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Reichsbürger erkennen die Bundesrepublik nicht an

© Patrick Seeger/dpa

Extremismus: Berlins Reichsbürger-Szene ist größer als bislang bekannt

Die Sicherheitsbehörden zählen mittlerweile etwa 500 sogenannter Reichsbürger in der Hauptstadt. 120 von ihnen gelten als rechtsextrem.

Von Frank Jansen

Die Szene der „Reichsbürger“ ist in Berlin nach Informationen des Tagesspiegels größer als bislang bekannt. Sicherheitskreise sprechen inzwischen von 500 Personen, die dem Spektrum zuzurechnen sind. Etwa 120 von ihnen seien auch als Rechtsextremisten bekannt. Der Verfassungsschutz hatte in seinem Jahresbericht 2016 die Zahl der Reichsbürger mit 400 angegeben, darunter 100 Rechtsextreme. Ein Grund für die nun höhere Zahl der Reichsbürger sei die fortschreitende Erfassung der gesamten Szene durch die Sicherheitsbehörden, hieß es. Bis 2015 wurden sogar nur die eindeutig rechtsextremen Reichsbürger gezählt.

Reichsbürger und so genannte „Selbstverwalter“ erkennen die Bundesrepublik nicht an und geben sich als Angehörige von Fantasiestaaten aus. In der Szene wird auch oft behauptet, das deutsche Reich existiere weiter. Reichsbürger, die als Selbstverwalter auftreten, bezeichnen zudem ihr Grundstück als eigenen Staat.

Ausweis beantragt nach Gesetz von 1913

Das von Querulanten durchsetzte Milieu gilt in Teilen als militant. Im Oktober 2016 erschoss ein Reichsbürger im bayerischen Georgensmünd einen Polizisten eines Spezialeinsatzkommandos, das dem Mann sein Waffenarsenal wegnehmen wollte. Außerdem versuchen Reichsbürger, Behörden mit unsinnigen Schriftsätzen und auch Drohungen zu drangsalieren. Das Bezirksamt Mitte hat nun in einer Antwort auf eine Anfrage des Grünen-Bezirksverordneten Johannes Schneider eine Bilanz für 2017 genannt. Demnach waren das Bürgeramt, das Ordnungsamt, das Stadtentwicklungsamt, das Sozialamt, das Jugendamt und das Schul- und Sportamt in insgesamt 21 Fällen mit Reichsbürgern konfrontiert.

Die meisten Vorkommnisse, insgesamt 15, meldete das Bürgeramt. Reichsbürger wehrten sich gegen die Personalausweispflicht und die dann folgenden Bußgeldverfahren. Außerdem seien Ausweise beantragt worden mit dem Ziel, „dass die deutsche Staatsangehörigkeit nach dem Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 erworben wurde“, heißt es in der Antwort des Bezirksamts.

Reichsbürger weigerte sich, Parkticket zu kaufen

Das Ordnungsamt hatte mit einem Reichsbürger zu tun, der sich weigerte, ein Parkticket zu kaufen. Ein anderer schickte ein Fax mit der Verlautbarung, der Freistaat Preußen existiere weiter. Beim Jugendamt gab es Ärger mit Reichsbürgern wegen fehlender Unterhaltszahlungen und wegen der Vernachlässigung von Kindern. Dieser Fall sei „gerichtsanhängig“, sagt das Bezirksamt. Außerdem versuchte der Reichsbürger, das Jugendamt öffentlich anzuprangern. Die Namen der Sachbearbeiterinnen wurden zusammen mit einer einseitigen Darstellung des Falles im Internet veröffentlicht. Auch das Bürgeramt meldete, „gelegentlich“ würden Mitarbeiter von Reichsbürgern unter Druck gesetzt. Beim Schul- und Sportamt verlangte ein Reichsbürger den Rücktritt des Bezirksstadtrates.

Die Schikanen werden jedoch nicht achselzuckend hingenommen. Das Bezirksamt sensibilisiert seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, unter anderem mit persönlichen Gesprächen und Informationsmaterial des Verfassungsschutzes. Im November 2017 nahm die Amtsleitung an einer Tagung der Berliner Landeszentrale für politische Bildung und des Verfassungsschutzes zum Thema Reichsbürger teil. Die Experten empfahlen dem Personal der betroffenen Berliner Behörden, mit Reichsbürgern „keine ausschweifenden Diskussionen“ zu führen, dem Versuch der Einschüchterung entgegenzutreten und gegebenfalls Sicherheitspersonal und Polizei hinzuziehen. Und: Straftaten sollten „konsequent angezeigt werden“. Der Bezirksverordnete Johannes Schneider hält zudem eine zentrale Erfassung der Fälle für „ wichtig und dringend geboten“.

Lesen Sie mehr zum Thema in unserem "Reichsbürger"-Dossier: https://www.tagesspiegel.de/themen/reichsbuerger/

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