zum Hauptinhalt
Die vom Senat geförderten Next-Bike-Leihräder sind nun die ersten 30 Minuten kostenlos.

© Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Fahradfahren gegen das Infektionsrisiko: Fahrradläden bleiben offen, Nextbike-Leihräder werden günstiger

Virologen raten Großstadtbewohnern, Rad zu fahren. Der Senat reagiert. Fahrradläden dürfen weiter öffnen und Next-Bike Leihräder sind 30 Minuten kostenlos.

Damit Menschen seltener Bus und Bahn nutzen und um ein Infektionsrisiko mit dem neuen Coronavirus Sars-CoV-2 zu verringern, bietet der Leihfahrrad-Anbieter „Deezer Nextbike“ seit Dienstag, den 17. März, seine Fahrräder für die erste halbe Stunde kostenlos an. Das soll für mehrere Ausleihen täglich gelten. Das verkündete Verkehrs- und Umweltsenatorin Regine Günther am Montag auf Twitter. Das  Angebot besteht vorerst bis zum 19. April – dem Ende der Osterferien. Das „Deezer Nextbiker“ Angebot wird finanziell vom Senat unterstützt.

[Behalten Sie den Überblick: Corona in Ihrem Kiez. In unseren Tagesspiegel-Bezirksnewslettern berichten wir über die Krise und die Auswirkungen auf Ihren Bezirk. Kostenlos und kompakt: leute.tagesspiegel.de]

Gesunde Mobilität in Krisenzeiten soll einfach sein”, schrieb Günther auf Twitter. Finanziert werde die kostenlose Vermietung in der ersten halben Stunde aus dem Vertrag mit dem Unternehmen Nextbike, sagte Günthers Sprecher Jan Thomsen dem Tagesspiegel. „Da ist noch Geld übrig“. Die Griffoberfläche stelle kein besonderes Infektionsrisiko dar, sagte Thomsen weiter, es sei aber durchaus sinnvoll für die Kunden, Handschuhe zu benutzen.

Umsonst ist die Nutzung der Räder allerdings nur, wenn sie anschließend wieder an einer der Stationen abgestellt werden. Das soll gewährleisten, dass die Räder für alle gut verfügbar bleiben. Werden die Räder abseits der Stationen zurückgelassen, zahlen Nutzer 50 Cent Gebühr. Wie Sie das Nextbike-Angebot nutzen können, erfahren Sie hier.

Die Anzahl der Räder will der Senat wegen der Krise zunächst nicht deutlich erhöhen. „Das Angebot wird vorerst weiter wie geplant ausgebaut“, sagte Thomsen. Thomsen versicherte jedoch eins: „Der Service wird planmäßig aufrecht erhalten.“

Notfahrplan im öffentlichen Nahverkehr

Der öffentliche Nahverkehr wird dagegen bald moderat eingeschränkt. Ab Montag fahren die U-Bahnen nur noch alle zehn Minuten. Metro-Trams und –Busse sind bereits ab Mittwoch nur noch alle zehn Minuten unterwegs. Andere Bus- und Straßenbahnlinien fahren alle zwanzig Minuten. Die Stummel-U-Bahnlinie U55 wird ganz eingestellt. Diese Einschränkungen sind nur ein etwas verschärfter Ferienfahrplan, wie ihn die BVG traditionell in den Schulferien fährt. Die Entscheidung fiel unter anderem, weil die Anzahl der Fahrgäste wegen der Coronavirus-Krise deutlich zurückgegangen ist. Bisher sind erst zwei Mitarbeiter der BVG positiv auf den Coronavirus getestet worden.

Auch die Deutsche Bahn arbeitet derzeit an einem Notfahrplan. Die Leihräder der Bahn sollen dagegen weiter in vollem Umfang zur Verfügung stehen. In Berlin bietet der Konzern seine Räder unter dem Namen Lidl-Bike an. „Im Moment läuft alles“, sagte eine Konzernsprecherin dem Tagesspiegel. Kostenlos ist der Service allerdings nicht. Der Staatskonzern agiert in Berlin im Fahrradleihgeschäft als privater Anbieter, der mit dem öffentlich geförderten Nextbike konkurriert.

Doch Kunden können bei Lidl-Bike ein Abo-Modell abschließen. Bei einer monatlichen Grundgebühr ist die Nutzung der Räder die erste halbe Stunde kostenlos, wenn sie anschließend an einer der Stationen abgegeben werden. Die Rückgabe jenseits der Stationen kostet innerhalb des S-Bahn-Rings 50 Cent. Bahn-Card-Inhaber, Studenten und Senioren zahlen nur sieben Euro Grundgebühr pro Monat.

Virologen raten zum Radfahren

Virologen haben immer wieder betont, wie sinnvoll es ist, wenn Menschen, die über kein eigenes Auto verfügen, Fahrrad fahren, statt den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen. Wenn Menschen vom ÖPNV auf das Fahrrad umsteigen, sinkt das Infektionsrisiko gleich dreifach. Der Umsteiger selbst hat erstens ein geringeres Risiko, sich mit dem Coronavirus anzustecken. Zweitens stecken Menschen, die unwissentlich bereits mit dem Coronavirus infiziert sind, weniger Menschen an, wenn sie Fahrrad statt ÖPNV fahren. Und drittens sind Busse und Bahnen weniger voll, wenn mehr Menschen mit dem Rad fahren. Auch dadurch sinkt das Infektionsrisiko.

„Fahrrad für alle, die in der Lage sind“, sei eine einfache Intervention, habe jenen Dreifacheffekt und sei deshalb „wahrscheinlich hocheffektiv“, sagt der Epidemiologe und frühere Chef des Deutschen Cochrane-Zentrums in Freiburg, Gerd Antes. Ihm sei „völlig unverständlich, warum das nicht pausenlos in die Köpfe getrieben“ werde.

Auch der Charité-Virologe Christian Drosten hat gestern im NDR-Podcast insbesondere Großstadtbewohnern, die kein eigenes Auto besitzen, die Fortbewegung mit dem Rad empfohlen.

In Berlin sind derzeit etwas mehr als 1,2 Millionen PKW zugelassen. Laut einer repräsentativen Befragung der TU Dresden im Auftrag des Senats besitzen 43,3 Prozent der Berliner Haushalte keine eigenes Auto. Jeder Haushalt verfügt der Studie zu Folge dagegen durchschnittlich immerhin über 1,6 Fahrräder.

Fahrradläden bleiben offen

Der ökologisch orientierte Verkehrsclub Deutschland (VCD) hat die Bundesregierung und Berliner Senat am Dienstagmorgen aufgefordert, Fahrradläden von der Zwangsschließung auszunehmen. Eine Schließung wegen des Coronavirus sei kontraproduktiv, heißt es in einer Mail des VCD. Fast alle Fahrradläden fungieren neben dem Verkauf neuer Räder auch als Werkstätten.

Verkehrsaktivist Stefan Kohte sagte: „Da sich in Fahrradläden Menschen selten besonders lange und gedrängt aufhalten, erscheint mir das Risiko im Vergleich zu dem Mehrgewinn an Mobilität und Gesundheitsförderung vertretbar.“  Radfahren biete einen besseren Schutz vor Ansteckungen als der ÖPNV und könne somit im Zweifel die Mobilität noch länger sichern.

Der Senat verkündete am Dienstagnachmittag, dass Fahrradläden ebenso wie Supermärkte, Apotheken, Baumärkte und Drogerien geöffnet bleiben.

Zur Startseite