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Leseort. Der Kinder- und Jugendbuchladen Purzelbuch.

© dma/Tsp

Familie: Der Buggy-Kiez

Es gibt Bilderbücher und Babykleidung, Kinderkurse und ein Spielcafé – eine Straßenecke in Schöneberg ist eine Art Familienparadies. Ein Ortstermin.

Am U-Bahnhof Eisenacher Straße steht wippend eine Frau mit Babytrage vor dem Bauch. Wegen des „Wohlfühlgefühls für Mutter und Kind“, das hier beim Bummeln aufkomme, sei sie zu Besuch in den Schöneberger Kiez gekommen. Dann bummelt sie los, von der Grunewaldstraße aus die Eisenacher Straße entlang. Auf dem kurzen Stück bis zur Apostel-Paulus-Straße reihen sich hier Läden aneinander, die alles anbieten, was Eltern und Kinder brauchen – oder einfach gern hätten. Die Frau mit der Babytrage und dem Wohlfühlgefühl ist nicht die einzige Passantin mit Kind. Viele schieben einen Buggy. Vormittags sind das eher Mütter, nachmittags kommen auch Väter dazu und ältere Kinder.

Vor dem Drachen- und Spielzeugladen „Flying Colors“ fällt ein knallpinker Flamingo auf, daneben bewegen sich andere bunte Windspiele. Nebenan wartet das „Familiencafé Lütte“ auf Kinder, die im Bällebad toben möchten, und Eltern, die die Gelegenheit nutzen, mal kurz durchzuatmen und einen Kaffee zu trinken oder etwas zu essen. Wer nicht hineingeht, kommt kurz darauf am Kinder-Secondhandladen „Trollby“ vorbei. An der Ecke zur Apostel-Paulus-Straße ist die Kinder- und Jugendbuchhandlung „Purzelbuch“. Drinnen sieht man neben vielen Büchern eine Spielküche, in der ein blondes Mädchen gerade Holznudeln in eine Schüssel packt. Einmal im Monat findet auf dem großen Sofa in dem Laden ein Leseclub statt. In der Apostel-Paulus-Straße dann ist das Angebot nicht mehr ganz so geballt, hier gibt es Kinderkurse und bunte Kleidung in der „Kids Corner“ und Handgenähtes wie zum Beispiel Krabbeldecken im Kinderkleiderladen „Klix – kleine Sachen“.

Im Familiencafé war vorher eine Kneipe

Und das alles auf nur wenigen Metern. So etwas gibt es sonst höchstens noch an der Florastraße in Pankow – aber da muss man länger laufen, um von einem Kinderladen zum nächsten und dann noch ins Kindercafé zu gelangen. Wie kommt es also, dass sich die Kinderläden an dieser Schöneberger Straßenecke so ballen? „Wir waren zuerst da, die anderen Läden kommen wegen uns“, lautet Grischa Königs ironische Erklärung für den Kinderladen-Boom. König arbeitet im Drachenladen „Flying Colors“, der schon in den Achtzigern eröffnet wurde. Die Straßenecke habe sich seitdem stark verändert, sagt König: „In dem Familiencafé nebenan war vorher eine Kneipe.“ Grischa König kennt die Ecke schon lange: „Ich war hier mit sieben Jahren mit meinem Papa das erste Mal, um einen Drachen zu kaufen“, erinnert sich der 36-Jährige.

Spielort. Das Familiencafé Lütte ist an der Eisenacher Straße 80. Es hat Mo-Sa von 9.30 Uhr bis 18.30 Uhr geöffnet, sonntags von 12-19 Uhr. Das Spielen kostet pro Kind 2 Euro. Infos unter www.cafe-luette.de
Spielort. Das Familiencafé Lütte ist an der Eisenacher Straße 80. Es hat Mo-Sa von 9.30 Uhr bis 18.30 Uhr geöffnet, sonntags von 12-19 Uhr. Das Spielen kostet pro Kind 2 Euro. Infos unter www.cafe-luette.de

