zum Hauptinhalt
In der internationalen Drachenszene lädt man sich gegenseitig zu Festivals ein.

© Kitty Kleist-Heinrich

Festival der Riesendrachen: Giganten über dem Tempelhofer Feld

Der Berliner Robert Kirsch baute schon als Kind eigene Kreationen und lässt auf dem Fest seine fliegenden Kuscheltiere steigen.

Herbstzeit ist Drachenzeit. Robert Kirsch steht im strömenden Regen auf dem Tempelhofer Feld und lacht: „Das ist die größte Lüge, die man uns Drachensportlern aufgetischt hat. Unsere Saison geht so wie die der Sommerreifen: Von Ostern bis Oktober“. Dann nämlich ist das Wetter ideal für die gigantischen Kunstwerke der Luft: Nicht zu windig, nicht zu nass, nicht zu kalt. Und außerdem braucht Robert Kirsch Zeit. Im Winter sitzt der 33-Jährige, hauptberuflich Projektleiter für Elektrotechnik, stundenlang vor der Nähmaschine und werkelt am nächsten Projekt. Denn Kirsch ist kein normaler Drachensportler. Er bastelt Riesendrachen.

Weltrekord: Fliegender 42-Meter-Rochen

Wer rausfinden will, was das Besondere an den überdimensionierten Flugobjekten ist, sollte am Samstag, den 16. September, ab 11 Uhr auf das Tempelhofer Feld kommen. Dann veranstaltet die Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land zum sechsten Mal das Festival der Riesendrachen. Den ganzen Tag über werden Drachenbauer und -piloten aus sieben Ländern ihre überdimensionieren Werke präsentieren. Darunter auch der Mega Ray, ein fliegender Riesenrochen, der mit seinen 42 Metern Größe einen Weltrekord aufstellte. Auf dem Gelände wird es auch Musikprogramm, Essensstände und – wichtig! – eine Bastelstation zum Selberbauen geben. Der Eintritt für das Fest ist frei.

Was zeichnet die Szene der Großdrachenflieger aus? Robert Kirsch sitzt jetzt in einem Straßencafé – draußen peitscht der Regen immer noch heftig über den Tempelhofer Damm – und erzählt aus seiner Welt. Es gehe nicht darum, besonders schnell oder hoch zu fliegen. Die Beschäftigung mit Material und Motiven steht im Vordergrund: „Einen Drachen selber zu bauen ist erst richtig das, was den Drachensport ausmacht“, sagt er. Und eine Idee, die man in Sekunden hatte, in stundenlanger Kleinstarbeit umzusetzen – „das ist schon ein erhabenes Gefühl“. Besonders, wenn die Drachen dann noch perfekt im Wind stehen und auf die winzigen Zuschauer runterblicken.

Als Vorlagen für ihre fantasievollen Drachen dienen Kirsch und seinen Kollegen oft Plüschtiere: „Da sieht man einen netten, kleinen Bären und denkt: Den könnte man mal als Drachen machen.“ Die Stofftiere werden auseinandergenommen und auf ein Raster übertragen. Dann verschieben sich aber die Dimensionen: Bis zu 20 Meter messen einige von Kirschs Figuren, wenn der Wind sie zum Leben erweckt. 350 Quadratmeter Tuch verschlingt so ein Großprojekt gut und gerne.

Welcher Koloss aufsteigen darf, entscheidet der Wind

Kein günstiges Hobby, besonders wenn man bedenkt, dass Kirsch und andere Drachenbauer oft mehr als 30 Drachen in ihrem Repertoire haben. Denn beim Fliegen müssen sie flexibel sein: „Wir kommen auf die Wiese, wir halten den Finger in die Luft und entscheiden dann, welchen Drachen wir auspacken“.

Aufgewachsen ist der gebürtige Berliner in Lichtenberg. Sein Opa nahm ihn noch vor der Einschulung unter seine Fittiche. Doch die Drachen, die das Duo bastelte, flogen eher schlecht als recht. Den technischen Feinschliff bekommt er als Jugendlicher dann in der Drachengruppe Aufwind – einem alten Ost-Verein. Obwohl das schon nach der Wende ist, saugt der junge Kirsch das Erbe der Ost-Berliner Drachentradition auf. Für seine Mentoren war das Hobby vor der Wende oft ein Spiel mit dem Feuer: „Hättest du mehr als drei Quadratmeter Tuch gekauft, hätte es Probleme gegeben“, erzählt Kirsch. Im Gegensatz zu ihren Westberliner Kollegen mussten sie besonders einfallsreich sein: „Leinen, Bettlaken, Gestänge von Papierrollos – die haben alles umgewandelt.“ Die gut 30-köpfige Mannschaft von Aufwind trainiert immer noch – in Marzahn, einen Steinwurf von den Gärten der Welt entfernt. Kirsch war als Jugendlicher der jüngste in der Gruppe, er ist es immer noch. „In der Drachenszene gibt es schon ein kleines Altersproblem", sagt er.

Eventsportarten mit den "show kites"

Das Kitesurfen habe jedoch dafür gesorgt, den vielseitigen Drachensport wieder populärer zu machen. Denn zu den Riesendrachen – auf Englisch „show kites" - gesellt sich ganz Unterschiedliches: Lenkdrachen, mit denen Piloten zur Musik ganze Choreografien fliegen, künstlerische Windinstallationen oder eben die dreieckigen Sportdrachen, mit denen Kitesurfer übers Wasser fliegen. All das fasst der Drachensport zusammen.

Geld verdient Kirsch mit seinem Hobby nur nebenbei, als Eventmanager für Drachenfeste. Doch seine Leidenschaft führt ihn über die ganze Welt: Er reist auf ausländische Festivals, fliegt dort seine Drachen. Und lädt Flieger nach Deutschland ein. Das ist so üblich in der gut vernetzten Szene: „Eine Gage gibt es nicht, aber Flug und Reisekosten werden von den Veranstaltern bezahlt.“ In Deutschland gibt es jedes Jahr 100 Drachenfeste. Ein besseres Marketing gibt es nicht: „Jeder muss sich fragen: Bin ich eher der Sammler oder der Bauer, was will ich fliegen? Dann reicht es nicht, nur in der Zeitung davon zu lesen.“ Die Drachenflieger sind am Samstag sicher für einen Plausch zu haben.

Ken Münster

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false