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Berlins Finanzsenator Kollatz stimmt die Öffentlichkeit auf einen Sparkurs ein. Die Koalition will lieber Kredite aufnehmen.

© Christophe Gateau/dpa

Finanzsenator über Kosten der Coronakrise: „Noch nie hat Berlin auf einen Schlag so viel Geld benötigt“

Wegen der Coronakrise rechnet der Finanzsenator mit einer „gewaltigen Neuverschuldung“. Das „Getöse“ der Bezirke um Sparvorgaben versteht er nicht. Ein Interview.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Der Landesrechnungshof fordert, wegen der gigantischen Kosten der Coronakrise die öffentlichen Ausgaben in Berlin auf den Prüfstand zu stellen. Was sagt der Finanzsenator dazu?
Wenn der Rechnungshof damit meint, dass ein „Weiter so“ nicht möglich ist, hat er recht. Die Coronakrise wird große Spuren bei den Steuereinnahmen hinterlassen, und zwar für mehrere Jahre. Die öffentlichen Ausgaben auf den Prüfstand zu stellen, kann aber nicht bedeuten, auf öffentliche Investitionen zu verzichten. Der Staat muss, wenn die Wirtschaft wieder wächst, die Konjunktur wirksam unterstützen.

Die Koalitionsfraktionen SPD, Linke und Grüne wollen aber sämtliche Einnahmeausfälle und Kosten, die die Pandemie verursacht, ausschließlich über neue Kredite finanzieren. Ausgabenkürzungen kommen offenbar nicht in Betracht. Fühlen Sie sich als Finanzsenator, der auf die Steuergelder achten muss, nicht im Stich gelassen?
Es wird unweigerlich zu einer gewaltigen Neuverschuldung kommen, die nach unserer Modellrechnung etwa fünf Milliarden Euro betragen wird. Die aktuelle Steuerschätzung wird genaue Zahlen liefern. Aber natürlich müssen wir sorgsam mit dem Geld der Steuerzahler umgehen und bei der Kreditaufnahme Maß halten, soweit das möglich ist. Denn das geliehene Geld muss irgendwann zurückgezahlt werden.

Wo lässt sich denn Maß halten?
Manche Ausgaben werden sich ohnehin verzögern, ganz unabhängig von der Krise. Wenn etwa öffentliche Bauprojekte später beginnen oder Personaleinstellungen sich verzögern, um nur zwei Beispiele zu nennen. Solche nicht ausgeschöpften Mittel lassen sich dafür verwenden, die Neuverschuldung zu verringern und – voraussichtlich im Herbst – Konjunkturprogramme des Bundes mit Landesmitteln zu ergänzen. Da kommt es auf die richtige Mischung an. Mit solchen Konjunkturprogrammen hat Berlin schon nach der Finanzkrise 2008 gute Erfahrungen gemacht.

Vor Beginn der Pandemie hat Rot-Rot-Grün noch einige teure Sozialprojekte auf den Weg gebracht. Dazu gehören beispielsweise die Hauptstadtzulage oder das kostenlose Schulessen. Solche Vorhaben werden jetzt nicht angetastet?
Die Projekte, die eingeplant sind, sollen auch umgesetzt werden. Na klar wollen wir die Schulbauoffensive fortsetzen, neue Fahrzeuge für die BVG bestellen und die Ausschreibung für die S-Bahn in den nächsten Wochen auf den Weg bringen. Allerdings kann es hier und da noch Umschichtungen geben. Es wäre unklug, dies von vornherein auszuschließen. So wird die Hauptstadtzulage nicht im November, sondern erst ab Januar 2021 ausgezahlt. Stattdessen gibt es in diesem Jahr eine 1000 Euro-Prämie für Mitarbeiter des Landes und einiger freier Träger, die besondere Lasten der Krise tragen.

Gibt es Großprojekte, die wegen der Coronakrise in Gefahr geraten?
Wenn Sie den Flughafen BER meinen: Nein! Dies ist und bleibt die wichtigste Infrastrukturmaßnahme der Region. Der Hauptstadt-Airport wird uns sehr dabei helfen, wirtschaftlich gut aus der Krise zu kommen. Die offizielle Eröffnung findet am 31. Oktober statt, aber wenn Not am Mann wäre, könnten wir auch ein paar Wochen eher anfangen.

Die Erweiterung des Flughafens steht nicht in Frage?
Eins nach dem anderen. Erst mal müssen wir den BER in Betrieb nehmen, dann muss er operativ wieder in die schwarzen Zahlen geführt werden. Wir würden uns freuen, wenn es noch weitere Bundeshilfen gäbe, das ist gegenwärtig leider nicht in Sicht. Ob sich bei den Ausbauplanungen etwas verzögert, werden wir sehen.

