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Gemeinsame Mahlzeit. Wenn es gut läuft, essen Au-pairs mit der Gastfamilie. Wenn es schlecht läuft, sind sie nur für die Zubereitung zuständig. Denn es kommt vor, dass die jungen Leute aus dem Ausland als billige Arbeitskräfte angesehen werden.

© Sidekick/Getty Images/iStockphoto

Familie: Zusammenleben auf Zeit

13 000 junge Menschen aus dem Ausland wohnen und arbeiten bei deutschen Familien als Au-pair. Nicht immer klappt das.

Moabit, ein schicker Neubau am Spreeufer. Es ist Donnerstagabend und am Esstisch in einer Wohnung im zweiten Stock sitzen Alex, sieben Jahre alt, der Besucher gern mit einem „Buh“ an der Tür erschreckt und Anouk, zehn, die heute Abend ihr Judotraining hat ausfallen lassen. Anouk hält Jessicas Hand. Jessica ist 25 und gehört zur Familie. Allerdings erst seit acht Monaten – sie ist ein Familienmitglied auf Zeit: Ein Au-pair. Im August kam die 25-Jährige aus der kolumbianischen Hauptstadt Bogata nach Berlin. Seitdem steht sie um viertel vor sechs auf, macht Frühstück für Anouk und Alex, schickt sie zur Schule und geht selbst zum Sprachkurs. Am Nachmittag bringt sie die beiden zum Sport und hilft ihnen bei den Hausaufgaben. „Wichtig finde ich, dass wir, wenn immer möglich, zusammen zu Abend essen“, sagt Jessica. „Bei manchen Freundinnen von mir ist das nicht so, da essen die Gastfamilien einfach ohne das Au-pair.“

Mit am Tisch sitzen auch noch Bruno, 45, und Silke, 43, die Eltern von Alex und Anouk, die beide in der IT-Branche tätig sind. Sie wollen nicht, dass ihr Nachname in der Zeitung steht. Geschäftspartner müssten nicht unbedingt wissen, wie sie ihr Privatleben organisieren. Und darum geht es hier. Die beiden wollen erzählen, wie gut das Zusammenleben mit ihren beiden Kindern und dem Au-pair Jessica funktioniert. Die ganze Familie dafür an einem Donnerstagabend zu versammeln, war gar nicht einfach. „Irgendwer hat eigentlich immer Sport“, sagt Silke.

600 Euro kostet es etwa pro Monat

„Wenn beide Eltern berufstätig sind, und zum Teil auch geschäftlich verreisen und keine Verwandten in der Stadt leben, ist ein Au-pair fast die einzige Möglichkeit eine flexible Kinderbetreuung zu organisieren“, sagt Bruno. Seit neun Jahren beschäftigen die beiden Au-pairs. Etwa 600 Euro kostet sie das im Monat, schätzen sie. Und man müsse in Kauf nehmen, dass eine Fremde bei einem lebe, sagt Silke. Trotzdem verlaufe das Zusammenleben meist harmonisch. Das findet auch Jessica: „ In den acht Monaten, seitdem ich hier bin, hat es wirklich gut funktioniert", sagt sie. Nach Berlin kam die 25-Jährige aus einem ganz pragmatischen Grund. Nach ihrem Chemiestudium wollte sie Deutsch lernen, um danach bei einem deutschen Pharmaunternehmen in Kolumbien einen Job zu bekommen. Ihr gefällt es gut in Berlin. „Die Deutschen sind etwas ernst, aber die Stadt ist so international und das Kulturangebot ist großartig.“

