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Familienfreundlich sind die Arbeitszeiten im Berliner Abgeordnetenhaus nicht.

© Klaus-Dietmar Gabbert dpa/

Familienunfreundliche Parlamentsreform in Berlin: „Das Teilzeitparlament ist eine Lebenslüge"

Die Parlamentsreform für Berliner Abgeordnete sieht mehr Geld, aber auch längere Arbeitszeiten vor. Nur so lasse sich das Pensum schaffen, heißt es.

Von
  • Ronja Ringelstein
  • Sabine Beikler

Ihre Wochenarbeitszeit will Antje Kapek gar nicht berechnen. „Es gibt keinen Tag im Jahr, an dem ich nicht Politik mache“, sagt die Chefin der Grünen-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Sitzungen, Abendtermine, Veranstaltungen am Wochenende und Telefonkonferenzen gehören zum Alltag.

Ohne die Unterstützung ihres Ehemanns und einem guten Netzwerk aus Freunden und Familie könnte die zweifache Mutter ihren Beruf nicht ausüben. Beruf und Familie zu vereinen, ist für Politiker ohnehin schwierig. Umso heftiger wurde in den Fraktionen der Grünen und Linken darüber diskutiert, dass die Plenarsitzungen künftig bis 22 Uhr statt wie bisher bis 19 Uhr dauern sollen.

Der Antrag zur Änderung des Landesabgeordnetengesetzes wurde am Mittwoch der vergangenen Woche in die parlamentarischen Beratungen eingebracht. Die Änderung soll am 1. Januar in Kraft treten. Die Formel lässt sich im Grunde so zusammenfassen: Es gibt für die 160 Abgeordneten mehr Geld für mehr Arbeit und eine neue Transparenzregel.

Statt einer längeren Plenarsitzung hätten die Grünen die Sitzungen gern auf zwei Tage verteilt. Aber das sei wegen der diversen Ausschusssitzungen organisatorisch nicht möglich, heißt es. Auch die Ausschusssitzungen sollen künftig drei statt zwei Stunden dauern.

Viele Abgeordnete empfinden diese längeren Sitzungszeiten als schwierig mit dem Beruf vereinbar, den viele Parlamentarier neben ihrer politischen Tätigkeit ausüben – schließlich ist das Abgeordnetenhaus ein Teilzeitparlament und soll es auch bleiben. Und natürlich auch mit der Familie. Je aufwendiger Beruf und Familie zu koordinieren sind, desto schwieriger wird es auch künftig werden, Frauen fürs Parlament zu begeistern, denn: „Familienarbeit ist in Berlin immer noch Frauensache“, heißt es beispielsweise aus dem Amt für Statistik Berlin Brandenburg.

„Es gibt einen guten Grund dafür, warum Politikerehen oft kaputtgehen.“

85,4 Prozent der Männer mit Kindern unter sechs Jahren arbeiten, bei den Frauen sind es nur 62,1 Prozent. Der Unterschied der Erwerbstätigenquoten von Frauen im Alter von 20 bis 50 Jahren differiert um 17,6 Prozentpunkte, wenn sie Kinder unter sechs Jahre haben, bei Männern der gleichen Altersgruppe sind es nur 3,4 Prozentpunkte.

Gerade in der Opposition sind die Frauen unterrepräsentiert. „Das Teilzeitparlament ist eine Lebenslüge. Das war nie Teilzeit, wenn man den Job ernst genommen hat“, sagte Dirk Stettner, bildungspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, dem Tagesspiegel. „Das wird durch die Reform nur der Realität angepasst.“ Stettner leitet neben der Arbeit im Abgeordnetenhaus ein Hotel im Sauerland mit 35 Mitarbeitern und vier Auszubildenden.

Er ist sein eigener Chef, kann mobil arbeiten, muss sich niemandem erklären. „Ein Vorgesetzter müsste schon sehr tolerant mit mir sein“, sagt er. Außerdem hat er drei Kinder im schulpflichtigen Alter. Für die Familie ausreichend Zeit zu finden, sei schwierig. „Sie müssen diesen politischen Job mit Ihrem Partner gut besprechen“, sagt Stettner. „Es gibt einen guten Grund dafür, warum Politikerehen oft kaputtgehen.“ Auch seine Frau ist berufstätig – allerdings in einer günstigen Konstellation: Sie betreiben das Hotel gemeinsam, das ihnen beiden gehört.

