorfs Bezirksbürgermeister Frank Balzer (CDU). Die Suche nach Grundstücken für die geplanten Modulbauten hätte viel früher beginnen können. „Jetzt die eigenen Versäumnisse auf die Bezirke zu schieben, ist ziemlich billig“, sagt Balzer.

Senator Czaja musste Inbetriebnahme wieder abblasen

Balzer bremste höchstpersönlich den Elan von Sozialsenator Mario Czaja (CDU), der im Oktober auf die Schnelle eine große Flüchtlingsunterkunft in Heiligensee in Betrieb nehmen wollte. Balzer verwies auf offene Brandschutzfragen und seit Jahren unbenutzte Toiletten. Der Zustand der ehemaligen Fabrik müsse erst geprüft werden. Czaja musste die geplante Inbetriebnahme wieder abblasen. Inzwischen wird die Fabrik saniert und für Flüchtlinge hergerichtet. Auch bei den Turnhallen, die für Flüchtlinge beschlagnahmt werden, agiere der Senat „völlig blauäugig“ über die Bezirke hinweg.

Balzer und Köhne halten auch wenig von der geplanten Änderung des sogenannten Allgemeinen Zuständigkeitsgesetzes, das die Eingriffsrechte des Senats regelt. Köhne spricht von einem „Bezirksentmachtungsgesetz“, das der Senat im Windschatten der Flüchtlingskrise durchsetzen wolle. Der Rat der Bürgermeister werde sich intensiv damit befassen. Möglicherweise sei der Gesetzentwurf verfassungswidrig.

Bezirke werden "wie unmündige Kinder behandelt"

Verwaltungsexperte Thomas Birk (Grüne) sieht die Sache ähnlich. „Der Senat sollte die gegenwärtige Situation nicht zum Anlass nehmen, die Bezirke zu entmachten.“ Senat und Bezirke müssten auf Augenhöhe Probleme analysieren, Informationen austauschen und gemeinsam agieren. „Die Bezirke sind seit der Reform 2001 eigentlich selbstständig, werden aber vom Senat wie unmündige Kinder behandelt.“

Im Fall der Modulbauten für Flüchtlinge, der so genannten Mufs, hat sich der Senat bereits das letzte Wort gesichert. Anders als sonst ist die Genehmigungsbehörde die Abteilung Hochbau der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, und der Bezirk muss sich auf die Prüfung der „Fakten der Genehmigung“ beschränken. Vielleicht ist die Finanzverwaltung deshalb so optimistisch, dass bereits „vor der Wintersaison im nächsten Jahr“ die erste neu gebaute Modulare Flüchtlingsunterkunft eingeweiht werden kann – obwohl ein ganzer Block gebaut werden muss, eine Wohneinheit mit Platz für rund 450 Menschen sowie ein ergänzender „Funktionsbau“ mit Küchen, Gemeinschaftsräumen, Arztzimmer und anderen Versorgungsflächen.

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