Jessica hat Glück gehabt. Denn nicht immer läuft das Zusammenleben so harmonisch wie in ihrer Gastfamilie. „Wir haben uns entschieden dieses Interview zu machen, weil fast immer nur über die negativen Seiten von Au-pair berichtet wird“, sagt Bruno. Aber diese Seiten gehören eben auch dazu, wenn man über das Thema spricht: 13 000 junge Menschen – die meisten Frauen – zwischen 17 und 27 Jahren haben 2016 als Au-pairs in Deutschland gearbeitet. Wie viele in Konflikt mit ihren Gastfamilien geraten, dazu gibt es keine Statistiken. „Jeden Tag bekomme ich ein bis zwei verzweifelte Anrufe", sagt Susanne Flegel. Die 53-Jährige betreibt eine Vermittlungsagentur für Au-pairs und hat zusammen mit einer Kollegin den Verein Au-pair Hilfe gegründet. Susanne Flegel schätzt, dass jedes Jahr mindestens 1000 Au-pairs, die für ihren Aufenthalt in Deutschland ein Visum benötigen, nicht gut bei ihren Familien erginge. Sie würden zum Teil „ ausgebeutet“. Ihnen würden die Pässe abgenommen, sie müssten schwere Hausarbeiten erledigen, Angehörige pflegen oder würden gar sexuell missbraucht.

Es fehlen Schutzmechanismen für Au-pairs

Die meisten Gastfamilien würden Au-pairs zwar ordentlich behandeln, meint Susanne Flegel. Aber es fehle an Schutzmechanismen, wenn etwas schief laufe. Viele Gastfamilien und Au-pairs lernen sich inzwischen über Facebook kennen oder sie nutzten Seiten wie au-pairworld.com, die wie Datingportale funktionieren. Im Notfall fehle da ein Ansprechpartner, sagt Flegel. Deshalb fordert sie eine Agenturpflicht wie in den USA oder den Niederlanden und wirksame Kontrollen der zugelassenen Agenturen.

Die 19-Jährige Caterina Gori aus Italien kann erzählen, wie es ist, wenn man Pech hat mit der Gastfamilie. In den vergangenen Wochen ist bei ihr einiges schief gelaufen. Sie habe gerade gelernt, dass man immer einen Plan B, einen Plan C und einen Plan D brauche. Nach dem Zerwürfnis mit ihren Gasteltern wollte sie bei einer Freundin unterkommen, die überlegte es sich anders. „Du kannst dich auf niemand verlassen. Die letzten Wochen habe ich in einem Hostel gewohnt“, sagt sie bei einem Telefongespräch. „Übermorgen ist meine Sprachprüfung und dann fliege ich nach Hause.“

Caterina Gori kam vor etwa einem halben Jahr nach Deutschland. Der erste Monat bei einer Familie in Blankenfelde sei großartig gewesen, sagt sie. Sie kümmerte sich um vier Kinder zwischen acht und dreizehn Jahren. Ihre Arbeitstage waren lang, bis zu zehn Stunden. Aber sie verstand sich zunächst gut mit ihrer Gastfamilie.

Manche Gastfamilien versprechen sich billige Arbeitskräfte

Doch schon bald hatte die Italienerin das Gefühl, ihrer Gastmutter nichts mehr recht machen zu können. Als sie einem der Kinder Süßigkeiten zum Geburtstag schenkte, sei es endgültig zum Bruch gekommen. „Meine Gastmutter hat geschrien, dass die Kinder das nicht essen dürfen, und versucht, mich zu treten, da habe ich mir gedacht: Jetzt bist du zu weit gegangen.“ Nach sechs Monaten zog sie Anfang März vorzeitig aus.

Au-pair bedeute eine Art Tauschgeschäft, sagt Caterina Rohde-Abuba, Soziologin an der Universität Bielefeld, die zum Au-pair-Wesen promoviert hat. „Die meisten jungen Frauen und Männer versprechen sich einen Kulturaustausch. Und viele Gastfamilien versprechen sich billige Arbeitskräfte.“

Ein Tausch für den es eigentlich Regeln gibt. Laut Bundesagentur für Arbeit dürfen Au-pairs nicht mehr als 30 Stunden die Woche arbeiten. Sie sollen nach den Kindern schauen und eventuell ein bisschen im Haushalt mithelfen. Dafür können sie umsonst bei ihren Gastfamilien wohnen, bekommen 260 Euro Taschengeld, eine Krankenversicherung und 50 Euro Zuschlag für einen Deutschkurs. „Im Konfliktfall haben die Au-pairs aber fast immer die schlechteren Karten", sagt Rohde-Abuba. „Denn sie kennen sich in Deutschland kaum aus und wohnen im Haus der Gastfamilien.“

"Sie haben mich die meiste Zeit ignoriert"

