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Licht in der Nacht: Die Tankstelle als letzte Rettung.

© picture-alliance/ dpa

Fehler in der Corona-Verordnung: Tankstellen drohen Berliner Senat mit Klage

Erst siegten Wirte und Barbetreiber gegen die Corona-Sperrstunde, nun kommen die Tankstellen. Juristen sehen im Vorgehen des Senats inzwischen einen Skandal.

Für viele sind sie nachts ein Ort der Rettung und deshalb sogar ein Mythos: Essen, Zigaretten oder etwas Süßes gibt es an Tankstellen rund um die Uhr, wenn alle Geschäfte geschlossen sind, bleibt hier immer noch der Nachtschalter. Doch in der Coronapandemie macht der Berliner Senat auch den Tankstellen das Leben schwer.

Nach den erfolgreichen Klagen von Wirten und Lokalbesitzern gegen die Sperrstunde drohen nun die Tankstellenbetreiber mit dem Gang vors Gericht. Sie lehnen sich gegen die Vorgaben des rot-rot-grünen Senats zur Eindämmung der Coronapandemie auf.

In einem Schreiben an Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) und Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) warnt der Verband des Garagen- und Tankstellengewerbes Berlin-Brandenburg vor „übermäßigen und für die Bekämpfung der Coronapandemie nicht notwendigen wirtschaftlichen Belastungen für die Betroffenen“.

Der Verband weist in seinem Brief vom Freitag darauf hin, dass es in der Eindämmungsverordnung offenbar zur einem „nicht beabsichtigten Missgeschick bei der Formulierung“ gekommen sei.

Konkret sieht die Verordnung des Senats vor, dass Tankstellen in der Sperrzeit von 23 bis 6 Uhr „Ersatzteile für Kraftfahrzeuge, soweit diese für die Erhaltung oder Wiederherstellung der Fahrbereitschaft notwendig sind, sowie Betriebsstoffe anbieten“ dürfen. Für alle Geschäfte, Spätis, Kneipen und Tankstellen ist der Verkauf von Alkohol in dieser Zeit verboten.

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Der Tankstellenverband kritisiert nun, dass die Tankstellen nach dem Berliner Ladenöffnungsgesetz rund um die Uhr - 24 Stunden an sieben Tagen der Woche - Reisebedarf verkaufen dürfen. Das sind unter anderem Zeitungen, Zeitschriften, Schreibmaterialien, Tabakwaren, Toilettenartikel, Bedarf für Reiseapotheken sowie Lebens- und Genussmittel in kleinen Mengen.

Doch nach der Anti-Corona-Verordnung des Senats können die Tankstellen nun zwischen 23 Uhr bis 6 Uhr des Folgetages diesen Reisebedarf nicht mehr verkaufen. Der Verband bezweifelt, dass dies beabsichtigt war. 

Denn gegenüber den Fachverbänden der Wirtschaft, darunter auch die Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin wurde kommuniziert, dass Tankstellen nur keinen Alkohol in der Sperrzeit verkaufen dürfen – Reisebedarf aber schon. Davon ging auch die IHK aus, wie aus internen Schreiben hervorgeht.

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Der Tankstellenverband bemängelt nun, dass die Betreiber ohnehin strengen Hygieneauflagen unterliegen und diese auch einhalten. „Der Verkauf von Reisebedarf an den Tankstellen in den Nachtstunden ist gesundheitlich nicht bedenklich, da sich zu diesen Zeiten nicht viele Kunden gleichzeitig im Tankstellenshop befinden, Maskenpflicht herrscht und die Abstandsregelung von mindestens 1,5 Metern streng eingehalten wird“, schreibt der Verband an die Senatorinnen.

Die Folgen des Verkaufsverbot sind nach Angaben des Verbands für die Betreiber gravierend.  Der Verkauf von Reisebedarf sei für die Tankstellenpächter „von höchster Bedeutung, da sie von diesem wirtschaftlich abhängig sind“. 

Vom Treibstoffverkauf allein könnten die Betreiber nicht leben. Auch zahlreiche Kunden seien dringend auf „diese Notversorgung angewiesen“.

