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auch durch ausreichend Erholung wird die Müdigkeit nicht besser.

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Fatigue nach einer Krebstherapie: Die unerträgliche Müdigkeit

Viele Krebspatienten erleben nach der Therapie eine unübliche Antriebslosigkeit: Die sogenannte Fatigue findet noch wenig Beachtung, gegen das Leiden hilft Sport.

Wer Krebs hat, fürchtet um sein Leben. Und will meist alles tun, um es zu retten. Die Chancen, dass das mit Operationen, Bestrahlungen und Medikamenten zu schaffen ist, sind in den letzten Jahrzehnten deutlich gewachsen. Gegen Nebenwirkungen wie Übelkeit und Schmerzen gibt es zahlreiche Hilfen. Man merkt es daran, dass die Patienten heute nicht mehr so häufig darüber klagen. Es gibt jedoch ein Problem, das angesichts seines Ausmaßes noch zu wenig Beachtung findet: Viele Menschen, denen die Behandlung das Leben gerettet hat, fühlen sich nicht mehr so lebendig, so vital wie zuvor. Sie müssen sich zu jeder Aktivität zwingen, sind ständig müde, fühlen sich nicht ausgeruht, obwohl sie sich doch schonen.

Betroffene klagen: Ich will, aber ich kann nicht

„Ich will, aber ich kann nicht“, so fasst Petra Feyer, Vorsitzende der Berliner Krebsgesellschaft, zusammen, was sie von ihren Patienten hört. Die Direktorin der Klinik für Strahlentherapie, Radioonkologie und Nuklearmedizin im Vivantes Klinikum Neukölln beschäftigt sich schon seit Jahren mit dem Phänomen Fatigue. Eine Studie in verschiedenen onkologischen Praxen und Kliniken, an der sie beteiligt war, ergab im Jahr 2004: Symptome von Erschöpfung sind die Nebenwirkung, die heute für Krebskranke an erster Stelle steht. Mehr als 80 Prozent von ihnen geben an, darunter zu leiden, bis zu 40 Prozent länger als drei Monate. „Doch andere Symptome werden eher zur Kenntnis genommen“, sagt Feyer.

Mitte der 90er Jahre begannen einige Forscher, sich systematisch für die Fatigue zu interessieren. Das aus dem Französischen entlehnte Wort bezeichnet nach der Definition des US-Mediziners David Cella „außerordentliche Müdigkeit, mangelnde Energiereserven oder ein massiv erhöhtes Ruhebedürfnis, das absolut unverhältnismäßig zu vorangegangenen Aktivitätsänderungen ist“. Die Betroffenen fühlen sich besonders belastet, weil sie ihre Erschöpfung als unangemessen empfinden, weil sie sich in diesem Missverhältnis zwischen dem, was sie am Tag „leisten“, und der Schlappheit, die sie immer wieder überfällt, selbst nicht wiedererkennen. Beängstigend ist auch, dass sie sich ausruhen können, so viel sie wollen: Es wird dadurch nicht besser. Zwölf Prozent der Krebspatienten wollen wegen dieser Erschöpfung sogar nicht mehr weiterleben, so ermittelte Cella.

Fatigue kann viele Ursachen haben

Zur Behandlung gehört deshalb zuallererst, die Beschwerden ernst zu nehmen. Inzwischen gibt es Fragebögen, in denen Patienten ihre Symptome selbst einschätzen können. Die Ursachen für eine Fatigue können in der Krebskrankheit selbst oder in der Behandlung liegen. Starke Gewichtsabnahme und Mangelernährung, Muskelabbau, hormonelle Umstellungen, die den Schlaf beeinträchtigen, ein Mangel an roten Blutkörperchen, der zu verminderten Sauerstoffversorgung führt, Medikamente, die müde machen, die psychischen Folgen von Diagnose und Therapie, eine depressive Entwicklung: Viele Ursachen kommen in Frage, selbstverständlich auch in Kombination. Feyer empfiehlt, die gegen den Feind Krebs gerichtete Behandlung von Anfang an mit Maßnahmen zu flankieren, die auch den Feind Fatigue in Schach halten. Im Einzelfall gehört auch Erythropoetin, das vom Doping bekannte „Epo“, sowie Antidepressiva und die kurzfristige Gabe von Stimulanzien dazu.

Noch bedeutsamer ist, wie man heute weiß, aber Bewegung. „Sport ist ebenso wichtig wie ein Krebsmedikament“, sagt Feyer. Noch vor einigen Jahrzehnten sah man das anders. „Bewegung war Gift“, berichtete bei einer Informationsveranstaltung der Berliner Krebsgesellschaft kürzlich ein Zuhörer, der 1988 an Krebs erkrankt war. Einer, der entscheidende Verdienste daran hat, dass sich das änderte, ist der Charité-Mediziner Fernando Dimeo. 1998 begann er, in einer Pilotstudie fünf Patienten mit Blutkrebs schon während der Chemotherapie in der Klinik am Laufband trainieren zu lassen. Der Erfolg gab ihm recht – und weltweit folgten schnell weitere Studien. Inzwischen wird versucht, noch früher anzusetzen und Erkrankte durch gezielte Bewegungsprogramme auf die Behandlung vorzubereiten. „Die Belege dafür, dass Bewegung gegen Fatigue wirkt, sind inzwischen erdrückend“, sagt Freerk Baumann, der an der Sporthochschule Köln die Arbeitsgemeinschaft Bewegung, Sport und Krebs leitet. Das geht bis zum Krafttraining während der Chemotherapie, das bei Frauen mit Brustkrebs nachweislich die Fatigue verringern kann. „Wir haben die Aufgabe, den Patientinnen und Patienten dafür die nötige Sicherheit zu vermitteln“, sagt Baumann. Von sich aus neige jeder und jede verständlicherweise mehr zur Schonung. „Chronische körperliche Aktivität“ schütze dabei wirkungsvoller gegen chronische Erschöpfung – wenn im Anschluss an den Sport genug Zeit zur Regeneration bleibt. Inzwischen läuft in Köln auch ein Modellprojekt zu einer personalisierten onkologischen Trainings- und Bewegungstherapie über die gesamte Behandlungsphase hin. Neben der Art und Schwere der Krankheit spielen die Vorlieben der Erkrankten die Hauptrolle.

Wer gerne wandert, ist später zum Beispiel bei „Über den Berg“ richtig: Das ist der doppelsinnige Name eines gemeinnützigen Vereins, der Angebote für ein bewegtes Leben nach der Behandlung macht. Zum Beispiel für gemeinsame Wanderungen auf dem Jakobsweg und Touren über die Alpen.

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