zum Hauptinhalt
Fachkräfte in der Alterspflege sind gefragt. Die Zahl der Berliner, die auf Hilfe angewiesen sind, steigt weiter.

© Florian Gaertner

Fachkräftemangel in Berlin: Gesundheitssenatorin Kolat will Debatte über Pflegekammer

Braucht es eigene Pflegekammern? Die rot-rot-grüne Koalition ist sich da nicht einig. In den Charité-Vorstand zieht derweil per Gesetz ein Pflegeexperte ein.

Deutlicher als bislang wird Berlin die Pflege stärken müssen – und der Senat scheint sich der Herausforderung zunehmend bewusst zu werden. Die Zahl der Bedürftigen steigt, in zwei Jahren werden fast 120 000 Berliner auf Pflege angewiesen sein. Dazu werden die Berliner im Durchschnitt älter. Derzeit sind mehr als 190 000 Berliner älter als 80 Jahre, 2030 werden es 260 000 Berliner sein. Die Zahlen stellte Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD) am Montag auf der Landesgesundheitskonferenz in der Kreuzberger Jerusalemkirche vor.

Nun möchte Kolat die Debatte um eine Pflegekammer neu starten. Und auch der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) hat die Pflege im Blick. Der Senat will nach Tagesspiegel-Informationen dafür sorgen, dass dem Vorstand der landeseigenen Charité ein Pflegeexperte angehören muss.

In den Heimen und Kliniken der Stadt fehlen derzeit schätzungsweise 4000 Pflegekräfte. Der vor einem Jahr prognostizierte Bedarf liegt bei fast 48 000 Mitarbeitern – darunter fallen sowohl examinierte Fachleute als auch Helfer. Derzeit sind vorläufigen Zahlen zufolge gerade 44 000 Berliner in der Pflege tätig. Vielerorts werden Mitarbeiter aus dem Ausland angeworben – was, so berichten Angehörige und Personalvertreter, oft Sprachbarrieren mit sich bringt.

Dass die Zunft aufgewertet werden müsse, bestreitet in der Politik kaum jemand. Dabei soll es nicht nur um höhere Löhne gehen (die in den vergangenen Jahren moderat gestiegen sind), sondern auch um Einfluss – etwa durch eine Pflegekammer. Die von Kolat gewünschte Debatte darum galt seit dem Antritt von Rot-Rot-Grün 2016 eigentlich als erledigt. Dass Kranken- und Altenpfleger wie Ärzte und Apotheker eine eigene Kammer brauchen, die über quasi hoheitliche Rechte verfügt und deshalb in der Branche mitbestimmen kann, das hatte in Berlin bislang nur die CDU gefordert – von den Grünen unterstützt. SPD und Linke waren stets dagegen.

Nun befürwortet die Senatorin sowohl in der SPD als auch der Koalition eine Diskussion über Pro und Contra einer Pflegekammer. Schon in ihrem Pflegemanifest, das Kolat dem SPD-Landesvorstand kürzlich vorstellte, sei von einem Dreiklang von Berufsverbänden, Gewerkschaften und Kammern die Rede, sagte ein Sprecher. Einer Pflegekammer aber dürften, so die derzeit übliche Auffassung, nur ausgebildete, also examinierte Fachkräfte mit mehrjähriger Ausbildung angehören. Die Hälfte der in Heimen und ambulanten Diensten beschäftigten Pflegenden aber sind Helfer. In der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus hält man eine Kammer für Zusatz-Bürokratie, auch die Gewerkschaften lehnen sie ab. Der Vorstoß der Senatorin sei insofern nicht hilfreich, sagte die SPD–Pflegeexpertin Ülker Radziwill, besser sei eine Selbstvertretung für alle Beschäftigten.

Anders sehen das die Grünen: Alle Initiativen, um die Pflege zu stärken, seien zunächst zu begrüßen. Wie bei der Ärztekammer, die in fast allen Belangen der Gesundheitspolitik angehört wird, müsse es um „spürbare und sichtbare Verbesserung der Mitsprache der Pflege“ gehen, sagte die Pflegeexpertin im Abgeordnetenhaus, Fatos Topac. In der oppositionellen Union ist man wohlwollend bis amüsiert – hatte doch schon CDU-Mann und Ex-Gesundheitssenator Mario Czaja eine Kammer gründen wollen. So sagte der CDU-Gesundheitsexperte Tim-Christopher Zeelen mit Blick auf Kolat: „Die Koalition blockiert bislang unsere Anträge zur Einrichtung einer Landespflegekammer und eines Landespflegebeauftragten.“ In einer von Kolats Amtsvorgänger Czaja beauftragten Umfrage unter Berliner Pflegekräften 2015 sprachen sich 59 Prozent für eine eigene Kammer aus. Um Kammern zu gründen, müssen rechtliche Hürden überwunden werden: Der Gesetzgeber muss begründen, warum bestehende Behörden und Verbände in der Zunft nicht ausreichen. Bislang haben Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Schleswig-Holstein Pflegekammern.

An anderer Stelle wertet die SPD-Landesspitze die Pflege auf, ohne dass das Widerspruch provoziert. Im neuen Universitätsmedizingesetz, an dem die Wissenschaftsverwaltung seit Monaten arbeitet, wird nach Tagesspiegel-Informationen festgeschrieben, dass dem Charité-Vorstand künftig neben dem ärztlichen Direktor auch ein Vertreter der Pflege angehören muss. Bislang bilden die Krankenhausleitung, die Fakultätsspitze und der Vorsitzende den Vorstand. „Die Pflege spielt für die Charité eine immer größere Rolle, auch im Bereich der Ausbildung und in der Zusammenarbeit mit Vivantes“, sagte Müller dem Tagesspiegel. „Deshalb macht es Sinn darüber nachzudenken, wie man diese wachsende Bedeutung strukturell abbilden kann.“

Auch in der CDU sieht man den Schritt positiv. „Die Einbindung des ärztlichen Direktors und eines Pflegeexperten bietet die Chance, bei Entscheidungen beide wichtigen Gruppen frühzeitig mit einzubinden“, sagte der CDU-Abgeordnete Zeelen. Über das sogenannte Unimed-Gesetz beraten in diesen Tagen die einzelnen Senatoren, in den kommenden Wochen soll im Abgeordnetenhaus abgestimmt werden. Umsetzen wird das Unimed-Gesetz wohl der neue Charité-Chef. Wie berichtet, möchte Müller dafür den aktuellen Leiter der Universitätsmedizin Göttingen, Heyo Kroemer, holen. Der Pharmakologe wird demnächst seinen Vertrag unterzeichnen.

Das Tagesspiegel-Magazin „Gesund im Alter“ kostet 12,80 Euro (für Abonnenten 9,80 Euro) und ist im Tagesspiegel-Shop (Telefon 030/29021520) erhältlich.

Zur Startseite