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Aktivisten der "Extinction Rebellion" blockieren im April die Oberbaumbrücke in Kreuzberg.

© Christoph Soeder/dpa

Extinction Rebellion: Wie Klima-Aktivisten die Berlin-Blockade trainieren

Die einen üben Hausbesetzungen, die anderen Sitzstreiks auf der Straße: Aktivisten der Klima-Bewegung stellen sich auf radikalere Protestformen ein.

Von Laura Hofmann

Am Sonntagmorgen um 11 Uhr treffen sich in einem Nachbarschaftszentrum in einem Weddinger Hinterhof friedliche Rebellen. Oder Menschen, die es werden wollen. Der große Raum, erhellt durch einen kleinen Kronleuchter, ist sehr voll. Rund 150 Menschen sind gekommen, und es werden immer mehr. Sie sitzen in einem Stuhlkreis in drei Reihen, sie sind mehrheitlich jung, zwischen 20 und 40, es sind mehr Frauen als Männer. Sie wollen Menschen und Tiere vor dem Aussterben durch einen Klimakollaps bewahren, „nicht länger nichts tun“, wie eine junge Frau es nennt.

Im Laufe des Tages lernen sie, wie sie ihren Körper zu einem Päckchen machen, um sich von der Polizei wegtragen zu lassen. Und was ihnen droht, wenn sie eine unangemeldete Versammlung auch nach der dritten Aufforderung durch die Beamten nicht verlassen. In der Mitte des Raums steht Tristan, 30, brauner Pferdeschwanz, weißer Pulli, und sagt: „Wir wollen keine Gewalt. Wir wollen Frieden und Liebe für alle.“ Willkommen beim „Aktionstraining für zivilen Ungehorsam“ der „Extinction Rebellion“ (XR), zu Deutsch: „Aufstand gegen das Aussterben“.

In Berlin wird politischer Protest wieder zunehmend auf die Straße getragen. Auf Brücken und Plätze. Und in die Häuser der Stadt. Am Sonnabend hat die Gruppe „#besetzen“ in Friedrichshain zwei leerstehende Gebäude okkupiert – mit Ansage. Die Aktionstage „Tu Mal Wat“, in deren Rahmen nun die Besetzungen in der Frankfurter und der Landsberger Allee stattfanden, wurden schon vor mehreren Tagen angekündigt.

Die Aktivisten sagen: „Wir sehen uns als Teil einer Bewegung, die sich dagegen wehrt, dass Berlin zunehmend zu einer Stadt der Reichen wird.“ Die Truppe hat schon zuvor Häuser in Berlin besetzt. Diesmal wollte sie es anders machen: „Wir haben uns entschlossen, so viele Menschen wie möglich an unserer Besetzung teilhaben zu lassen“, schreiben sie. Deswegen haben sie zu öffentlichen Treffpunkten eingeladen, mehrere Dutzend Unterstützer klatschten, als die Besetzer Transparente an den Fassaden und Balkonen der eingenommenen Häuser anbrachten.

Ziviler Ungehorsam hat großen Zulauf

Die Öffentlichkeit einzubinden, wirkungsmächtige Bilder zu erzeugen und auf Solidarität in der Bevölkerung zu setzen – das sind drei Gemeinsamkeiten zwischen der Besetzergruppe und den Rebellen der „Extinction Rebellion“. Eine weitere: Sie bereiten unerfahrene Aktivisten gezielt auf ihre Aktionen vor. An der TU Berlin wurde für den 22. September zu einem „Aktionstraining zu Besetzungen“ geladen. Und in dem Weddinger Hinterhof werden an diesem Sonntag Menschen darauf vorbereitet, Straßen, Plätze und Brücken zu blockieren.

Ein Datum haben sie dabei besonders im Blick: Ab dem 7. Oktober will „Extinction Rebellion“ Berlin lahmlegen. Das bedeutet: Wichtige Verkehrsknotenpunkte blockieren, um möglichst viele Menschen mit ihrem Protest zu erreichen. Und nicht nur Berlin. Auch in anderen Metropolen der Welt soll ab dem kommenden Montag „mit gewaltfreiem zivilem Ungehorsam gegen Klimakrise und Massenaussterben“ protestiert werden. Anders als „Fridays for Future“ setzt XR nicht auf normale Demonstrationen oder Schulstreiks.

Wie hier am Mehringdamm in Kreuzberg wird an vielen Orten zur Aktion #Berlinblockieren am 7. Oktober mobilisiert.
Wie hier am Mehringdamm in Kreuzberg wird an vielen Orten zur Aktion #Berlinblockieren am 7. Oktober mobilisiert.

© Laura Hofmann

Ihre wichtigsten Forderungen: Die Regierung solle „die Wahrheit“ über die ökologische Krise offenlegen und den Klimanotstand ausrufen. Die Treibhausgasemissionen sollen bis zum Jahr 2025 auf Netto-Null gesenkt werden. Und die Regierung solle eine Bürgerversammlung einberufen, welche die „notwendigen Maßnahmen für Klimagerechtigkeit und gegen die ökologische Katastrophe erarbeitet“ und sich verpflichten, deren Beschlüsse umzusetzen.

Um Druck auszuüben, muss man sich anstrengen und Nachteile in Kauf nehmen.

schreibt NutzerIn Ziviler_Ungehorsam

London, April 2019: Eine Woche lang besetzten mehr als 6000 Extinction-Rebellen mehrere Brücken in der britischen Hauptstadt. Dass das britische Parlament wenige Tage später den Klimanotstand erklärte, werten die Aktivisten als ihren Erfolg. Auch in Berlin haben sie schon Straßenraum besetzt: Am 15. April nahmen rund 200 Mitglieder von XR die Oberbaumbrücke mit einer Sitzblockade ein. Sie sangen gemeinsam, es gab Kürbissuppe und vegane Dinkelkekse. 400 Polizisten waren im Einsatz, regelten den Verkehr und räumten schließlich die Brücke.

Und erst kürzlich, am Tag des großen Klimastreiks, dem 20. September, okkupierten mehrere Hundert Rebellen für mehrere Stunden die Kreuzung am Potsdamer Platz, ebenfalls mit einer Sitzblockade. Einer der Gründer der Gruppe, Roger Hallam, wurde Mitte September festgenommen, weil er mithilfe von Spielzeug-Drohnen den Flugverkehr am Londoner Airport Heathrow zum Erliegen bringen wollte.

In Wedding erklärt Tristan jetzt, dass niemand gezwungen werde, sich an Blockaden zu beteiligen. Es gebe genug zu tun, von Pressearbeit bis Kekse backen. Die Leute sollen sich überlegen, ob sie bereit sind, sich für ihre Aktionen festnehmen zu lassen. Je nachdem, werden ihnen verschiedene Aufgaben übertragen. Die Luft ist inzwischen stickig geworden. Von draußen dröhnt der Lärm eines Flugzeugs im Landeanflug auf Tegel.

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