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beim faszientraining kommen spezielle Schaumstoffrollen zum Einsatz.

© Mauritius

Faszien und Rückenschmerzen: Die mysteriöse Materie

Faszien sind in aller Munde. Doch was genau sind sie, und inwiefern beeinflussen sie unsere Gesundheit? Neue Studien deuten darauf hin, dass das Netz rund ums Muskelgewebe auch bei Rückenschmerzen eine Rolle spielen könnte

Bewegung hilft gegen Rückenschmerzen, das ist unbestritten. Doch leider gibt es Menschen, die regelmäßig Krafttraining machen und es dennoch „mit dem Kreuz“ haben. Im Prinzip jedoch stimmt die Aussage: Mehr als 85 Prozent aller Rückenbeschwerden lassen sich nach Ansicht von Experten tatsächlich „wegtrainieren“. Dabei ist nicht nur der Aufbau einer starken Muskulatur im Rücken, sondern auch ein Training der oberen und unteren Bauchmuskulatur wichtig. Es geht darum, den gesamten Rumpf zu stärken – sich quasi ein Korsett aus Muskulatur anzulegen.
Seit einiger Zeit bieten viele Fitnessstudios zusätzlich zum Krafttraining auch ein „Faszientraining“ an. Faszien, das ist ein Wort, das bis vor Kurzem kaum jemand kannte. Der Begriff kommt vom lateinischen fascia, was Band oder Binde bedeutet („Faschismus“ hat die gleiche Wortwurzel). Er bezeichnet das Bindegewebe, das zwischen dem Fettgewebe und den Muskeln liegt und dort faseriges Netz bildet, eine Struktur von weißer Farbe, die das Muskelgewebe umgibt. Ganz banal gesagt sind die Faszien das sehnige Zeug, das Nichtvegetarier vom Fleisch entfernen. Reißfest wird es dank Kollagen, dehnbar dank Elastin. Dieses Stützgewebe liegt wie eine Art Ganzkörperanzug unter der Haut. In der Schwangerschaft oder wenn ein Mensch innerhalb kurzer Zeit stark zunimmt, steht es stark unter Spannung. Seine Fasern können dann reißen. Faszien umgeben zudem auch innere Organe wie Leber und Niere. Selbst Knorpel, Sehnen und Bänder werden neuerdings von Sportwissenschaftlern zu den Faszien gezählt. Kurz: Sie sind im Körper allgegenwärtig.

Schulmediziner fanden das Thema bisher eher vernachlässigenswert

Therapeuten, die das „Rolfing“ praktizieren, benannt nach US-Biochemikerin Ida Rolf, aber auch Osteopathen und Akupunkteure interessieren sich schon länger für die feinen weißen Gewebeschichten. Schulmediziner hingegen fanden das wenig stoffwechselaktive Bindegewebe als therapeutischen Ansatzpunkt bisher eher vernachlässigenswert. Beim Sezieren von Leichen zu Studienzwecken waren die Gewebestrukturen für sie vor allem die hinderliche Barriere, die es zu durchtrennen galt, um endlich zu Muskeln und Knochen vorzudringen. Auch bei Laien dürfte das Wort spontan eher unliebsame Vorstellungen von „schwachem Bindegewebe“ und Cellulite erwecken.
In seinem „Fascia Research Project“ macht sich Humanbiologe und Psychologe Robert Schleip (Universität Ulm) schon seit einigen Jahren um Erkenntnisse zum Bindegewebe im Bereich des menschlichen Rückens verdient. Die deutsche Fachwelt wurde zuerst auf das neue Gebiet aufmerksam, als er 2007 in Boston einen Faszien-Kongress mitorganisierte. Zusammen mit Kollegen konnte der Forscher inzwischen in Zellkulturen nachweisen, dass Bindegewebszellen nicht starr und unbeweglich sind, sondern sich unter Einfluss von Stresshormonen zusammenziehen. Mit speziellem Ultraschall, der Elastografie, kann man die besonders große Rückenfaszie inzwischen auch sichtbar machen. Faszien können sich verdicken, sie können verfilzen und verkleben. Und möglicherweise ist das von Nervensträngen durchzogene Gewebe auch eine Quelle von Rückenschmerzen.
Auf jeden Fall sind die Bindegewebsstrukturen inzwischen ein Thema für Sportwissenschaftler geworden. Vielen von ihnen gilt das muskuläre Bindegewebe als schwächstes Glied bei der Belastbarkeit des Leistungssportlers. Adamantios Arampatzis, Leiter der Abteilung Trainings- und Bewegungswissenschaften an der Berliner Humboldt-Universität, beschäftigt sich seit über zehn Jahren mit den Möglichkeiten zur Veränderung von Bindegewebsstrukturen wie der Achillessehne durch gezieltes Training. „Eine Dysbalance zwischen Muskeln und Sehnen kann das Verletzungsrisiko erhöhen“, warnt der Sportwissenschaftler. Das könne etwa passieren, wenn ein gesunder Freizeitsportler plötzlich ganz intensiv mit dem Joggen beginne. „Herz und Kreislauf steigern sich durch ein regelmäßiges Training innerhalb von Wochen, aber es ist die Frage, ob das auch die Sehnen mitmachen“, sagt er. Mit gezielten Reizen könne man versuchen, sie rechtzeitig an die neue Situation anzupassen.

