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Üben, üben, üben. Nur so gewinnen Kinder Sicherheit beim Fahrradfahren.

© Privat

Familienkolumne: Allein mit dem Rad unterwegs

Unsere Autorin muss aushalten, dass ihre Tochter jetzt allein mit dem Rad zur Schule fährt. Das war nicht leicht.

Dass es bald so weit sein würde, wusste ich. Dann war der Moment da, an dem meine Elfjährige sich wieder ein Stück vom Kindsein entfernte und der Jugendlichen näherrückte. Ihre erste Liebschaft, ihren ersten Freund oder ihre Freundin … hach, hätte sie nur gesagt, dass es nun so weit sei, ich hätte aufgeatmet. Aber nein, sie sagte:

„Mama, ich fahre ab jetzt allein mit dem Rad zur Schule.“ Bevor jetzt beim Lesen alle die Augen rollen, ja, ich weiß, das gehört zum Älterwerden dazu. Aber in Berlin Fahrrad zu fahren, ist immer noch mehr als gefährlich – nicht nur als junger Mensch. Beim Fahrradclub ADFC heißt es auf der Internetseite, ob ein Kind mit dem Rad zur Schule fahren könne, hänge davon ab, ob es die „körperliche und geistige Fähigkeit hat“.

Ich traue meiner Tochter absolut zu, die zehn Minuten von uns zur Grundschule mit dem Rad zu bewältigen, nur was die „körperlichen und geistigen Fähigkeiten“ etlicher Autofahrenden in Berlin angeht, habe ich Bedenken.

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Man muss dazu wissen, dass ich früher jahrelang als Kriminalreporterin für den Tagesspiegel im Einsatz war. Ich habe über Verkehrsunfälle berichten müssen und Unfallorte gesehen, über die es mir heute noch schwerfällt zu sprechen.

„Mama, mach dir keine Sorgen. Ich kriege das schon hin“, sagte meine Tochter, als sie mein ängstliches Gesicht sah. „Ich habe doch meinen Fahrradführerschein.“ Ach ja, den. In der vierten Klasse mussten die Kinder eine bestimmte Anzahl an Besuchen in der Verkehrsschule absolvieren. Bei überwiegend schlecht gelaunten und grob im Ton agierenden Hilfssheriffs, wie man den Berichten der Kinder entnehmen konnte.

Wie der letzte Trottel: In Schlafshorts und Adiletten dem Kind Tipps gegeben

Nach der theoretischen Prüfung kam die praktische: Hindernissen regelkonform auszuweichen, Handzeichen geben, rechtzeitig am Stoppschild zu halten, den „Sicherheitsblick“ offenbar sehr übertrieben deutlich vorzuführen, all so etwas gehörte dazu. „Wenn ein Kind Federballspielen kann, kann es auch Rad fahren“ – auch diese kalenderspruchartige Weisheit fand ich im Internet zu dem Thema, diesmal von einem Experten der Deutschen Verkehrswacht.

Nun können weder meine Tochter noch ich gut Federball spielen, das Spiel ist uns suspekt. Dafür sind wir aber einigermaßen gut im Fußball – ob das auch zählt?

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Als meine Tochter sich aufmachte, frühmorgens allein zur Schule zu radeln, benahm ich mich wie der letzte Trottel. Noch in Schlafshorts, Unterhemd und Adiletten an den Füßen begleitete ich sie zu uns in den Hof, checkte den Helm, fragte in einem fort, ob sie auch an dieses und jenes denke: nie an der Kreuzung losfahren, wenn ein Lkw neben einem steht, am besten gar nicht mehr bewegen, wenn ein Lkw in der Nähe ist, und immer schauen, auch bei Grün, ob nicht doch jemand bei Rot fährt.

Meine Tochter ertrug es geduldig. „Klar, Mama!“ Dann fuhr sie los, ich winkte. Ein amerikanischer Klischee-Film. Da stand ich in Nachtzeug und Badelatschen – mit feuchten Augen.

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