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Läuft man ein paar Häuser weiter, findet man sich zwischen üppig behangenen Kleiderständern wieder: Der Kinder-Secondhandladen „Trollby“, der hier 2009 eröffnete, platzt aus allen Nähten. Dort wird ein „Rundum-sorglos-Paket“ für neue Eltern geboten. Auf der Internetseite gibt es eine Erstausstattungsliste zum Ausdrucken: Werdende Eltern können auf der Liste abhaken, was sie schon haben, und den Rest bei „Trollby“ kaufen. Warum sich die Inhaber Andreas und Katja Boeck für den Standort entschieden haben? „Der Kiez war schon immer familienfreundlich“, sagt Andreas Boeck und verweist auf Kindertagesstätten in der Umgebung. Secondhandmode komme hier außerdem gut an. „Die Leute sind bürgerlich und relativ normal“, sagt er, „nicht so ideologisch wie in Prenzlauer Berg oder Kreuzberg.“ Seine Kunden kauften Secondhandkleidung, weil das „schlichtweg vernünftig“ sei. „Kinder wachsen einfach schnell aus den Sachen raus.“

Mareike Löchte, Inhaberin des Kinderkleiderladens „Klix – kleine Sachen“, das ebenfalls 2009 eröffnet hat, sagt: „Wir haben damals gesehen, dass es hier sehr viele Kinder gibt, aber kein Angebot.“ Im „Klix“ reihen sich heute gelbe und blaue Gummistiefel aneinander. Der Laden an der Apostel-Paulus-Straße ist gefüllt mit buntem Kindergeschirr, Tierrucksäcken, Naturware und Kinderkleidung aus erster und zweiter Hand. Dass das Geschäft gut läuft, merkt man nicht zuletzt daran, dass sich die Ladenfläche vergrößert hat – zusammen mit den Kleidungsstücken. Claudia Bodinus, die in dem Laden mit ihrem Label „Glücksstück“ eine Näh-Ecke betreibt, erklärt: „Früher war 116 die Obergrenze, heute gehen die Kindergrößen bis 164.“ Auch Mareike Löchte hält den Kiez für familienfreundlich. Dass die Kinderläden an der Straßenecke gut laufen, liege – anders als zu vermuten – aber nicht unbedingt daran, dass hier in den letzten Jahren mehr Kinder lebten. Im Gegenteil verabschiedeten sich auch viele Familien aus dem Kiez, wie Löchte erklärt. „Der Bezirk ist teurer geworden. Viele ziehen weg, wenn die Kinder größer werden und sie keine passende Wohnung finden.“

"Secondhandläden für Kinder sind ein Berliner Ding"

Ulrich Binner von der Organisationseinheit Sozialraumorientierte Planungskoordination des Bezirksamts Tempelhof-Schöneberg kann das nur bestätigen: „Das ist eine Ecke, an der Familien mit Kindern aufgrund steigender Mieten eher weggezogen sind“ – genauso wie in anderen innerstädtischen Gebieten Berlins. Im Vergleich zu anderen Ecken in Schöneberg gebe es in dem Kiez zwar tatsächlich etwas mehr Kinder: „Im städtischen Gesamtvergleich ist das aber nicht auffallend“, sagt Binner. Für den Kinderladen-Boom muss es noch andere Gründe geben. Dass hier heute einkommensstärkere Familien lebten als früher, könnte sich positiv auf die Kaufkraft auswirken, vermutet Binner und fügt hinzu: „Es ist jedoch schwer, eine tatsächliche Begründung für solche Phänomene zu finden.“ Denn die Buggy-Flaneure kommen nicht nur aus der Nachbarschaft.