Auch das gute alte Seilspringen wird empfohlen

Die sanften und federnden Bewegungen, die Robert Schleip in seinem Buch „Faszientraining“ vorschlägt, wirken nicht gerade revolutionär, sind teils Bestandteil altbekannter Gymnastikprogramme. So wird etwa auch das gute alte Seilspringen empfohlen. „Neu ist aber die Erklärung, die wir heute geben können“, sagt Schleip. Bei dem Training kommen auch spezielle Schaumstoffrollen verschiedener Festigkeit zum Einsatz. Sie sind etwa so lang wie ein Unterarm und kosten rund 30 Euro. Die Übungen, die mit ihrer Hilfe ausgeführt werden können, sollen Gewebeschichten gegeneinander verschieben. So soll nach Schleips Erklärung auch Wasser aus dem Bindegewebe herausgepresst und der Stoffwechsel angekurbelt werden. Das könne dabei helfen, Verklebungen zu lösen. In Pilotstudien zeigte sich, dass Rückenschmerzpatienten profitieren, wenn sie drei Wochen je dreimal beim Physiotherapeuten Faszientherapie machen. Der Stuttgarter Physiotherapeut und Buchautor Christopher Gordon („Leben ohne Stress und Schmerzen. Faszien-Selbsttherapie“) hat eine weitere Studie beigesteuert, die 2016 beim Weltkongress zu Kreuzschmerzen in Singapur vorgestellt wurde: Er hat 206 Rückenschmerz-Geplagte in in zehn Sitzungen behandelt. Ein Fragebogen, den sie vorher und nachher ausfüllten, wies auf deutliche Besserung hin. Orthopäde Christian Schneider, langjähriger Chefarzt der Schön Klinik München, findet das Konzept des Faszientrainings plausibel. Man wisse, dass nach Rückenoperationen Beschwerden entstehen können, weil durchtrennte und wieder zusammengenähte Bindegewebsschichten verkleben. Durchaus denkbar also, dass das Bindegewebe auch ohne Einwirkung stellenweise verklebt und verdickt und so das Spiel der Muskeln reduziert. Schleip und der Ulmer Neurophysiologe Werner Klingler vermuten, dass in der Rückenfaszie unbemerkt minimale Verletzungen entstehen können, die zu Irritationen in Nervenzellen und damit zum verbreiteten Kreuzschmerz führen. Durch die Faszien ziehen zahlreiche Nervenbahnen, was die Schmerzen erklären könnte. „Ändert man das Milieu um die Faszie, indem man den Blutfluss lokal anregt und Schadstoffe abtransportiert, kann das eine positive Wirkung haben“, spekuliert Schneider.

In den Leitlinien wird Faszientraining heute nicht empfohlen

Ein wirklicher Beweis dafür, dass Faszientraining bei Rückenschmerzen wirkt, ist damit noch nicht erbracht. Dass die Übungen fassbare Veränderungen anstoßen, konnte bisher nicht belegt werden. Auch fehlen klinische Studien, in denen die Verfahren etwa im Vergleich zu Krafttraining getestet werden. „Es ist schwierig, zum Faszientraining gute klinische Studien durchzuführen, doch wir brauchen sie“, fordert Schneider.
Angesichts der dünnen Beweislage wird Faszientraining heute auch nicht in der Leitlinie zur Behandlung des Kreuzschmerzes empfohlen. Bewegung spielt dort aber eine tragende Rolle. „Bei der Behandlung von unspezifischen Rückenschmerzen setzen wir heute auf die Muskulatur – also auf viel Bewegung“, sagt Schneider. „Wenn wir starr und steif werden, muss das aber nicht allein an den Muskeln liegen, auch verkürzte Faszien spielen sicher eine Rolle.“ Schließlich gehören sie als Hülle und Halt gebendes Netzwerk untrennbar zu den Muskelpaketen. In seiner Klinik werden Übungen zur Lockerung der Bindegewebsstrukturen in die Physiotherapie integriert, ein eigenes Faszientraining jedoch nicht angeboten. „Wird empfehlen ein abgestimmtes Ganzkörpertraining“, sagt Schneider, „das bieten wir auch zur Vorbeugung von Rückenbeschwerden an.“ Was auf dem Etikett eines solchen Trainings steht, findet der Mediziner nicht so wichtig. „Die Hauptsache ist doch, dass die Menschen etwas dafür tun, beweglich und fit zu bleiben.“

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