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Schau an, die Chinesen. Wir teilen mehr als uns trennt.

© Marcel Mettelsiefen/dpa

Familien in Berlin: Chinesen zu Besuch

Wir leben in einer globalisierten Stadt und unser Autor wohnt in einem Haus mit Nachbarn aus aller Welt. Aber es gibt immer wieder ungewöhnliche Begegnungen.

Ich lebe in einer Stadt der offenen Grenzen. In einem globalisierten Haus mit Nachbarn aus sechs Nationen. Neulich hatten wir Gäste aus China, einen Mathelehrer und eine Englischlehrerin, beide etwa Mitte bis Ende zwanzig. Sie waren für zwei Wochen zu einem Austausch an der Schule meiner Frau. Sie sagte zu mir: „Am Sonnabend kommen Kolleginnen zu uns zum Essen. Sie bringen zwei Chinesen mit.“

Ich fragte: „Bringen Sie auch einen Kontrabass mit?“ Mit der Bemerkung versuchte ich, meine Unsicherheit zu überspielen. Später googelte ich ein bisschen herum und suchte das chinesische Wort für „Ministerium für Staatssicherheit“. In unsere Schrift übertragen heißt es ungefähr Zhonghuá Rénmín Gònghéguó Guójia Anquánbù. Ein unaussprechliches Wortungetüm. Ich beschloss, es nicht auswendig zu lernen. Die Chinesen sind clever: Vermutlich haben sie sich für ihre Stasi diesen langen Namen ausgedacht, damit ihn möglichst niemand ausspricht.

"Wir reden bei uns nicht viel über Politik"

Als unsere Besucher eintrafen, waren sie mir sofort sympathisch. Er nannte sich Max, sie Jasmin, vermutlich, um es für uns nicht zu kompliziert zu machen. Sie hatten kleine Gastgeschenke mitgebracht, Glasuntersetzer, geschmückt mit Masken der Pekingoper, und für meine Frau und mich jeweils eine bemalte Papierschwalbe in einem hübschen Kästchen. Am Tisch kamen wir schnell ins Gespräch: Die Englischlehrerin sprach ganz gut Englisch, der Mathelehrer nur Chinesisch, aber eine Kollegin meiner Frau konnte ein wenig übersetzen, sie war selbst zwei Jahre in China gewesen.

„Mein Chinesisch ist bescheiden. Ich würde sagen: auf dem Niveau eines Viertklässlers“, sagte sie. „Für ein politisches Gespräch reicht es nicht.“ Ich gab das in Englisch an meine Tischnachbarin aus Peking weiter. Jasmin entgegnete: „Ihr Chinesisch ist sehr gut. Wir reden bei uns nicht viel über Politik.“ Diese beiden Chinesen konnte man ohne Bedenken ins Ausland reisen lassen.

Beim Gespräch stellten wir schnell Gemeinsamkeiten fest

Wir verstanden uns sehr gut. Und stellten einige Gemeinsamkeiten fest. Natürlich unterhielten wir uns über das Thema Schule. Ich erzählte von unseren beiden Töchtern, und dass ich fand, sie hätten heute viel mehr zu tun als ich in meiner Schulzeit. Das sei in China auch so, sagte Jasmin, die erste Unterrichtsstunde beginne um 7.30 Uhr, Schulschluss sei um 16.30 Uhr. Danach säßen viele Kinder noch bis spät in den Abend an ihren Hausaufgaben.

Wir sprachen über Veränderungen in unserer Gesellschaft. „Tradition ist sehr wichtig bei uns in China, aber wir Jüngeren sind offener als unsere Eltern“, sagte Jasmin. Sie fand, dass in Deutschland „die Familie eine große Bedeutung hat“. Ich überlegte. Es gebe heutzutage viele unterschiedliche Formen von Familie, erklärte ich, Patchworkfamilien, auch Homosexuelle könnten heiraten. „Ah“, sagte Jasmin.

Zum Abschluss machten wir Erinnerungsfotos. Auf der Handykamera von Max flimmerten kleine Quadrate um die Köpfe der Gruppe, die schon auf dem Sofa saß. „Da werden die Gesichter gescannt“, sagte ich auf Englisch. „Die Daten werden direkt an die Staatssicherheit gesendet.“ Die beiden schauten mich kurz an. Regungslos. „War nur ein Witz“, sagte ich und lächelte. Vielleicht aber auch nicht.

„Bewegte Zeiten“. Die großartige Ausstellung zu Spuren der Migration mit archäologischen Funden aus Deutschland läuft noch bis 6. Januar 2019 im Martin-Gropius-Bau in Kreuzberg. Unbedingt hingehen!

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