„Trollby“-Inhaber Andreas und Katja Boeck erklären, dass sie über das Internet Kunden aus ganz Deutschland erreichen: „In München gibt es solche Secondhandläden für Kinder kaum“, sagt Andreas Boeck. „Das ist ein Berliner Ding.“ Die Kunden würden über Werbung auf den Laden aufmerksam und kämen gezielt zu ihnen. „Um heute zu überleben, muss man viel Öffentlichkeitsarbeit machen“, sagt Boeck. Und ein Paar, das gerade mit Doppelkinderwagen um die Ecke kommt, sagt: „Die Läden ziehen viele Touristen an: Großmütter, die nach Stramplern mit Ampelmännchen suchen, zum Beispiel.“

Farida Doctor-Widera vor der Kids Corner
Farida Doctor-Widera vor der Kids Corner

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Aus der Tür der „Kids Corner“ an der Apostel-Paulus-Straße, vor der ein Ständer mit sehr bunten Kinderkleidern steht, tritt gerade eine junge Frau, die auf Englisch erklärt, dass sie aus Venezuela stammt und in Kreuzberg lebt. „Wir waren hier gerade zum Singen“, sagt sie und macht ihr Fahrrad los. Hinten auf dem Fahrradsitz sitzt ihr Sohn. Die „Kids Corner“, die 2011 eröffnete, beschreibt sie als „super international“. Ihre Kunden stammten aus den USA, Argentinien, Uruguay, Kanada, Japan, China, Indien, Pakistan, England und Irland, sagt „Kids Corner“-Inhaberin Farida Doctor-Widera, die in den Hinterzimmern des Ladens Musik- und Tanzkurse für Eltern und Kinder in verschiedenen Sprachen anbietet. „Oft melden sich Eltern, schon bevor sie nach Berlin kommen.“ Darunter Professoren aus Austauschprogrammen und Botschafter – „aber auch weltoffene Berliner, die im Ausland gelebt haben“. Doctor-Widera schickt einmal die Woche einen Newsletter mit wechselndem Kursangebot an interessierte Eltern. Im Laden verkauft sie außerdem englische Kinderbücher.

Die Läden ergänzen sich

Die Tatsache, dass die Kinderläden hier so geballt auftreten, ziehe manche Leute überhaupt erst in den Kiez, sagt Doctor-Widera: „Die Läden profitieren voneinander. Wir ergänzen uns. Wenn ich etwas nicht habe, schicke ich die Kunden zu den anderen Läden.“ Sie rät Eltern nach den Kursen etwa gern, ins „Familiencafé Lütte“ zu gehen. Als 2016 das „Purzelbuch“ aus der Belziger Straße hergezogen sei, habe sie sich sehr gefreut. Und dass ein Holzspielzeugladen und ein zweites Café mit großer Spielecke vor einiger Zeit aufgegeben haben, bedauert sie – ebenso wie Andreas Boeck.

Der Nachfolger des Cafébetreibers hat die Spielecke mit der großen Sperrholzburg weggeräumt und stattdessen mehr Tische aufgestellt. Eltern mit Kindern, die den ganzen Nachmittag dablieben und nur wenig ausgäben, würden sich nicht rechnen, sagt er. „Wir sind aber trotzdem kinderfreundlich.“

In Farida Doctor-Wideras „Kids Corner“ wird gesungen und getanzt (www.kidscornerberlin.de). Das „Familiencafé Lüttn Farida Doctor-Wideras „Kids Corner“ wird gesungen und getanzt (www.kidscornerberlin.de). Das „Familiencafé Lütte“ hat von 9.30–18.30 Uhr (Mo bis Sa) geöffnet, sonntags von 12–19 Uhr. Das Spielen kostet pro Kind 2 Euro (www.cafe-luette.de). Im Purzelbuch findet einmal im Monat ein Leseclub für 10-14-Jährige statt. Infos unter: www.purzelbuch.de/e“ hat von 9.30–18.30 Uhr (Mo bis Sa) geöffnet, sonntags von 12–19 Uhr. Das Spielen kostet pro Kind 2 Euro (www.cafe-luette.de). Im Purzelbuch findet einmal im Monat ein Leseclub für 10-14-Jährige statt. Infos unter: www.purzelbuch.de

mit dma

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