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Dieses Foto zeigt den letzten Ausläufer West-Berlins mit einer Aussichtsplattform, aufgenommen aus einem Grenzhaus an der Schwedter Straße Ecke Kremmener Straße. Heute befindet sich hier der Mauerpark.

© D. Hubert Peuker/Gedenkstätte Berliner Mauer

Flucht aus der DDR: Verbotene Blicke auf die Berliner Mauer

Privatfotos von der Ostsicht auf die Mauer sind selten, denn es gab ein strenges Verbot. Einem Mann gelang durch sie die Flucht.

Auf den Fotos ist die Kreuzung nicht wiederzuerkennen. Nur die Lichtmasten des Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportparks lassen erahnen, an welchem Ort in Berlin die Bilder entstanden sind. Als Detlef Hubert Peuker im Jahr 1969 an der Schwedter Straße Ecke Oderberger Straße fotografiert, begibt er sich in große Gefahr. Denn Fotografieren ist im Grenzgebiet der DDR strengstens verboten. Peuker drückt trotzdem auf den Auslöser und hält damit einen besonderen Anblick für die Nachwelt fest – den Blick auf die Mauer vom Osten her.

Viele Fotografien zeigen die Berliner Mauer aus der Perspektive des Westens: Hinter der Grenzmauer, welche die DDR-Regierung als „vorderes Sperrelement“ bezeichnete, befanden sich in Richtung Osten die Grenzanlagen mit Wachtürmen und Dornenmatten. In Ostberlin blickten die Menschen auf das „hintere Sperrelement“ – eine zweite Mauer, an der ihre Welt endete. Wollten sie über die Mauer in den Westen fliehen, wussten sie nicht, welche weiteren Hindernisse noch vor ihnen lagen. Detlef Hubert Peuker aber wusste, was auf ihn zukam, als er in der Nacht vom 5. auf den 6. November 1969 Republikflucht beging. Seine heimlich gemachten Aufnahmen halfen ihm bei den Vorbereitungen, die Grenze zu überwinden.

West-Berlin im Blick. Detlef Hubert Peuker als junger Mann auf der östlichen Seite des Brandenburger Tors.
West-Berlin im Blick. Detlef Hubert Peuker als junger Mann auf der östlichen Seite des Brandenburger Tors.

© D. Hubert Peuker/Gedenkstätte Berliner Mauer

Die Polizei erwischte ihn und verhörte ihn stundenlang

„Ich war 16 Jahre alt und blauäugig“, sagt Peuker heute, wenn er daran denkt, wie gefährlich es war, diese Fotografien zu machen. „Aber dank ihnen konnte ich mich orientieren.“ Eigentlich wollte der gebürtige Braunschweiger, der in den 1950er Jahren mit seinen Eltern in die DDR zog, über die grüne Grenze fliehen. Doch das schien noch komplizierter.

So reist er im Sommer mit Freunden aus Jena nach Berlin, um seine Flucht vorzubereiten. Als er Aufnahmen im Grenzgebiet der Bernauer Straße macht, erwischt ihn die Polizei. In stundenlangen Verhören versicherte er, auf seiner Kamera seien nur „Stadtmotive“ zu finden. Die Beamten glauben ihm und geben ihm das Gerät samt Film zurück.

Fast drüben. Diese Aufnahme machte Detlef Hubert Peuker Ende der 1960er Jahre. Mehr Bilder gibt es unter www.berliner-mauer-gedenkstaette.de.
Fast drüben. Diese Aufnahme machte Detlef Hubert Peuker Ende der 1960er Jahre. Mehr Bilder gibt es unter www.berliner-mauer-gedenkstaette.de.

© Detlef Hubert Peuker/Gedenkstätte Berliner Mauer

Am Tag der Aufnahme wurde ein Flüchtender erschossen

Rund vierzig Fotos hat Detlef Hubert Peuker im Grenzgebiet geschossen. „Erst nach der Wende ist mir bewusst geworden, wie besonders die Bilder sind“, erzählt er. Die Gedenkstätte Berliner Mauer weiß nur noch von zwei weiteren Privatleuten, die Aufnahmen von der Ostseite der Mauer machten. Peuker ist der Einzige, der die Bilder gezielt zur Flucht nutze. Auf der Homepage der Gedenkstätte werden einige Fotos gezeigt.

Oft hat sich der heute 63-Jährige gefragt, ob er es noch einmal genauso machen würde. „Wenn ich das Risiko und die Gefahr gekannt hätte...“, zögert er. „Im Nachhinein habe ich erfahren, dass an dem Tag, als ich die Bilder gemacht habe, jemand dort erschossen wurde. Die hatten keine Hemmungen, das ist mir erst später bewusst geworden.“

...und so sieht es heute an der Kreuzung aus.
...und so sieht es heute an der Kreuzung aus.

© Mike Wolff

„Seien Sie froh, dass ihr Vater ein guter Genosse ist"

Einige Wochen vor der geplanten Flucht bringen in die Bilder erneut in Gefahr. Die Stasi holt Detlef Hubert Peuker zu Hause in Jena ab. Er hatte einige der Bilder an einen Mann verkauft, der ihm Fluchtpläne vorgespielt hatte und Westgeld für die Aufnahmen bot. Der war aber ein Spitzel und gab die Bilder weiter. Die Stasi wirft Hubert Peuker Spionage vor, doch der Jugendliche antwortet geistesgegenwärtig. Die Aufnahmen sollen nur beweisen, wie gut die DDR gesichert ist. Wieder hat er Glück, lügt überzeugend. Sie lassen ihn gehen mit den Worten: „Seien Sie froh, dass ihr Vater ein guter Genosse ist.“

„Ich hatte keine Ahnung, dass die die Fotos hatten“, sagt der Braunschweiger heute. Der Käufer der Fotos hätte nicht verdächtig gewirkt. „Ich dachte, der wäre ein Gleichgesinnter, der auch fliehen wollte.“

Mehr als zwei Jahre sitzt er in Rummelsburg ein

Im November 1969 gelingt Detlef Hubert Peuker die Flucht über die Mauer an der Bernauer Straße – genau von der Stelle aus, wo die Beamten ihn im Sommer beim Fotografieren aufgegriffen hatten. Jahre später schmuggelt er seinen Bruder in einem umgebauten VW-Bus in den Westen. Als er auch die Freundin des Bruders holen will, wird er verhaftet. Mehr als zwei Jahre sitzt er in Rummelsburg im Gefängnis, bis die Bundesrepublik ihn freikauft. An den Ort seiner Flucht, Schwedter Straße Ecke Oderberger Straße, kehrt oft zurück, wenn er die Hauptstadt besucht.

Mehr Bilder gibt es unter www.berliner-mauer-gedenkstaette.de. Anlässlich des Jahrestags des Mauerfalls findet am 9. November um 10 Uhr eine Gedenkveranstaltung in der Kapelle der Versöhnung (Bernauer Straße 4, Mitte) statt.

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