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Betroffen sind aus Sicht des Verbands etwa Pendler, aber auch Mitarbeiter von Polizei und Feuerwehr sowie Ärzte und medizinisches Personal. Der Tankstellenverband warnt daher: „Ein Verbot des Verkaufs von Reisebedarf wäre aus unserer Sicht daher unverhältnismäßig und somit rechtswidrig“.

Und der Verband droht damit, vor das Verwaltungsgericht zu ziehen: „Sofern die Verordnung an dieser Stelle nicht nachgebessert wird, müssten wir unseren Mitgliedern empfehlen, gegen diese (…) vorzugehen“. Die Geschäftsführerin des Verbands, Viviane von Aretin, schreibt, dass Tankstellenbetreiber vor dem Verwaltungsgericht noch erfolgreicher wären als die Wirte und Lokalbetreiber.

Gehen nach 23 Uhr alle wirklich brav nach Hause? Das bezweifeln Kritiker der Sperrstunde.
Gehen nach 23 Uhr alle wirklich brav nach Hause? Das bezweifeln Kritiker der Sperrstunde.

© Paul Zinken/dpa

Statt einer gerichtlichen Auseinandersetzung setzt der Verband nun auf die Einsicht des Senats. Denn die Verordnung ließe sich einfach ändern und anpassen. Es müsste nur das Wort „Reisebedarf“ in der entsprechenden Passage eingeführt werden.

Allerdings bestehen einige Zweifel am Agieren des Senats. Wirtschaft, Gerichte und Anwälte sind zunehmend irritiert über sein Vorgehen. 

Der Senat hatte vor eineinhalb Wochen eine herbe Schlappe vor dem Verwaltungsgericht hinnehmen müssen. Das hatte zunächst für elf, in zwischen für weitere Kneipen und Bars die Sperrstunde ab elf Uhr aufgehoben. Weitere Klagen von Lokalbetreibern gehen ein.

Gerichte und Anwälte sind irritiert: Wann schickt der Senat seine Beschwerdebegründung?

Gesundheitssenatorin Kalayci ließ gegen die erste Entscheidung des Verwaltungsgerichts Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG) einlegen. Doch Anwalt Niko Härting, der einige der klagenden Wirte und Barbetreiber vertritt, liegt noch immer keine Begründung der Gesundheitsverwaltung für ihre Beschwerde vor.

Ein mit der Materie befasster Jurist sagte dem Tagesspiegel: „Dass sich die Senatsverwaltung in einer solch wichtigen Fragen in der Coronapandemie so viel Zeit lässt und das Oberverwaltungsgericht nicht entscheiden kann, ist ein Skandal.“

Das sind die Corona-Regeln, die Sie in Berlin kennen müssen

  • Kontaktbeschränkungen bei privaten Treffen
  • Sperrstunde und Alkoholausschank in der Gastronomie
  • Maskenpflicht überall, wo es belebt ist
  • Beschränkungen bei Feiern, Veranstaltungen und Demonstrationen
  • Was ist erlaubt, was verboten: Der Überblick über die Corona-Regeln.

Das Verwaltungsgericht hatte bei allen Wirten befunden, dass es nicht ersichtlich sei, dass die Sperrstunde für eine nennenswerte Bekämpfung des Infektionsgeschehens in der Corona-Pandemie erforderlich sei. Die Wirte hätten bereits vielfältige Schutz- und Hygienemaßnahmen ergriffen. Zudem seien nach den bisherigen Erkenntnissen Bars und Restaurants nicht die Treiber der Pandemie.

Es sei daher nicht nachvollziehbar, warum es gerechtfertigt sein solle, gastronomische Betriebe nach 23 Uhr zu schließen. Auch die Gefahr der „Enthemmung“ unter Alkoholeinfluss nach 23 Uhr bestehe nicht. 

Den Gastwirten könne nicht pauschal unterstellt werden, dass sie diese Vorgaben nicht einhielten, entschieden die Richter. Es reiche nicht als Rechtfertigung, dass sich die Einhaltung der Vorgaben durch eine Sperrstunde leichter kontrollieren lassen. Ohnehin gilt das Ausschankverbot für Alkohol nach 23 Uhr weiter. 

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