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Getrennte Bereiche. Hier das Spielzimmer, da das Büro für die Eltern.

© Thilo Rückeis

Familie: Zum Trösten durch die Geheimtür

In Prenzlauer Berg gibt es Berlins erste Kita mit angeschlossenem Gemeinschaftsbüro für Eltern. Aber wie funktioniert das im Alltag? Ein Besuch.

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf lässt sich jetzt besichtigen. Natürlich in Prenzlauer Berg: An einem Mittwoch, pünktlich um halb zwölf sitzen Kinder, Eltern und Erzieher der Kita „Coworking Toddler“ im Gemeinschaftsraum und essen zu Mittag. Es gibt Seelachsfilet mit Currysauce, geliefert von einem Vollwert-Caterer. Der Kommunikationsberater Clemens Lerche, 48, hat seine kleine Tochter Fritzi auf dem Schoß und schiebt abwechselnd sich selbst und ihr eine Gabel davon in den Mund. Eine Mutter hat sich mit ihrem vier Monate alten Baby in die Stillecke zurückgezogen.

Bis vor einer Minute haben die Eltern noch an ihren Schreibtischen gearbeitet und die Kinder waren mit Erzieher Yannick draußen unterwegs. „Coworking Toddler“ ist Berlins erste Kita mit angeschlossenem Gemeinschaftsbüro. Vorne in der Kita können zwölf Kinder zwischen drei Monaten und sechs Jahren spielen, während hinten im Bürobereich zwölf feste Arbeitsplätze für die Eltern eingerichtet sind. Jeder Erwachsene hat einen Schreibtisch und ein Schließfach, es gibt eine Teeküche und W-Lan. Büro und Kita sind getrennte Bereiche, die durch einen kurzen Gang miteinander verbunden sind. Mittags kommen Eltern und Kinder zum Essen zusammen.

Mehr als 12 Prozent der Erwerbstätigen sind Freiberufler

„Als unser zweites Kind zur Welt kam, habe ich ein Betreuungskonzept gesucht, das es uns erlaubt hätte, noch nah bei unserem Sohn zu sein und trotzdem konzentriert zu arbeiten“, sagt Gründerin Sandra Runge, 38. Gerade Freiberufler, die relativ ortsunabhängig und flexibel arbeiten können, hätten dazu grundsätzlich die Möglichkeit. Aber es gab in Berlin noch keine Kita, die Kinderbetreuung und Arbeitsplätze für Freiberufler unter einem Dach anbot. Dabei waren hier nach Angaben des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg im letzten Jahr immerhin 12,4 Prozent aller Erwerbstätigen selbstständig. Damit ist Berlin Spitzenreiter unter allen Bundesländern und liegt auch über dem Bundesdurchschnitt: Deutschlandweit arbeiteten nur zehn Prozent freiberuflich.

Runge war so überzeugt von der Idee, dass Berlin eine Kita mit anliegendem Coworking Space fehlte, dass sie mit Mann Marc, einem selbstständigen Unternehmensberater, eine gründete. Ihr Ziel: „Coworking Toddler“ sollte eine öffentlich geförderte Kita werden, für die die Kitagutscheine vom Jugendamt gelten. Soweit der Plan, über den der Tagesspiegel im vergangenen Frühjahr berichtete. Vor wenigen Wochen nun konnten Kinder und Eltern ihren ersten Kita- und Arbeitstag in den Räumen an der Greifenhagener Straße verbringen. Zeit für einen Besuch, um nachzusehen, wie gut das im Alltag funktioniert.

Für Clemens Lerche ist „Coworking Toddler“ so etwas wie ein Betriebskindergarten, der der Arbeitswelt von heute gerecht wird. Die üblichen Kinderbetreuungsangebote würden den real existierenden Beschäftigungsverhältnissen nicht gerecht, findet er. „Und wie so oft ist es dann ein kleines Start-up, das neue Wege beschreitet.“ Den Büroplatz müssen die Eltern zusätzlich für 350 Euro netto im Monat anmieten. Dafür können sie den Schreibtisch ganz flexibel unter allen Mitgliedern der Großstadtfamilie aufteilen: an einem Tag kann ihn der Papa nutzen, am nächsten Oma.