„Sonst schaffen wir unser Pensum nicht"

Viele der Abgeordneten sind eben aus diesem Grund selbstständig. Etwa als Berater in verschiedenen Branchen oder als Rechtsanwälte. Flexible Arbeitszeiten und oft auch -orte. Sven Kohlmeier, SPD-Abgeordneter, ist freiberuflicher Rechtsanwalt. Er sagt, der Anwaltsjob gebe ihm die Freiheit, selbst zu entscheiden, wann er mit der Parlamentsarbeit aufhören möchte. „Sonst muss man sich um Anschlusstätigkeit kümmern“, sagt Kohlmeier. Sich nur auf die Politikertätigkeit zu konzentrieren, könne einen auch abhängig machen.

Torsten Schneider, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD, sagt, faktisch habe man längst ein Vollzeitparlament in Berlin. Schneider hat gemeinsam mit den anderen parlamentarischen Geschäftsführern den Plan für die Parlamentsreform ausgearbeitet.

„Natürlich ist es ein Spannungsfeld, Plenarsitzungen bis 22 Uhr sind nicht familienfreundlich, aber sonst schaffen wir eben unser Pensum nicht“, sagt Schneider. Allerdings solle, so Schneider, die Kinderbetreuung im Abgeordnetenhaus ausgebaut werden. Eine Kita wird es aber nicht geben.

Reform verbessert Mutterschutz

In die Novelle des Landesabgeordnetengesetzes wird ein Passus aufgenommen, wonach der Parlamentspräsident einen Abgeordneten „auf Antrag für längstens sechs Monate nach der Geburt des Kindes von der Teilnahmepflicht an Plenar- und Ausschusssitzungen“ befreien kann.

Bisher galt das Mutterschutzgesetz, wonach werdende Mütter in den letzten sechs Wochen vor der Entbindung nur mit Einwilligung beschäftigt werden. Nach der Entbindung gilt ein Beschäftigungsverbot von acht Wochen beziehungsweise zwölf Wochen bei Früh- und Mehrlingsgeburten.

Da die Parlamentsreform jetzt konkrete Reglungen zu Schwangerschaft, Mutterschutz und Elternzeit enthalten soll, sei dies sogar eine Verbesserung, sagte Cornelia Seibeld, CDU-Abgeordnete und Vizepräsidentin des Abgeordnetenhauses. Die CDU lehnt wie die FDP ein Vollzeitparlament ab, hat sich aber mit SPD, Linken und Grünen auf die neuen Regelungen verständigt. SPD-Politiker Schneider sprach kürzlich von einem „Hauptzeitparlament“.

Die Reform des Abgeordnetenhauses: Diäten, Ausschüsse, Transparenz

Diäten

Ab 1. Januar steigt die Diät der Abgeordneten von 3944 Euro auf 6250 Euro monatlich. Die Bezüge für die 600 Bezirksverordnetenvertreter werden von 600 auf 937 Euro erhöht. Der Durchschnitt der Diäten aller Landesparlamente liegt bei 6556 Euro. Ein Bundestagsabgeordneter erhält 10.083 Euro.

Da bislang ein Drittel der im Plenum angemeldeten Vorgänge ohne Aussprache vertagt wird, soll 2021 die Anzahl der Plenar- und Ausschusssitzungen um zwei erhöht werden. Die Plenarsitzungen werden von 19 auf 22 Uhr verlängert. Ausschusssitzungen sollen statt bisher zwei mindestens drei Stunden dauern.

Die Auskunft über Einkommen aus beruflichen Tätigkeiten soll analog zum Bundestag in fünf Stufen erfolgen. Stufe 1 erfasst Bruttojahreseinkünfte zwischen 1 und 25.000 Euro, Stufe 5 Einkünfte von mehr als 250.000 Euro. Die Transparenzregelung soll ab dem dritten Quartal 2020 gelten.

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