Vittoria Varone, ebenfalls 19, hat als Au-pair schon gute und schlechte Erfahrungen gemacht. Zurzeit läuft es wieder gut für sie in Berlin: „ So viele Ausstellungen, Clubs und Bars, in denen man Tischtennis spielen kann. Berlin ist toll“, findet sie. Aber nicht immer hat sie sich hier so wohl gefühlt. Im November kam Varone als Au-pair nach Berlin, um ihr Deutsch zu verbessern und das Land kennen zu lernen. „Aber meine erste Gastfamilie hat fast gar nicht mit mir geredet“, sagt sie. Zu viel Arbeit war nicht Vittoria Varones Problem. Am Wochenende musste sie zwar arbeiten, aber unter der Woche gab es für sie kaum etwas zu tun. „Die Familie hatte ja schon ein Kindermädchen. Ich weiß nicht, was sie sich von einem Au-pair versprochen haben. Sie haben mich die meiste Zeit ignoriert.“

Bei einem Ski-Urlaub in St. Moritz eskalierte die Situation. Eigentlich habe sie über Neujahr Zuhause in Mailand sein wollen, erzählt Vittoria Varone. Aber stattdessen sollte sie sich nun Non-Stop um ein schreiendes Kleinkind kümmern, während die Eltern Ski fuhren. Ihr Essen in den teuren Schweizer Alpen sollte sie selbst zahlen. „Ich saß in der Skihütte und habe geweint“, sagt die 19-Jährige.

Nach dem Urlaub habe ihr die Familie gesagt, dass sie binnen zwei Wochen gehen soll. Varone meldete sich bei ihrer Austauschagentur und hoffte auf Hilfe. Aber die Agentur habe ihr die Schuld gegeben und gesagt, dass sie sich mit der Gastfamilie arrangieren solle. „Unmöglich“, meint Vittoria Varone. Ein Freund, den sie aus einer Whatsapp-Gruppe für Au-pairs kannte, konnte sie an seine alte Gastfamilie in Zehlendorf vermitteln. „Als Au-pair muss man Glück haben“, sagt die 19-Jährige. „Du musst auf eine nette Gastfamilie treffen und genug Freunde für den Notfall haben. Denn sonst hilft dir keiner.“ Bei ihrer neuen Gastfamilien fühlt sie sich inzwischen wohl. „Ich arbeite viel, aber das ist kein Problem. Als ich neulich nach Italien wollte, haben meine Gasteltern mir das ermöglicht. In anderen Wochen mache ich mehr als ich muss. Wir versuchen uns gegenseitig zu helfen. Wir sind ein richtiges Team. Alles ist wunderbar“, sagt Vittoria Varone.

Miteinander reden ist wichtig

So wie bei Jessica, Alex, Anouk, Bruno und Silke in Moabit. Bruno und Silke planen das Zusammenleben mit ihren Au-Pairs aber auch stets akribisch. Wichtig seien vor allem die Vorgespräche via Skype. „Wenn ein Au-pair einen teuren Flug bucht, um hierher zu kommen, dann muss das auch passen“, sagt Bruno. Am Anfang sei es eine funktionale Beziehung, „aber meistens leben wir dann schnell als eine ganz normale Familie zusammen, wo jeder eben seine Rolle erfüllt.“ Zweimal in den letzten neun Jahren habe auch die Agentur sie kontaktiert, weil ein Au-pair sich vielleicht nicht getraut habe, ein Problem direkt anzusprechen. „Aber dann haben wir eben das Gespräch gesucht.“ Nur einmal sei es zu einem Zerwürfnis gekommen.

Miteinander reden sei wichtig, meint Silke. Nach dem Abendessen, wenn die Kinder im Bett sind, mache dann jeder eher sein Ding, meint Bruno. „Ich gucke vielleicht Nachrichten und die anderen schauen auf ihren Laptop. Da sind wir wie jede moderne Familie. Solange das W-Lan funktioniert ist der Familienfrieden gewahrt.“

Häufig skyped Jessica in ihrem Zimmer auch mit ihrer Familie in Bogata. Ganz nach Deutschland ziehen, das kam für sie nie in Frage. „Ohne meine Mutter will ich nicht leben“, sagt sie.

Caspar Schwietering

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