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Im landeseigenen Investitionsfonds Siwa liegen Gelder in Milliardenhöhe. Könnte dieser Finanztopf nicht helfen, die Neuverschuldung Berlins zu verringern?
Die Siwa-Mittel sind alle belegt, Umschichtungen wären aber möglich, um für öffentliche Investitionen neue Prioritäten zu setzen. Anfang des Jahres wurden beispielsweise Mittel zugunsten der energetischen Modernisierung von Wohnraum umgeschichtet. Weitere Umverteilungen in Siwa zugunsten konjunkturfördernder, rasch umsetzbarer Maßnahmen sind sicher sinnvoll.

Die zwölf Bezirke sollen wegen der Krise einen „Solidarbeitrag“ von 160 Millionen Euro leisten. Einige Bürgermeister haben offenbar das Gefühl, da kommt ein neuer Thilo Sarrazin, der ihnen alles wegnimmt. Sie protestieren und bekommen starke Unterstützung aus den Koalitions- und Oppositionsfraktionen. Muss der Finanzsenator klein beigeben?
Vieles von dem, was da an Getöse zu hören ist, verstehe ich nicht. Am Freitag werde ich mit den Bezirksbürgermeistern darüber sprechen. Für mich gilt seit Beginn meiner Amtszeit der Grundsatz: Solange das Land Überschüsse erwirtschaftet, werden auch die Bezirke nicht negativ abschneiden.

[Wo wird in Ihrer Nachbarschaft gespart? Wie wird es den Bezirken nach der Krise ergehen? In unseren Leute-Newslettern berichten wir wöchentlich aus den zwölf Berliner Bezirken. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Aber es gilt auch der Umkehrschluss: Wenn das Land mit mehreren Milliarden Euro in die Neuverschuldung geht, kann es nicht sein, dass die Bezirke Ende 2020 zusätzliche Guthaben anhäufen.

Sie galten bisher als Bezirke-Versteher, jetzt sind die Bürgermeister zum ersten Mal richtig sauer auf Sie.
Ich bin und bleibe ein Bezirke-Versteher.

In der Berliner Verwaltung geht die Angst um, dass wegen der Finanznöte weniger Mitarbeiter eingestellt werden, ein Beförderungsstopp und eine Haushaltssperre verhängt wird. Was ist da dran?
Wie so oft gilt, dass Gerüchte wenig zu tun haben mit der Wirklichkeit. An der Personalplanung für die Berliner Verwaltung wird sich nichts ändern. Stellen werden besetzt, Gehälter nicht eingefroren und Beförderungen nicht gestoppt. Es wird auch keine Haushaltssperre geben. Was aber passieren kann, auch wegen der Krise, dass sich Stellenbesetzungen verzögern.

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Wer leiht dem Land Berlin eigentlich fünf Milliarden Euro?
Das wissen wir noch nicht. Wir werden uns voraussichtlich sogar zehn Milliarden Euro leihen, mit einem Teil dieser Bruttosumme werden alte Schulden abgelöst. Das ist das übliche Verfahren. Aber noch nie hat Berlin auf einen Schlag so viel frisches Geld benötigt. Die Lage am Kapitalmarkt ist nicht einfach, wir sind ja nicht die einzigen, die Kredite brauchen. Allein der Bund leiht sich gewaltige Summen. Aber wir kriegen das in unseren Dimensionen hin, Berlin ist gut aufgestellt.

Die Koalitionsfraktionen peilen an, die neuen Kredite erst in den nächsten 25 Jahren zurückzuzahlen. Ist eine so lange Laufzeit verantwortbar?
Die große Mehrheit der Bundesländer geht davon aus, ihre Corona-Kredite in zehn Jahren zu tilgen und starten damit später. Wenn wir für Berlin eine Laufzeit der Kredite von 15 oder 20 Jahren festlegen, ist das kein Unglück. Aber es besteht doch die Gefahr, dass der nächste Krisenzyklus zur Anhäufung weiterer Schulden führt, bevor die vorherigen Kredite abbezahlt sind. Die globale Finanzkrise ist zwölf Jahre her, die Berliner Bankenkrise 20 Jahre. Dass wir in Zukunft eine krisenfreie Gesellschaft haben, glaube ich nun mal nicht. Wir dürfen die Gestaltungsmöglichkeiten künftiger Generationen nicht unnötig begrenzen.

Matthias Kollatz (SPD) ist seit 2014 Finanzsenator. Bei der Berlin-Wahl 2016 holte er das Direktmandat in Steglitz-Zehlendorf.

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