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Die wenigen Ständer an den Eingängen des Bahnhofs Südkreuz sind ständig überfüllt.

©  Hasselmann

Fahrradverkehr in Berlin: Bahn verteilt Knöllchen für Radfahrer

Mangels Stellflächen parken viele Radler direkt vor Bahnhöfen. Dagegen geht die Bahn jetzt rigoros vor.

Die Bahn schleppt jetzt ab – und zwar Fahrräder, die vor ihren Bahnhöfen nicht an einem der offiziell dafür vorgesehenen Ständer angeschlossen sind. Am Südkreuz waren vergangene Woche etwa zwei Dutzend vor dem Bahnhofsgebäude abgestellte Räder mit eigens gedruckten Pappetiketten versehen: „Fahrrad erfasst am...“ und „Fahrrad wird entfernt am...“, lauten die zentralen Botschaften. Sollte der Besitzer sein Rad nicht in Kürze entfernen, droht die Bahn damit, dies auf dessen Kosten zu tun und als „Fundsache“ zu behandeln. Auf der Rückseite ist die Rechtsgrundlage abgedruckt: eine „Besitzstörung“ nach Paragraf 858 BGB.

Der Grünen-Verkehrsexperte Stefan Gelbhaar nennt die Aktion „nicht nachvollziehbar“ und fordert Aufklärung von der Bahn. Die erhielt der Tagesspiegel nicht. Eine entsprechende Anfrage wurde am Freitag nur knapp und kryptisch per Mail beschieden: „Laut ÖPNV-Gesetz sind für den ruhenden Verkehr die Kommunen verantwortlich. Wenn es sich um Flächen von DB Station & Service handelt, werden Gestattungsverträge mit den Kommunen gemacht.“ Zu den Knöllchen äußerte sich die Bahn ebenso wenig wie zu den Tarifen für das Rad-Abschleppen oder möglicherweise geplanten Verbesserungen.

Anders als in vielen anderen deutschen Städten gibt es in Berlin noch kein Fahrradparkhaus. In Holland oder der Schweiz sind sie mit teilweise mehreren tausend Plätzen längst Standard. Die bis 2016 SPD-geführte Verkehrsverwaltung kündigte vor drei Jahren den Bau zweier Anlagen am S-Bahnhof Mexikoplatz und am U-Bahnhof Krumme Lanke für 2015 an. Dann wurden Ostkreuz, Gesundbrunnen und Zehlendorf genannt. Geschehen ist nichts. Der ADFC bemängelt die Lage an Stationen der Bahn und der BVG seit Jahren. Wie mehrfach berichtet, ist die Situation an fast allen großen Bahnhöfen chaotisch, am Zoo gibt es weiterhin keine offiziellen Fahrrad-Parkplätze.

Vergangenen Januar gestand der alte, rot-schwarze Senat ein: „Die Abstellprobleme in der Stadt haben sich erheblich verstärkt.“ Deshalb sei 2015 beschlossen worden, eine „Strategie Fahrradparken“ zu entwickeln. Im Februar sagte Verkehrsstaatssekretär Jens-Holger Kirchner (Grüne), dass diese „längst fertig“ sei. Wer auf der Internetseite der Verkehrsverwaltung danach sucht, wird auf eine Broschüre aus dem Jahr 2008 geleitet.

Verabschiedet wurde die neue Strategie auch unter Rot-Rot-Grün nicht. Heinrich Strößenreuther vom Volksentscheid Fahrrad forderte, „die Strategie endlich auf den Tisch zu legen“. Der Senat unterschätze den aktuellen und zukünftigen Bedarf.

Sichere Abstellanlagen seien wichtig, um das Massendelikt Fahrraddiebstahl in den Griff zu bekommen, heißt es beim ADFC. Der „Radentscheid“ fordert bis 2025 an Bahnhöfen 100 000 neue Abstellmöglichkeiten, weitere 100 000 Plätze sollen in Wohngebieten entstehen. Derzeit soll es berlinweit 30 000 Plätze bei BVG und Bahn geben.

Eine Ortsbegehung am Südkreuz am Sonntagvormittag: An den vier Eingängen des Bahnhofs gibt es 202 Bügel für theoretisch 404 Räder. Tatsächlich stehen weit mehr Räder an dem wichtigen Fern- und S-Bahnhof. An jedes verfügbare Geländer und jedes Schild sind Räder gekettet. Fast genau die Hälfte der Bügel, nämlich 91, finden sich in einer überdachten Anlage am Ballonfahrerweg. Diese ist 100 Schritte vom Eingang entfernt. Wohl wegen der großen Entfernung sind hier etwa ein Drittel der Plätze frei. Die wenigen Bügel in der Nähe der vier Eingänge sind überfüllt. Ausgerechnet an dem Eingang, an dem der neue Radweg aus dem Gleisdreieckpark endet, gibt es nur 21 Bügel. Verbotsschilder gibt es dagegen reichlich: „Bei Missachtung erfolgt eine kostenpflichtige Entfernung.“ Und nun verteilt die Bahn auch noch Knöllchen, um dem Nachdruck zu verleihen.

Für die Fahrradständer ist der Bezirk zuständig. Der kümmert sich nicht, davon zeugen Dutzende von Fahrradleichen, die viele Ständer blockieren. Zu den Forderungen des Volksentscheids gehört auch, dass Schrotträder regelmäßig entfernt werden. Die etwa 20 an diesem Eingang im Halteverbot geparkten Autos haben dagegen kein Knöllchen.

Autofahrer haben es am Südkreuz ohnehin bequemer. Sie können vom Parkdeck aus mit wenigen Schritten die Nord-Süd-Bahnsteige direkt ansteuern. Mit Millionenaufwand wurden hierfür mehrere Treppenhäuser gebaut. Ausgelastet ist das Parkhaus längst nicht, auf Werbeschildern bietet die Bahn „Dauerparkverträge“ an.

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