Mehr Anfragen als Plätze

Das Angebot trifft offenbar auf großes Interesse. Runge sagt, dass sie sich vor Anfragen kaum retten könne. Die Familien kommen aus ganz Berlin in die Kita in Prenzlauer Berg, aus Neukölln, Pankow, Weißensee oder Friedrichshain. Nicht alle sind Freiberufler – auch Angestellte ohne Anwesenheitspflicht, Studenten und Stipendiaten arbeiten hier.

Dass die Eltern mindestens genauso von dieser Lösung profitieren wie die Kinder, liegt für Marie-Luise Mähler auf der Hand. „Ich esse zum ersten Mal anständig, seit ich Kinder habe“, sagt die 38-jährige PR-Assistentin, die zurzeit ein Aufbaustudium absolviert. Solange sie von zu Hause aus gearbeitet habe, habe sie mittags nie für sich gekocht. Aber noch wichtiger ist ihr, dass sie die Mahlzeit gemeinsam mit ihrer Tochter einnehmen kann, sie noch mal sieht und mit ihr kuscheln kann, bevor die Erzieher die Kleine zum Mittagsschlaf hinlegen.

Kommunikationsberater Lerche genießt es, dass er seinen Tag am Schreibtisch nicht mehr allein verbringt, seitdem er und seine Tochter bei „Coworking Toddler“ sind. „Das ist hier ein Gemeinschaftserlebnis, ein echter Zugewinn an Lebensqualität.“ Ein willkommener Nebeneffekt: Auch berufliche Netzwerke und Synergien entstehen dabei.

Nur 2,7 Prozent der Kinder unter einem Jahr werden in einer Einrichtung betreut

Wie können sich die Eltern konzentrieren, wenn sie ihr kleines Kind nur einen Raum weiter wissen oder wenn sie es weinen hören? „Ich arbeite viel mit Kopfhörern“, sagt Lerche und lacht. Mähler meint, sie höre ihre Tochter deutlich häufiger lachen als weinen. Bei „Coworking Toddler“ bekomme man eben mehr vom Alltag der Kinder mit als in anderen Kitas. Mähler hat schon einen älteren Sohn in einer anderen Kita. Auch dort hätte sie einen Platz für ihre Tochter haben können. Aber Mähler und ihr Mann haben sich für „Coworking Toddler“ entschieden, weil sie nach der Geburt ihres zweiten Kindes beide früh wieder arbeiten wollten. Die Kleine schon im Alter von zehn Monaten komplett abzugeben, konnten sie sich aber nicht vorstellen. Laut Senatsjugendverwaltung entscheiden sich berlinweit nur 2,7 Prozent aller Eltern dafür, ihre Kinder schon im ersten Lebensjahr in eine öffentliche Betreuungseinrichtung zu geben.

Und die Kinder? Stehen die nicht ständig an der Zwischentür, weil sie zu Mama und Papa wollen? Bisher nicht. Was allerdings auch daran liegen könnte, dass sie noch gar nicht mitbekommen haben, dass ihre Eltern direkt nebenan arbeiten. Die geben ihre Kinder nämlich morgens am Kitaeingang ab und gehen dann einmal um das ganze Gebäude herum bis zur Bürotür. Die Zwischentür ist das am besten gehütete Geheimnis von „Coworking Toddler“.

Es dürfte wohl trotzdem nur eine Frage der Zeit sein, bis die Kinder darauf kommen, wieso ihre Eltern so schnell bei ihnen sein können, wenn sie mal dringend Trost brauchen. Wie gut sie dann akzeptieren werden, dass ihre Eltern in der Nähe, aber nicht für sie greifbar sind, wird sich zeigen. Im Moment wirken alle Beteiligten ziemlich entspannt. Allerdings ist bisher auch nur ein Drittel aller Kinder eingewöhnt. Wenn erst mal alle zwölf mit ihren Eltern angekommen sind, wird es wohl turbulenter werden.

Runges eigener Sohn wird übrigens nicht darunter sein. Er geht inzwischen in eine andere Kita und Sandra Runge wollte ihn nicht wieder aus seinem gewohnten Alltag herausreißen.

www.coworkingtoddler.com

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